# taz.de -- Kriegsrecht in Südkorea zurückgenommen: Politische Chaostage in … | |
> Präsident Yoon nimmt das von ihm ausgerufene Kriegsrecht zurück. Das | |
> Parlament hatte einstimmig dagegen votiert. Nun wird sein Rücktritt | |
> gefordert. | |
Bild: Südkoreaner halten Schilder mit der Aufschrift „Verhaftet Yoon Suk Yeo… | |
Seoul taz | Am Morgen danach zeigt sich die südkoreanische Hauptstadt fast | |
so, als wäre nichts gewesen. Als hätte das Land nicht die wohl | |
turbulentesten politischen Stunden der letzten Jahre hinter sich. Nur mehr | |
die erhöhte Polizeipräsenz erinnert noch an [1][den Ausnahmezustand, den | |
der amtierende Präsident am Dienstagabend verhängt hatte.] | |
Abseits der Bereitschaftspolizisten, meist junge Koreaner im | |
Wehrdienstalter, ist es ruhig. Der Seouler Alltag zeigt sich praktisch | |
unbeeindruckt: Die Leute strömen aus überfüllten Bussen in die gläsernen | |
Bürotürme, viele der Angestellten haben einen obligatorischen Kaffeebecher | |
in der Hand. | |
## Die angebliche Bedrohung aus dem Norden | |
Doch in der Nacht zuvor hatte sich ein politisches Schauspiel zugetragen, | |
das selbst für das zum Drama neigende Korea seinesgleichen sucht: Der | |
konservative Präsident Yoon Suk Yeol rief für praktisch alle politischen | |
Beobachter vollkommen überraschend – das Kriegsrecht für sein Land aus. Die | |
radikale Maßnahme erinnert an die dunklen Tage der Militärdiktatur: Zuletzt | |
wurde im Frühjahr 1980 ein solcher Ausnahmezustand verhängt, und damals | |
wurde er mit der Gefahr durch Nordkorea begründet. | |
Fast 45 Jahre später zitierte Yoon ebenfalls [2][die Bedrohung aus dem | |
Norden.] Er warf der oppositionellen Linken vor, mit dem Regime in | |
Pjöngjang zu sympathisieren – ohne jedoch konkrete Beweise vorzulegen. Das | |
Kriegsrecht würde darauf abzielen, „pro-nordkoreanische Kräfte | |
auszuradieren“ und die freiheitliche Ordnung zu sichern. Dabei handelt es | |
sich offensichtlich um die „Kommunisten-Keule“, die die Rechte pauschal | |
regelmäßig gegen die linke Opposition schwingt. | |
Ein anderer Vorwurf ist jedoch konkreter zu fassen: Dass die Opposition den | |
Staat „lähmen“ würde, wie Yoon behauptet, ist nicht gänzlich von der Hand | |
zu weisen. Erbittert streiten die politischen Fraktionen seit Wochen | |
bereits um ein Haushaltsgesetz für das kommende Jahr, zudem hat die Linke | |
inflationär Anträge für Amtsenthebungsverfahren eingereicht. Doch daraus | |
die Notwendigkeit für das Verhängen des Kriegsrechts abzuleiten, scheint | |
dennoch absurd. | |
## Korruptionsvorwürfe gegen die Frau des Präsidenten | |
Für viele Experten mutet eine andere Erklärung naheliegend: Yoon Suk Yeol | |
hat nach massivem innenpolitischen Druck ein Ablenkungsmanöver gestartet. | |
Nicht nur ist er von extrem niedrigen Beliebtheitswerten und | |
Korruptionsvorwürfen gegen seine Ehefrau geplagt, auch hatte es zuletzt | |
mehrere Wochenenden in Folge Anti-Regierungs-Demonstrationen in der Seouler | |
Innenstadt gegeben. Möglicherweise wollte Yoon der sich aufbauenden Dynamik | |
einen Riegel vorschieben. | |
## Parlament einstimmig gegen das Kriegsrecht | |
Die Maßnahme ging jedoch nach hinten los. Innerhalb der Nationalversammlung | |
eilten die Abgeordneten nachts in den Plenarsaal. Lee Jae Myung, Anführer | |
der linken Opposition, filmte sich im Livestream, wie er – vorbei an | |
Sicherheitspolizisten – über den abgesperrten Zaun in die Parlamentsanlage | |
springt. Dort stimmten sämtliche 190 anwesenden der insgesamt 300 | |
Parlamentarier dafür, dass Präsident Yoon das Kriegsrecht wieder | |
zurücknehmen solle. Eindeutiger ließ sich nicht offenbaren, dass ein | |
Staatsoberhaupt sein politisches Rückgrat verloren hat. | |
Und auf dem anderen Ende des abgesperrten Geländes hatten sich mehrere | |
tausend Demonstranten eingefunden, die Fahnen schwingend und musizierend | |
Yoons Rücktritt forderten. Bis auf kleinere Rütteleien blieb es in dieser | |
Nacht friedlich. Dass sich unter der Oberfläche jedoch eine Menge Frust | |
gegenüber dem Staatsoberhaupt angesammelt hat, war dennoch deutlich. | |
Es dauerte ein paar Stunden, bis Yoon vor dem Morgengrauen dem Votum der | |
Abgeordneten folgte und das Kriegsrecht wieder aufhob. Die Demonstranten | |
nahmen die Entscheidung mit Jubel auf: Denn tatsächlich hätte das | |
Kriegsrecht massive Folgen gehabt – sämtliche politische Aktivitäten sind | |
dann verboten, auch die Berichterstattung der Medienhäuser wäre massiv | |
eingeschränkt. | |
## Kritik aus den eigenen Reihen | |
Am Tag danach deuten nun alle Zeichen auf Neuwahlen hin. Denn Yoon Suk Yeol | |
erfährt nicht nur Gegenwind von der Öffentlichkeit und der Opposition, | |
sondern auch von den eigenen Reihen. Sein eigener Parteichef, Han Dong | |
Hoon, hat sich unmittelbar gegen das Kriegsrecht ausgesprochen und | |
angekündigt, dieses „mit dem Volk stoppen“ zu wollen. | |
Hunderte Demonstranten versammelten sich am Mittwochabend auf den Treppen | |
des südkoreanischen Parlamentsgebäudes. Ihre Gesichter wurden von den | |
Kerzen erleuchtet, die sie bei sich führten. Wo keine 24 Stunden zuvor | |
Soldaten den Politikern den Weg versperren sollten, versuchte das Volk nun | |
die angeschlagene Demokratie des Landes zu verteidigen. Immer und immer | |
wieder schreit die Menge ihren Willen in die bitterkalte Winternacht: Yoon | |
solle endlich des Amtes enthoben werden. | |
Die Opposition hat bereits einen formalen Antrag eingereicht. In wenigen | |
Tagen wird er zur Abstimmung kommen. Möglicherweise jedoch wird Yoon Suk | |
Yeol seinem Schicksal zuvorkommen: Für Donnerstag hat er eine | |
Pressekonferenz angesetzt, möglicherweise könnte er seinen Rücktritt | |
ankündigen. | |
Fakt ist jedoch auch wiederum: Bislang haben die Anti-Regierungs-Proteste | |
nicht die breite Bevölkerung erfasst. In absoluten Zahlen sind nicht | |
besonders viele Menschen auf die Straße gezogen. Bis zum Samstag könnte | |
sich dies allerdings durchaus ändern. | |
Dass es zu Neuwahlen kommen wird, gilt als das wahrscheinlichste Szenario. | |
„Die Frage ist nur, in welchem Zeitrahmen das geschehen wird“, sagt Mason | |
Richey, Professor für internationale Politik an der Hankuk University for | |
Foreign Studies in Seoul. | |
Doch die politische Zukunft des Landes bleibt vor allem ungewiss. Innerhalb | |
Yoons konservativem Lager dürfte ein Machtkampf ausbrechen. Die Opposition | |
hingegen wird wohl auf den Politikveteranen Lee Jae Myung setzen, der | |
gemeinhin als Linkspopulist und Vertreter der Arbeiterklasse gilt. Gemäß | |
der politischen Polarisierung des Landes, die traditionell regelmäßige | |
Machtwechsel hervorbringt, dürfte Lee durchaus gute Chancen aufs | |
Präsidentenamt haben. | |
Mittlerweile haben sämtliche ranghohen Sicherheitsberater von Yoon ihren | |
Rücktritt angeboten. Und etliche Abgeordnete haben sich für ein Ultimatum | |
ausgesprochen: Demnach habe der Präsident 72 Stunden Zeit, von sich aus | |
zurückzutreten. Ansonsten würden sie ein Amtsenthebungsverfahren anstreben. | |
Zudem hat sich mittlerweile ein wenig der Nebel über die politischen | |
Hintergründe gelegt: So soll Präsident Yoon von seinem | |
Verteidigungsminister zu der Entscheidung gedrängt worden sein, auch der | |
Sicherheitsminister hat das Ausrufen des Kriegsrechts befürwortet. Doch es | |
scheint, als ob es sich auch um zwei klassische Sündenböcke handelt. Denn | |
feststeht: Es gab auch prominente Gegenstimmen in der Regierung, darunter | |
die Außen- und Finanzminister. | |
Schlussendlich wird die Öffentlichkeit nur eine Person für die umstrittene | |
Entscheidung zum Kriegsrecht verantwortlich machen: den Präsidenten selbst. | |
4 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Machtkaempfe-in-Seoul/!6050087 | |
[2] /Spannungen-zwischen-Nord--und-Suedkorea/!6040076 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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