# taz.de -- Ausnahmezustand in Südkorea: Rätselraten um Yoon Suk Yeol | |
> Der südkoreanische Präsident hatte das Kriegsrecht ausgerufen. Nun wird | |
> wegen Hochverrats gegen ihn ermittelt. Er klammert sich weiter an sein | |
> Amt. | |
Bild: Mit Kerzen für den Rücktritt des Präsidenten Yoon Suk Yeol | |
Seoul taz | Die südkoreanische Öffentlichkeit hat keinen blassen Schimmer, | |
wo sich ihr Präsident Yoon Suk Yeol derzeit aufhält. Wie es um seine | |
psychische Verfassung steht. Und vor allem: Was ihn geritten hat, mit dem | |
[1][Ausrufen des Kriegsrechts] [2][die Demokratie seines Landes] aufs Spiel | |
zu setzen. Der Präsident habe den Realitätssinn verloren, sagte die | |
ehemalige Außenministerin Kang Kyung Wha sinngemäß in einem | |
Fernsehinterview. | |
Ohne Frage: Präsident Yoon Suk Yeol steht derzeit mit dem Rücken zur Wand. | |
Die nationale Polizeibehörde hat am Donnerstag Ermittlungen wegen | |
Hochverrat eröffnet; ein Strafbestand, der mit der Todesstrafe geahndet | |
werden kann. Bereits am Samstag wird im Parlament über ein | |
[3][Amtsenthebungsverfahren] gegen Yoon abgestimmt. Es bräuchte nur acht | |
Abweichler aus den eigenen Reihen, damit dieses die Legislative passiert. | |
Die naheliegendste Lösung wäre, dass Yoon von sich aus das Amt niederlegt. | |
Selbst der Economist, dessen wirtschaftsliberale Blattlinie durchaus mit | |
der Politik des Präsidenten übereinstimmt, titelt ganz offen: „Yoon Suk | |
Yeol sollte zurücktreten oder seines Amtes enthoben werden“. Doch der | |
63-Jährige denkt gar nicht daran. | |
Am Donnerstagmorgen gab Yoon erstmals gegenüber der Öffentlichkeit ein | |
indirektes Lebenszeichen: Er habe das Rücktrittsgesuch seines ehemaligen | |
Verteidigungsministers Kim Yong Hyun akzeptiert und bereits einen | |
Nachfolger ernannt, heißt es aus dem Präsidentenbüro. | |
## Yoon nutzt Sündenbock | |
Kim und Yoon sind alte Freunde, kennen sich noch aus der Oberschule. Es | |
besteht kein Zweifel daran, dass Kim das Ausrufen des Kriegsrechts offen | |
befürwortet hat. Doch laut Yoons Lager soll er nun gar der alleinige | |
Strippenzieher gewesen sein, der den Präsidenten dazu gedrängt habe. | |
Kritiker werfen allerdings ein: Yoon Suk Yeol nutzt einen Sündenbock, um | |
die eigene Verantwortung abzuwälzen. | |
Auch mehrere Tage nach dem spektakulären Ausnahmezustand rätselt die | |
südkoreanische Öffentlichkeit über das Warum. Yoon hatte seinen Schritt mit | |
einem Verweis auf „nordkoreanische Kräfte“ begründet. Doch an der | |
Demarkationslinie, so heißt es vom Militär, sei die Lage den Umständen | |
entsprechend ruhig. | |
Leute, die Yoon persönlich begegnet sind, zeichnen von ihm das Bild eines | |
bisweilen cholerischen Mannes, der einen Hang zu Esoterik und | |
Verschwörungstheorien hat. Er war möglicherweise dem öffentlichen Druck des | |
Politikerlebens nicht gewachsen, mutmaßen sie, und habe in einer | |
Kurzschlussreaktion zum Äußersten gegriffen. | |
Viele Indizien sprechen dafür, dass sein versuchter Coup nicht von langer | |
Hand geplant war. Der Chef der südkoreanischen Marine etwa hat sich zum | |
Zeitpunkt der Entscheidung nicht im Lande befunden. Dabei wäre es von | |
essenzieller Bedeutung gewesen, dass Yoon die vollständige Kontrolle über | |
sein Militär innegehabt hätte. | |
## Pistolen demonstrativ leer | |
Doch dies war offensichtlich niemals der Fall. Kurz nachdem Yoon das | |
Kriegsrecht verhängt hatte, gelang es Dienstagnacht 190 Abgeordneten, den | |
Plenarsaal der Nationalversammlung zu erreichen, wo die Politiker | |
schließlich unisono die Rücknahme des Kriegsrechts forderten – unter ihnen | |
mindestens ein Dutzend Mitglieder der Regierungspartei. | |
Zeugen sagen, dass die Soldaten beim Sturm auf die Nationalversammlung ihre | |
Gewehre und Pistolen demonstrativ mit leerem Patronenlauf führten und es | |
mit Absicht nicht geschafft hätten, das Parlament vollständig abzuriegeln. | |
Innerhalb der breiten Öffentlichkeit hat Yoon seinen Rückhalt ohnehin | |
mehrheitlich verloren. Laut einer aktuellen Umfrage befürworten sieben von | |
zehn Koreanern, dass der Präsident seines Amtes enthoben wird. | |
Breite Proteste dürften nur eine Frage der Zeit sein. Am Donnerstagabend | |
haben sich erstmals die Studierenden der renommierten Seouler | |
Nationaluniversität versammelt, um den Yoons Rücktritt zu fordern. | |
## Brennende Kerzen wie vor acht Jahren | |
Sie und ihre Generation haben in der Nacht auf Mittwoch in den | |
Fernsehnachrichten gesehen, was sie sonst nur aus Dokumentarfilmen oder | |
Geschichtsbüchern über die Zeit der Militärdiktatur kannten: Dass die Armee | |
die Kontrolle über die Politik zu übernehmen versucht. | |
Als Zeichen ihres Protestes tragen die Demonstrierenden brennende Kerzen | |
bei sich – eine Anspielung auf die Kerzenscheinmärsche vor acht Jahren. | |
Damals zogen über Monate hinweg hunderttausende Menschen in die Seouler | |
Innenstadt, um den Rücktritt der damaligen Präsidentin Park Geun Hye zu | |
fordern. | |
Für diesen Samstag haben die Gewerkschaften, Oppositionsparteien und | |
zivilgesellschaftliche Organisationen zu Massendemonstrationen aufgerufen. | |
5 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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