# taz.de -- Sklaverei in Nordkorea: Zwangsarbeit für „Made in China“ | |
> Eine südkoreanische Menschenrechts-NGO erhebt schwere Vorwürfe: | |
> Chinesische Firmen lassen Perücken für den Export in nordkoreanischen | |
> Gefängnissen produzieren. | |
Bild: Streng bewacht: ein nordkoreanisches Gefangenenlager | |
Seoul taz | Ganz im Nordosten Nordkoreas, unweit zur chinesischen Grenze, | |
schmiegt sich das „Kyohwaso Nummer 12“ zwischen zwei bewaldeten Berghängen: | |
eine riesige Gefängnisanlage, umgeben von meterhohen Mauern, Wachposten und | |
Checkpoints. Hier landen meist keine politischen Gefangenen, sondern ganz | |
gewöhnliche Kriminelle. Aber auch diejenigen, die „ideologische“ Verbrechen | |
begangen haben– vom Schauen ausländischer Filme bis hin zu religiösen | |
Praktiken. Vor allem aber ist das „Kyohwaso Nummer 12“ mit nordkoreanischen | |
Flüchtlingen gefüllt, die vom benachbarten China abgeschoben wurden. | |
Wie eine neue Studie der NGO „Citizens´ Alliance for North Korean Human | |
Rights“ (NKHR) dokumentiert, werden die Gefangenen im „Kyohwaso Nummer 12“ | |
systematisch ausgebeutet, um Textilprodukte für chinesische Firmen | |
herzustellen – Produkte, die potenziell auch nach Europa exportiert werden | |
können. Und damit auch die Kassen des Regimes von Kim Jong Un füllen. | |
„Wir wollen die weit verbreitete Praxis der Sklaverei in nordkoreanischen | |
Gefangenenlagern aufzeigen. Eine Praxis, die von Nordkorea und China | |
gemeinsam gefördert wird“, sagt die Autorin der Studie, Joanna Hosaniak. | |
Die in Polen gebürtige Aktivistin arbeitet bereits seit mehreren | |
Jahrzehnten als [1][Menschenrechtsaktivistin in Seoul]. | |
## Millionengeschäft für Nordkorea | |
Hosaniak und ihre Kollegen von NKHR haben für ihren Bericht über 25 | |
Kernzeugen interviewt; darunter ehemalige Insassen aus dem Gefangenenlager, | |
aber auch Staatsanwälte, Sicherheits- und Zollbeamte. Sie alle sind vor | |
Jahren bereits aus ihrem Heimatland geflohen und leben wie über 30.000 | |
weitere nordkoreanische Flüchtlinge mittlerweile in Südkorea. Ihre Aussagen | |
lassen sich zwar nicht unabhängig überprüfen, doch mit akribischer | |
Recherche einordnen – etwa durch Satellitenaufnahmen von Arbeitslagern oder | |
Zolldaten der chinesischen Lokalregierung. | |
So liefern chinesische Betriebe Rohmaterialien an die nordkoreanische | |
Sonderwirtschaftszone Rason, welche sich im Dreiländereck mit Russland | |
befindet. Von dort gelangen die Materialien in die Gefängnisse zur | |
Weiterverarbeitung. Die Insassen nähen dann Sportartikel zusammen, Hosen | |
und einfache Jacken. Vor allem aber fertigen sie Perücken und falsche | |
Wimpern – Produkte, die noch im Vorjahr knapp 60 (!) Prozent aller | |
nordkoreanischen Exporte nach China ausgemacht haben. Ein Millionengeschäft | |
fürs Regime. | |
## Lagertote werden in der Nähe verbrannt | |
Die ehemaligen Insassen hingegen schildern menschenunwürdige | |
Arbeitsbedingungen: Schichten bis zu 20 Stunden, körperliche Misshandlungen | |
durch die Wärter und sogar Vergewaltigungen. Wer die vorgegebenen | |
Produktionsquoten nicht erfüllt habe, dem seien zudem die | |
Nahrungsmittelrationen gekürzt worden. | |
Wie viele der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus dem „Kyohwaso | |
Nummer 12“ einen frühzeitigen Tod starben, ist nicht bekannt. Sehr wohl | |
jedoch erzählten die Insassen übereinstimmend, dass die Leichen der | |
Lagertoten an einem nahegelegenen Berghang verbrannt wurden, ohne dass ihre | |
Familien davon in Kenntnis gesetzt wurden. | |
„Einige Zeugen sagten uns, dass der Anblick des Rauchs von diesem Berg der | |
stärkste Grund für sie war, unbedingt überleben zu wollen, um außerhalb des | |
Lagers zu sterben“, sagt Aktivistin Hosaniak. | |
## Textilien „Made in China“ | |
Solch grauenvolle Menschenrechtsverbrechen scheinen aus europäischer Sicht | |
weit entfernt, doch im Zeitalter globaler Lieferketten ist dies ein | |
Trugschluss. Viele der Textilien können ganz legal von den chinesischen | |
Firmen als „Made in China“ angepriesen werden, da sich ihre Produkte nie | |
länger als ein halbes Jahr in Nordkorea befunden haben. | |
Rechtlich gesehen haben die Konzerne also nur einige Arbeitsschritte | |
„ausgelagert“. So ist es schlussendlich für westliche Firmen nahezu | |
unmöglich zu überprüfen, ob an ihren Waren nicht möglicherweise auch | |
nordkoreanische Zwangsarbeiter beteiligt waren. | |
[2][Diese Praxis ist durchaus bekannt und hinreichend dokumentiert]. | |
Bereits 2017, als innerhalb Chinas die Möglichkeiten für unabhängige | |
Berichterstattung noch größer waren, gelang es der Nachrichtenagentur | |
Reuters, in der Grenzstadt Dandong mit chinesisch-koreanischen | |
Geschäftsleuten zu sprechen. | |
„Wir nehmen Bestellungen aus der ganzen Welt entgegen“, sagte ein Händler | |
gegenüber Reuters. „Wir fragen die chinesischen Lieferanten, die mit uns | |
zusammenarbeiten, ob sie vorhaben, ihren Kunden gegenüber offen zu sein – | |
manchmal weiß der Endabnehmer nicht, dass die Kleidung in Nordkorea | |
hergestellt wird. Das ist extrem heikel“. | |
## Nordkorea-Flüchtlinge in chinesischen Abschiebeknästen | |
Vor diesem Hintergrund wirkt die Abschiebepolitik der chinesischen | |
Regierung besonders inhuman. [3][Nordkoreaner, die – ganz gleich, aus | |
welchen Motiven – die Grenze zur Volksrepublik überquert haben], gelten | |
automatisch als illegale Einwanderer. Drückten die Behörden früher oftmals | |
ein Auge zu, greifen sie längst wieder rigider durch. Die | |
UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Nordkorea, Elizabeth | |
Salmon, schätzte gegen Ende der Corona-Pandemie, dass bis zu 2.000 | |
nordkoreanische Flüchtlinge in chinesischer Haft festsitzen würden. | |
Eines dieser Abschiebegefängnisse befindet sich nahe Tumen, einem | |
verschlafenen Grenzort im Nordosten Chinas. Wer als Journalist die Anlage | |
besichtigen möchte, wird allerdings bereits von Weitem von der | |
Sicherheitspolizei abgewiesen – und im gesamten Grenzgebiet auf Schritt und | |
Tritt verfolgt. | |
Im Oktober letzten Jahres ist es laut südkoreanischen | |
Menschenrechtsorganisationen zur letzten großen Abschiebewelle gekommen: | |
600 Nordkoreaner sollen damals in ihre Heimat deportiert worden sein. | |
Einige von ihnen sind mutmaßlich auch im „Kyohwaso Nummer 12“ gelandet. | |
Die nordkoreanische Führung muss derzeit nicht fürchten, führ ihre | |
Machenschaften zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und auch die | |
Überlebenden der Lager können kaum auf Gerechtigkeit hoffen. „Einige der | |
Zeugen wollten, dass wir ihre Antworten auf Video aufzeichnen“, sagt | |
Aktivistin Joanna Hosaniak von NKHR: „Weil sie Angst davor haben, den Tag, | |
an dem ihr Fall vor Gericht verhandelt wird, nicht mehr zu erleben“. | |
30 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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