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# taz.de -- Drummerin Valentina Magaletti im Porträt: Frei Improvisieren zu no…
> Basta! Drummerin Valentina Magaletti ist genervt von der schwachen
> Repräsentation von Frauen in der Freejazzszene. Sie macht Front gegen die
> Missstände.
Bild: Kupfer, Zinn und Nickel: Die italienische Drummerin Valentina Magaletti k…
Die internationale Improviser-Szene stellt man sich am besten wie ein
Bingo-Spiel vor: Oben auf der Bühne steht eine große Trommel, darin sind
etliche Kugeln, jede hat jeweils eine Zahl und die steht jeweils für eine
Improvisationsmusiker*in. Nach und nach werden die Kugeln gezogen, und wenn
man Glück hat, ergibt die Kombination ein Bingo, vulgo eine funktionierende
Improvisationsgruppe. Die 73 spielt dann mit der 14, die 31, die 2 und
die 19 kommen überraschend oft zusammen.
Die 60 heißt eigentlich Valentina Magaletti. Und die improvisiert gerne
auch allein am Schlagzeug. Wenn man sich das auf diese spielerische Weise
vorstellt, beschreibt die Anleitung mehrere Facetten einer besonders
umtriebigen und lebendigen Musikszene, die sich weltweit auf Festivals und
in den Konzertclubs von London (Cafe Oto), Berlin (KM 28) und New York
(Knitting Factory) wohlfühlt.
Erstens: Die Akteur*innen sind in der Regel superflexibel und können mit
anderen Kolleg*innen spontan ein Konzert auf die Beine stellen. [1][Oft
muss man sich nur kurz auf ein Motiv, ein Tempo oder einen Takt und eine
Tonart einigen.] Zweitens: Nach dem Gesetz der großen Zahl sind alle
Akteur*innen immer wieder aktiv, aber natürlich gibt es Phasen, in denen
ein*e Musiker*in häufiger aus der Trommel gezogen wird. Womit wir bei
einem wichtigen Unterschied wären, nämlich dem, dass diese Häufigkeit nicht
nur mathematisch zu erklären ist, sondern auch durch ein gesteigertes
Interesse des Publikums und natürlich durch außergewöhnliche Qualität. Ein
Beispiel dafür ist die italienische Künstlerin Valentina Magaletti, deren
Nummer in den letzten fünf Jahren besonders häufig angewählt wurde.
An gleich drei Wänden in Magalettis Londoner Wohnzimmer reihen sich
Tausende von Schallplatten streng aneinander auf, vor oder neben ihnen
stehen allerlei Gimmicks, Spielzeuge und Ikonen. Hier steht ein
Pappaufsteller von David Bowie in der Ecke, gleich mehrere Bilder und
Drucke mit Bezug zur US-Cartoonserie „Die Simpsons“ lassen eine Vorliebe
für die gelbe Parallelwelt von Springfield erahnen. Man könnte die Szenerie
als ernst, aber nicht todernst bezeichnen, und das trifft auch auf das
Ethos der 1977 in Bari, Süditalien, geborenen Freejazzschlagzeugerin
Magaletti zu.
## Rituelle, schamanische Momente
Sie suche immer den Spaß in ihrem Schlagzeugspiel, sagt sie, und verweist
im nächsten Moment auf die Seriosität, mit der ihr Projekt CZN rituelle,
schamanische Momente beim Trommeln erforscht. Die von dem portugiesischen
Drummer João Pais Filipe ins Leben gerufene Gruppe CZN trägt eine gewisse
Rohheit schon im Namen: Das Kürzel steht für Kupfer, Zinn und Nickel, die
Metalle, aus denen Becken und Gongs bestehen, die hier gespielt werden. Es
ist nur eine von vielen Combos, in denen man Magaletti auf dem
Schlagzeughocker sitzen sieht.
Daneben gab es bis zum Tod von Bandkollege Tom Relleen im Jahr 2020 das
Vorzeigeprojekt Tomaga, das sich auf einer immer wieder verschwimmenden
Linie zwischen Industrial, Jazz, Psychedelic und Minimal Music bewegte –
und damit die Noiserock-Pioniere Thurston Moore und Lee Ranaldo von Sonic
Youth [2][genau wie die deutsche Gruppe Faust] zu Begeisterungsstürmen
hinriss.
Undergroundiger ist das stark von Dub(-techno) beeinflusste Postpunk-Trio
Holy Tongue. Das hat gerade ein Album mit dem britischen
Elektronikproduzenten Shackleton veröffentlicht. [3][„Afternoon X“ war 2023
hingegen das Erfolgsalbum für das experimentelle britische Poptrio
Vanishing Twin, bei dem Magaletti genauso wie] bei allen vorgenannten
Gruppen Schlagzeug spielt.
Klingt das schon nach genug Arbeit, so ist Magaletti überdies ständig als
Solistin und als Improvisationskünstlerin unterwegs. „In diesem Jahr sind
es, glaube ich, mehr als 100 Auftritte“ – da hört man auch einen Hauch von
Erschöpfung heraus. Rastlos scheint nicht das richtige Prädikat zu sein,
vielmehr will Valentina Magaletti die Möglichkeiten ihres
Percussioninstruments sukzessive ausloten. „Ich liebe den physischen Aspekt
des Spielens, bei dem das Schlagzeug wie eine Prothese zur Verlängerung
meines Körpers wird“, schwärmt sie und fängt ihre eigene Euphorie gleich
wieder ein: „Genau das hat dazu geführt, dass das Schlagzeug so lange als
männliches Instrument mit viel Machismo galt.“
## „Es gibt ein feministisches Schlagzeugspiel“
Nichts gegen die götzenhaft verehrten Rockschlagzeuger – Magaletti ist
selbst ein großer Industrial-Fan –, aber mit diesen Gesten werde man der
Schießbude nicht gerecht. Vielmehr sei es ein vielseitiges Instrument, das
„sowohl männliche als auch weibliche Anteile“ in sich trage: „Es gibt ein
feministisches Schlagzeugspiel“. Dies zu beweisen, das liegt Valentina
Magaletti nicht nur am Herzen, sie hat es selbst bereits vorgemacht: 2020
erschien ihr Debüt-Soloalbum mit dem Titel „A Queer Anthology of Drums“.
Ja, sagt sie, ich gehöre gleich zwei marginalisierten Gruppen in der
Musikszene an: „Ich bin queer und ich bin eine Frau.“ Auf dem Album begibt
sie sich auf eine acht Stücke umfassende Improvisationsreise, die versucht,
die Geschichte des Free Jazz und der experimentellen Musik neu zu erzählen.
Schwirrende Glocken, krachende Becken, ein Tröpfeln, der Einfluss von
(männlichen) Ikonen wie Sven-Åke Johansson, Han Bennink und Milford Graves
sind deutlich zu hören, obwohl Magaletti gerade ihre eigene Geschichte
avantgardistischer Solokünstler*innen erzählt. Das Album ist nicht
ihre einzige Auseinandersetzung mit den Diskrepanzen in der
(experimentellen) Musikszene; in diesem Jahr ist auch das Buch „Basta Now.
Women, Trans & Non-binary in Experimental Music“ von der französischen
Autorin Fanny Chiarello erschienen, an dem Magaletti mitgearbeitet hat. Sie
hat es in ihrem neu gegründeten Verlag Permanent Draft veröffentlicht. „Wir
hatten es satt, dass uns jahrelang gesagt wurde, es gebe keine
Experimentalmusikerinnen, es gebe nur Männer in diesem Feld. Das ist
Mumpitz. Deshalb sagen wir Basta Now – Jetzt reicht’s!“
Weit über 2.000 Namen haben Chirarello und Magaletti zusammengetragen –
alle FLINTA* und als Komponist*innen, Vokalist*innen oder
Instrumentalist*innen in der freien Jazzszene unterwegs.
## Synkopiertund polymetrisch
Während die Booker von Festivals und Clubs nun also die richtige Lektüre
zur Weiterbildung haben, trommelt Magaletti unermüdlich weiter. Nicht nur
in den vielen Bands und Bandprojekten, sondern dieser Tage auch mit der
portugiesischen Produzentin Nídia vom Lissaboner Label Principe. „Estradas“
heißt das gemeinsame Kind. Es rumpelt auf der Platte, die Stücke sind
synkopiert und polymetrisch – vor allem aber sind die neun Tracks tanzbar.
Komplexe Rhythmen für experimentellere Tanzflächen, nie beschönigend und
ein wenig scharfkantig.
Wie schafft Valentina Magaletti es, sich auf so viele Kooperationen und
spontane Improvisationszusammenhänge einzulassen? „Zusammen spielen ist wie
miteinander reden. Man muss zuhören und dann herausfinden, was man sagen
will – und wie. Das auszuloten ist die Kunst – oder kommt ganz natürlich.�…
24 Oct 2024
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## AUTOREN
Lars Fleischmann
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