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# taz.de -- Jazzmusiker Sven-Åke Johansson: Der Taktgeber ist tot
> Ein begnadeter Geräuschemacher und Freundschaftsstifter: Nachruf auf den
> schwedischen Jazzdrummer Sven-Åke Johansson, der jetzt 82-jährig
> verstarb.
Bild: Überall schöne Klänge: Sven-Åke Johansson 2004 in Berlin
Da wäre man ja gerne dabei gewesen, als Dylan in Newport
elektrisch-eklektisch geworden ist und Pete Seeger mit der Axt auf das
Stromkabel losgegangen sein soll. Als Hendrix Gitarren abgefackelt hat. Als
Townshend sein Instrument flux zertrümmerte und was der ikonischen Momente
in den Sechzigerjahren noch so gewesen sind. Na ja, ein wenig gewalttätig,
dies alles. Viel Testosteron. War halt so.
Aber vielleicht wäre ich dann doch lieber dabei gewesen, [1][als Peter
Brötzmann an der niederländischen Grenze ein stotterndes Töff-töff gehört
hat]. Da schlingerte ein motorisiertes Dreirad über die grüne Grenze,
beladen mit einem Koffer und einem rudimentären Schlagzeug. Gelenkt von
einem zart aussehenden jungen Schweden namens Sven-Åke Johansson, vom Ruf
der in Wuppertal und ähnlichen Weltstädten angesiedelten Free-Jazz-Recken
angelockt; dieser bärtigen, dieser kahlköpfigen, dieser trinkfesten und
ebenfalls testosteron-gesteuerten Tafelrunde wollte er sich anschließen,
deren Musik sich so arrogant wie selbstbewusst neben die afroamerikanischen
Free-Eskapaden gestellt hat in jenen Tagen der scheinbar unbegrenzten
Möglichkeiten Ende der 1960er.
Ein Schlagzeuger in Tanzkapellen war Johansson, Bebop-Schlagwerker ist er.
Und ein freier Mensch. Töff-töff. Gekommen, um nicht mehr zu gehen. Moderne
Nordeuropäische Dorfmusik sollte es sein, [2][mal mit schlitzohrigen
DDR-Bohemiens wie Petrowsky oder Diesner], mit den FMP-Rabauken oder einem
Schlippenbach, mit den schabenden, kratzenden Briten, einem Lol Coxhill,
einem Phil Minton. Mit Hippies im deutsch-deutschen Grenzgebiet.
## Mit Martin Kippenberger im Westberliner SO36
Wenig später mit Martin Kippenberger und was sonst so im Westberliner Club
SO36 die Wände hoch ging. Da löste sich Johansson bereits vom Bild eines
Free-Schlagzeugers, wurde mal als Fotograf, mal als Zeichner gesichtet, mal
als Sänger, als Akkordeonspieler, als Dichter – alles war [3][„eine
Denkbarkeit, die eintreten konnte oder nicht, just wie’s der Zufall
wollte“, heißt es bei Lawrence Sterne] – und so hat er auch mir die Freude
gemacht und meine Lesungen begleitet oder Musik für Hörspiele beigesteuert,
wie es kein anderer gekonnt hätte.
So liegt etwa im Giftschrank des Bayerischen Rundfunks ein nie gesendetes
Stück, ein Beckett-Text, von Johansson in seinem Broken German
eingesprochen und dann im Playback die von ihm auf Karton gespielte Musik
dazu: Es war irgendwas mit Rechten, warum sich niemand getraut hat, das zu
senden. Ein Jammer. Am Sonntag um 14 Uhr 20 ist Sven-Åke Johansson in einem
Berliner Hospiz verstorben. Und jetzt weiß er, nur er, wie sich der Stachel
des Todes anhört, was uns zu seiner vorletzten großen Eigenschaft bringt:
Sven war nicht nur ein großartiger wie unebener Taktgeber und Tastenmann
und Sangesverweigerer, er war vor allem ein unerreicht neugieriger Hörer.
Speziell im Free Jazz hat dieses Aufeinanderhören ja einen ungemeinen
Stellenwert, ist vordringlichste Eigenschaft, aber dort ist es auch zum
Selbstzweck verkommen, gelegentlich oder öfter, zum Klamauk, zum
Faxenmachen. Nicht mit Sven. Mit einem ungeahnten Ernst konnte er über den
Klang von Fliesen, sich drehender Ventilatoren, von geöffneten und
geschlossenen Telefonbüchern, von Pappkartons oder Zweitaktern referieren.
Und Gurken. Und Becken aus Schaumstoff. Und mit Springerdreckszeitungen
vollgestopften Klavieren. Und wenn er im coolen Dreiteiler Alltagsgeräusche
als Musik kenntlich machte, hat er so viele von uns beschämt, dass wir
dieses oder jenes nicht gleich und von Natur aus so gehört haben wie er:
als Manifest schwingender Schönheit.
## Sich zurücknehmen, damit andere glänzen
Und dieser schlingernde Sven war ein großer Freundschaftsstifter, speziell
auf der Bühne. Wie er sich zurücknahm, damit andere glänzen konnten, seine
Mitmusiker oder ein Komponist wie Irving Berlin. Oder Operettenmusik. Oder
Märsche. Und diese Liebe zur Kooperation erlaubt es mir auch, Sven kurz auf
dieser Wolke da zu parken und Louis Moholo zu erwähnen, drei Jahre älter
als Sven, der letzte der südafrikanischen Blue Notes, zwei Tage vor Sven
verstorben und durch seine Veröffentlichungen auf dem Berliner FMP-Label
auf ewig auch mit dem Werk von Sven-Åke Johansson verknüpft.
Diese kameradschaftliche Zugewandtheit, dieses Uneitle ist also Svens
größte Eigenheit und Eigenschaft gewesen, so rar, so kostbar, so selten auf
Erden. Sven-Åke Johansson, es war uns eine Ehre.
16 Jun 2025
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## AUTOREN
Karl Bruckmaier
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