# taz.de -- Komponist Georg Katzer: Seismisches Gespür | |
> „Es ist gleich zwölf, kein Gott uns helf“: Eine Erinnerung an den | |
> Zeuthener Komponisten und DDR-Elektronikpionier Georg Katzer zum 90. | |
> Geburtstag. | |
Bild: Zwischen Innovation und Reflexion: Georg Katzer | |
Zwölf Minuten, in denen Musik gründlich durcheinandergewirbelt wird und | |
dabei überzeugend klingt: Das explosionsartige Wirrwarr ist genau gesetzt, | |
wirkt mathematisch exakt sogar. Die Rede, sie kann nur eine Annäherung an | |
die Musik sein, ist von „Baukasten für Orchester“, einer Komposition, die | |
1982 im Musikunterricht der DDR obligatorisch war und auf einem nüchtern | |
„Neue Werke: Musikhören“ betiteltem Album vorgestellt wurde. | |
Im Schulgebrauch war das Werk Aufhorcher und Ausreißer zugleich. Es stellte | |
Stücke von drei in der DDR arbeitenden Komponisten vor; auf dem Cover | |
schien es, als wären sie einer haarigen und hippiesken Rockband | |
entsprungen: Friedrich Goldmann, Reiner Bredemeyer und der Zusammensetzer | |
des Orchesterbaukastens. | |
Er trägt Lederjacke: Georg Katzer (1935–2019), zum Zeitpunkt der | |
Album-Veröffentlichung Urheber eines Streichquartetts, zahlreicher | |
Orchesterkompositionen und Klavierstücke, einer Oper und zweier Ballette, | |
eines Konzerts für Jazztrio und Orchester und elektroakustischer | |
Kompositionen. | |
## Große Balance | |
„Offenheit und Genauigkeit“, damit charakterisiert Helmut Zapf, | |
Meisterschüler Katzers von 1982 bis 1986, seinen Lehrer im Gespräch mit der | |
taz. In Katzers Musik hört Zapf eine „große Balance von Innovation und | |
Reflexion dessen, was dann der Musiker umsetzen muss“. Heiner Reinhardt, | |
Katzer-Interpret mit Hintergrund in Jazz und Improvisierter Musik, hebt | |
hervor: „Wenn das Spiel nicht genau dem Notenblatt folgte, hat Katzer das | |
geschehen lassen. Aber es musste klingen, das war wichtig.“ | |
Und der Künstler war einer, der Humor ernst nahm: „Georg hatte einen großen | |
Sinn für gute Unterhaltung; Neue Musik, die zum Nachdenken anregt, regt | |
auch zur Konversation an“, sagt Helmut Zapf, angesprochen auf „Das Land | |
Bum-Bum“, Katzers Oper für Kinder und Erwachsene von 1979, mit [1][einem | |
Libretto von Rainer Kirsch] nach Motiven Roald G. Dobrovenskijs. | |
„Neugierig“ war der „kleine, große Mann“ Georg Katzer, erinnert sich d… | |
Musikwissenschaftlerin und Musikerin Susanne Binas-Preisendörfer. Einen | |
„Mann der Positivität“ nennt der Musikwissenschaftler und Herausgeber | |
Stefan Amzoll in der Festschrift „Landschaft für Katzer“ 2005 den | |
Siebzigjährigen, der im Gespräch mit der Zeitschrift Utopie Kreativ sagt: | |
„Ich meine, dass Kunstproduktion nicht aus der Verweigerung kommen sollte, | |
sondern aus der Bejahung.“ | |
## Eine Chance, zunächst | |
Dieser programmatische Satz ist angesichts von Katzers Biografie | |
bemerkenswert: Am 10. Januar 1935 in Habelschwerdt, Schlesien, geboren, | |
gehörte Katzer zu denen, die als Jugendliche nach dem Zweiten Weltkrieg den | |
Sozialismus und die DDR zunächst als Versprechen und Chance sahen. Einer | |
seiner Lehrer war Hanns Eisler. | |
1963 wurde Katzer in Berlin freischaffender Komponist, zu seinen frühen | |
Arbeiten zählen Filmmusiken, so 1965 für Hermann Zschoches und Ulrich | |
Plenzdorfs „Karla“, einen der Filme, die nach dem 11. Plenum des ZK der SED | |
kaltgestellt wurden. | |
Dann kam Prag 1968: „Die Niederschlagung des ‚Prager Frühlings‘ war für | |
mich das einschneidendste politische Ereignis. Von diesem Zeitpunkt an habe | |
ich nicht mehr an die innere Kraft des Sozialismus, sich zu regenerieren, | |
zu einem wirklichen Sozialismus zu werden, geglaubt. Die Hoffnung kam erst | |
viel später noch einmal auf, als Michail Gorbatschow auf 1985 den Plan | |
trat“, sollte sich Katzer gegenüber Stefan Amzoll erinnern. | |
Aber, Katzer, der seit 1975 nicht nur in den Studios der Elektroakustischen | |
Musik in Prag und Bratislava, sondern auch in Stockholm und Bourges | |
(Frankreich) arbeiten konnte, ist immer wieder in die DDR zurückgekehrt, | |
betont Binas-Preisendörfer. | |
1982 gründete Georg Katzer an der Akademie der Künste in Ostberlin, deren | |
Mitglied er seit 1978 war, das bis heute bestehende Studio für | |
Elektroakustische Musik. Dass es in der DDR, verglichen auch mit den | |
Bruderländern, bis kurz vor ultimo brauchte, sagt einiges zum Stellenwert | |
von experimenteller Musik. | |
In dem Studio nahe der Berliner Mauer entstand „Aide-Mémoire“, eine | |
eindringliche, mahnende Komposition aus O-Tönen der Nazizeit. Erschienen | |
ist sie 1986 in der DDR beim Label Nova und vorher bereits beim | |
unabhängigen Label Recommended Records in London. | |
## Connections nach London | |
1988 moderierte Katzer im Plenarsaal der Akademie einen Auftritt der | |
experimentellen Band Der Expander des Fortschritts, deren Debütalbum 1989 | |
ebenfalls zu Recommended nach London gelangte. Entstanden ist es zu Teilen | |
in Katzers Studio. Susanne Binas-Preisendörfer, damals und heute | |
Expander-Mitglied, erinnert sich an Aufnahmen, in die niemand | |
hineindirigierte. | |
Im Juni 1989 spielten Georg Katzer an einem ausgefeilten Elektronik- und | |
Computerset und Wolfgang Fuchs an Saxofon und Klarinetten das feinkörnige | |
Album „FinkFarker“ ein. [2][Erschienen ist die Ost-West-Kooperation auf | |
FMP], im Studio des Westberliner Free Jazz-Labels ist sie auch aufgenommen | |
worden. [3][Katzers Interesse an Improvisation und Jazz lässt sich bis in | |
seine Zusammenarbeit mit dem Jazzmusiker Ernst-Ludwig Petrowsky | |
verfolgen.] Aus ihr erwuchs 1997 das Trioalbum „Cooperations“ mit der | |
Sängerin Uschi Brüning, Katzer und Petrowsky. | |
„Eine große Inspirationsquelle war die Literatur“, sagt Heiner Reinhardt. | |
Bereits 1973 hatte Katzer „Die Igeltreppe“ [4][der Dichterin Sarah Kirsch] | |
vertont. Johannes Bobrowski und Wolfgang Hilbig sollten hinzukommen. Der | |
Saxofonist Reinhardt wirkte 1994 an der szenischen Umsetzung von Durs | |
Grünbeins „Fahrtenbuch“ am Hebbel-Theater mit. | |
## Lieber frankophil als Deutschtümelei | |
Der Landschaftskomponist Georg Katzer verfügte über genug seismisches | |
Gespür, dem 1989 voreilig verkündeten Ende der Geschichte kein Oratorium zu | |
schreiben. Blühende Landschaften hießen bei dem frankophilen Katzer „Les | |
Paysages Fleurissants“. Klingt besser und ist ein skeptischer, zur | |
Jahrtausendwende gesetzter Kommentar. Das war vor mittlerweile einem | |
Vierteljahrhundert. | |
Und heute, da es zunehmend um die Ausrechenbarkeit und Funktionalität des | |
Menschen geht, sollte eine vor wenigen Monaten erschienene CD gehört | |
werden: „Mensch und Maschine“ versammelt vier Kompositionen, von denen drei | |
auf Texten des vehementen Aufklärers Julien Offray de La Mettrie beruhen. | |
„L’Homme-Machine“ spricht und spielt Matthias Bauer, Bassist und | |
langjähriger Katzer-Interpret. | |
2017 hat Bauer anlässlich von Katzers 85. Geburtstag eine andere späte | |
Komposition aufgeführt: „Pandoras Kiste“, in deren Partitur tatsächlich d… | |
Anweisung „Rap!“ steht und es später heißt: „Es ist gleich zwölf, kein… | |
uns helf.“ Das ist mal ein Programm, nicht von gestern und nicht aus dem | |
Elfenbeinturm, so verlockend der auch in der Landschaft steht. | |
8 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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