| # taz.de -- Autorin Nino Haratischwili über Georgien: „Wir dürfen nicht mü… | |
| > Vor der Wahl in Georgien bittet Schriftstellerin Nino Haratischwili | |
| > Europa, die Opposition zu unterstützen. Die Abkehr von Russland hat ihren | |
| > Preis. | |
| Bild: Eine Demonstration gegen das Gesetz über „ausländische Einflussnahme�… | |
| taz: Frau Haratischwili, in diesem Jahr verabschiedete Georgiens Parlament | |
| zwei umstrittene Gesetze nach russischem Vorbild: Eines über „ausländische | |
| Einflussnahme“ und eines zum [1][Verbot von „LGBT-Propaganda“]. Am 26. | |
| Oktober wählt Georgien ein neues Parlament. Was erwarten Sie von den | |
| Neuwahlen? | |
| Nino Haratischwili: Die Proteste gegen die Regierung werden weniger. Aber | |
| wir dürfen nicht müde werden. Darauf hofft die Regierung. Die | |
| Georgier:innen im Land und in der Diaspora dürfen nicht dem Nihilismus | |
| verfallen. Den spüre ich manchmal selbst. Dann denke ich: Oh Gott, ich kann | |
| nicht mehr, ich habe keine Kraft und keinen Glauben mehr. Aber gegen diese | |
| Stimmung muss man ankämpfen. Und wir müssen in Europa um Unterstützung in | |
| diesem Kampf bitten. | |
| taz: Was meinen Sie mit Unterstützung? | |
| Haratischwili: Sanktionen. Reiseverbot für Politiker, die diese Gesetze | |
| verabschiedet haben. Sperrung von Konten. Mittlerweile bin ich da rigoros. | |
| Es gibt zum Glück schon einige Sanktionen, vor allem seitens der USA. In | |
| Deutschland ist es da mit Sanktionen nicht so einfach, die müssen mit der | |
| EU abgestimmt werden, um sie zu verhängen. | |
| taz: Wie sehen Sie die Chancen der Opposition bei den kommenden Wahlen? | |
| Haratischwili: Es bleibt oft das Gefühl, sich zwischen schlecht und noch | |
| schlechter entscheiden zu müssen. Es muss Alternativen geben. Die | |
| Oppositionskräfte müssen versuchen, ein Bündnis zu bilden. Viele | |
| Gruppierungen werden an der Fünfprozenthürde scheitern, wenn sie alleine | |
| antreten. Aber gemeinsam hätten sie sogar die Chance, eine neue Regierung | |
| zu bilden. | |
| taz: In den ersten Jahren der Unabhängigkeit von der Sowjetunion kam es zu | |
| bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Georgien. Könnten nach den Wahlen erneut | |
| Unruhen drohen, wenn die jetzige Regierung an der Macht bleibt? | |
| Haratischwili: Wir leben heute in etwas anderen Zeiten. Bisher sind alle | |
| Demonstrationen einigermaßen friedlich verlaufen. Aber ich schließe nichts | |
| aus. Ich kann mir momentan alles vorstellen, auch das Schrecklichste. Denn | |
| was in Georgien in diesem Jahr passiert ist, habe ich auch für unmöglich | |
| gehalten. | |
| taz: In Ihren Romanen schreiben Sie über das sowjetische und das | |
| unabhängige Georgien. Immer wieder geht es um Menschen, die ihr Leben für | |
| die Freiheit aufs Spiel setzen. Erkennen Sie Parallelen im heutigen | |
| Georgien? | |
| Haratischwili: [2][Das Buch „Das achte Leben (Für Brilka)“] habe ich vor | |
| zehn Jahren geschrieben. Es endet mit einer Szene, in der die Polizei zum | |
| Parlamentsgebäude marschiert und gegen Demonstranten vorgeht. So etwas | |
| passiert heute, in Tbilisi. Bürger:innen werden unterdrückt. Ich hätte | |
| mir nicht träumen lassen, dass Georgien nicht vorwärts, sondern rückwärts | |
| geht. | |
| taz: Was macht Ihnen Hoffnung? | |
| Haratischwili: Früher haben wir hinter einem Eisernen Vorhang gelebt. Es | |
| gab keinen freien Zugang zu Informationen. Wir waren von der Welt | |
| abgeschnitten. Heute ist das anders. Die Menschen können verreisen, solange | |
| sie es sich leisten können. Sie können googeln, sich informieren. Sie | |
| sprechen meistens auch eine weitere Sprache außer ihrer Muttersprache. All | |
| das macht sie weniger korrumpierbar. Die Menschen stehen für ihre Rechte | |
| und für ihre Überzeugung ein. Das gibt mir Hoffnung. | |
| taz: Russland sieht es nicht gerne, wenn sich seine Nachbarn ab- und dem | |
| Westen zuwenden. Droht Georgien das gleiche Schicksal wie der Ukraine, wenn | |
| es an seiner Annäherung an die EU festhält? | |
| Haratischwili: Ich kann keine Prognosen abgeben, weil ich – wie die meisten | |
| von uns – nicht weiß, was alles im Hintergrund passiert, welche Absprachen | |
| stattgefunden haben. Ich habe keine Ahnung, warum unsere Regierung | |
| ausgerechnet jetzt mit diesen Gesetzesänderungen kommt. Ich hoffe einfach, | |
| dass die Wahlen im Oktober uns die nötigen Veränderungen bringen. Dass | |
| Russland für alle westlich orientierten Nachbarstaaten ein Problem | |
| darstellt, ist ja jetzt nichts Neues. Wir haben eine sehr lange und sehr | |
| blutige Geschichte mit diesem Land und es ist sehr bedrückend, dass uns die | |
| Ablösung so teuer zu stehen kommt. Aber das hat Georgien nie daran | |
| gehindert, seinen Platz in der europäischen Familie zu sehen und gen Westen | |
| zu streben. Und diesen Kurs will der Großteil der Bevölkerung auch | |
| beibehalten. | |
| taz: Die Europäische Union hat Ende Juni den Beitrittsprozess für Georgien | |
| auf Eis gelegt. Was halten Sie davon? | |
| Haratischwili: Das war abzusehen. Und es deprimiert mich, dass so viel | |
| Mühe, so viel jahrelange Arbeit, so viel Engagement seitens der | |
| Zivilgesellschaft vorerst gestoppt wurde. Aber ich bleibe zuversichtlich | |
| und hoffe, dass der Prozess wieder aufgenommen wird, sobald der | |
| Regierungswechsel stattfindet. Und das scheint mir unausweichlich nach all | |
| den Entwicklungen der letzten Jahre und Monate. | |
| taz: Wurden ehemalige Sowjetrepubliken wie Georgien oder die Ukraine in | |
| ihren Autonomiebestrebungen zu lange allein gelassen? | |
| Haratischwili: Wissen Sie, der Westen hat den Osten nie richtig ernst | |
| genommen. In Brüssel oder in Berlin hat man lange Zeit nicht auf die | |
| Stimmen aus Ländern gehört, die bittere Erfahrungen mit Russland gemacht | |
| haben. Das Narrativ und die Perspektive des Ostens waren immer weniger wert | |
| als das Narrativ und die Perspektive des Westens. Durch Russlands Krieg in | |
| der Ukraine hat sich das geändert. Der Westen hat endlich seine | |
| Scheuklappen in Richtung Osteuropa abgelegt. | |
| 11 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tigran Petrosyan | |
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