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# taz.de -- Penthesilia von Nino Haratischwili: Plädoyer für Tod und Unentsch…
> Autorin und Regisseurin Nino Haratischwili zeigt am Deutschen Theater
> Berlin eine Penthesilea zwischen Liebe und Krieg – auf Deutsch und
> Georgisch.
Bild: Penthesilea (Eka Nizharadze) und Alcibie (Anano Makharadze) in Nino Harat…
Bei Nino Haratischwili gibt es Penthesilea zwei Mal. Almut Zilcher ist die
weise, melancholische Penthesilea, die in allen Zeitebenen zu Hause ist.
Sie weiß, was war und weiß, was werden wird. Und so schaut sie auf ihr
Alter Ego, das nur in der Gegenwart lebt, mit einem Blick, der Ironie und
Empathie vereint. In den ersten Minuten ist die zeitlose Penthesilea allein
auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin. Almut Zilcher
kauert auf dem Boden. Um sie herum weiße Stoffbahnen, die an Flügel
erinnern (Kostüme: Gunnar Meyer).
Wie ein gefallener Engel wirkt sie, richtet sich auf und geht in medias
res: „Sie werden gleich hier sein, dann soll ich mich in Hass üben, den ich
doch längst verlernt habe.“ Ihre Kriegerinnen werden von ihr den Sieg gegen
den Griechen Achill einfordern. Denn neun Jahre tobt der Krieg bereits um
Troja, die Amazonen haben sich in ihn hineinziehen lassen. Aber Feldherr
und Feldherrin begehren sich jetzt und nennen es Liebe.
„Unser Blut wenigstens darf sich vereinen. Töte mich. Oder ich töte dich“,
endet Zilcher den Auftaktmonolog. Autorin [1][Haratischwili] führt das
animalische Begehren der beiden in ein gegenseitiges Abschlachten über.
Eine neue Variante im Penthesilea-Achill-Komplex: Im antiken Mythos mordet
Achill die Amazonenkönigin, [2][bei Kleist ist es umgekehrt]. Haratischwili
plädiert für Tod und Unentschieden.
Bei „Penthesilea: Ein Requiem“ dauert es zwei Stunden bis zum Doppelmord.
Die Gunst der Zuschauer wandert zwischen den Figuren hin und her. Manuel
Harders Achill gibt sich kriegsmüde, seine Herrschergesten unterlegt er mit
Ironie. Seine Alphatier-Coolness wird dadurch nicht geschmälert. Das weiß
er.
## Sie hält die Pose der Kriegerin lange durch
Eka Nizharadzes Gegenwarts-Penthesilea hält die Pose der Kriegerin lange
durch, schaut wahnsinnig streng und knickt dann ein. Nino Haratischwili hat
ein zweisprachiges Stück geschrieben. Die deutsche und die georgische
Sprachmelodie treffen aufeinander und laden sich gegenseitig auf. Ein
sinnlicher Hinweis, dass die beiden Hauptfiguren aus ganz unterschiedlichen
kulturellen Kontexten kommen.
Als Nebenfigur wird Thersites, Achills Diener, eingeführt und bekommt den
wichtigsten Monolog im ganzen Stück: eine Abrechnung mit dem
selbstbezogenen, verantwortungslosen und unmenschlichen Verhalten seines
Chefs. Tote über Tote sind das Resultat. [3][DT-Neuzugang Jens Koch] steht
an der Rampe und spricht gegen seinen Heerführer an, der ihn mit Schlägen
mundtot machen will und letztendlich ersäuft. Kochs Thersites kann seine
Würde nicht verlieren, denn er hat sie sich schwer errungen. Das ist die
Schwingung, die im Saal ankommt.
Wecker-Ticken kündigt den Countdown an, Trommelwirbel ertönt, und dann
werden vom Schnürboden dehnbare Bänder heruntergelassen. Regisseurin
Haratischwili macht Harder und Nizharadze zu schwingenden Marionetten. In
den Bändern hängend spielen sie fast schwerelos Begehren und Zerstörung.
Minuten vorher stehen beide hinter fahrbaren Glaswänden. Sie verwischen so
die Trennung zwischen Realität und Fiktion, erzählen von Illusion und
erinnern gleichzeitig an Projektion (Bühne: Julia B. Nowikowa).
Zum zweiten Jahrestag des russischen Angriffskriegs in der Ukraine geht
einen Penthesilea anders an als vor gut zwei Jahren. Haratischwilis
energiegeladener Text fordert auf, sich zu den Figuren zu verhalten. Und er
schafft es, Fragen neu zu stellen, dadurch, dass er die Figuren in ihrer
ganzen Ambivalenz zulässt. Am Schluss ist Almut Zilchers
Über-Ich-Penthesilea wieder allein auf der Bühne und stellt fest: „Die
Toten werden zu Schatten. Und wir nehmen ihre Plätze ein.“
25 Feb 2024
## LINKS
[1] /Georgische-Autorin-ueber-Sowjetunion/!5915231
[2] /Kleist-am-Schauspiel-Frankfurt/Main/!5354963
[3] /Edward-II-am-Deutschen-Theater-Berlin/!5965775
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Deutsches Theater
Mythos
Frau
Georgien
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Theater
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Thalia-Theater
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