# taz.de -- Das Montags-Interview: "Eine spannende Odyssee" | |
> Über die Ungeduld ihrer Landsleute wird sie schon manchmal wütend, auch | |
> über die Dominanz der Familie, mit der jede Entscheidung abgesprochen | |
> werden muss. Aufgeben würde die in Hamburg lebende junge Prosa- und | |
> Theaterautorin Nino Haratischwili ihre Heimat Georgien aber nie. | |
Bild: Schreibt auf Deutsch, wenn sie sich mit Deutschland auseinandersetzt: Nin… | |
taz: Frau Haratischwili, wie oft fahren Sie nach Georgien? | |
Nino Haratischwili: Es ist nach wie vor ein Zuhause, und ich versuche | |
mindestens einmal jährlich hinzufahren. Ein Großteil meiner Familie und | |
etliche Freunde leben dort. Und unabhängig von der Nationalität ist Tiflis | |
der Ort, an dem ich aufgewachsen bin und den ich ab und zu aufsuchen muss, | |
um eine andere Energie zu tanken. | |
Welche Stimmung herrscht dort? | |
Es ist nicht wirklich ruhig; auch ist unklar, wie genau die politische Lage | |
ist. Das Volk ist unzufrieden. Die Parteien sind zerstritten. Keiner weiß, | |
wohin die Reise geht - auch nicht in Bezug auf Abchasien und Ossetien. Der | |
Krieg mit Russland hat keinerlei Klarheit gebracht, sondern viel Elend. Das | |
wissen alle, und niemand glaubt mehr, dass dieses Problem militärisch | |
lösbar ist. Rein kräftemäßig ist es ja auch absurd, daran auch nur zu | |
denken. Andererseits ist es aufgrund der russischen Politik schwer, das | |
Problem diplomatisch zu lösen. So bleibt das Ganze merkwürdig unklar, denn | |
es gibt immer noch die Hoffnung, dass die Flüchtlinge, die zweimal - erst | |
in den Neunzigern und jetzt 2008 - alles stehenließen, irgendwann | |
zurückkehren können. | |
Haben die Tifliser diese Flüchtlinge gern aufgenommen? | |
Ja. Ich war 1990, als der Krieg ausbrach, gerade dort zu Besuch. Zuerst war | |
ich wie betäubt. Andererseits fand ich es sehr beeindruckend, dass alle zu | |
diesen Menschen gingen und ihnen Essen, Kleidung, Kinderspielzeug brachten. | |
War Ihr Umzug nach Deutschland auch eine Flucht? | |
Nicht im politischen Sinne. Meine Mutter ist 1993 nach Deutschland gezogen, | |
weil sie hier Arbeit hatte. Damals herrschten in Georgien Inflation und | |
Arbeitslosigkeit, und etliche Familien wurden auf der Suche nach Arbeit | |
auseinander gerissen. Mein Vater ist damals in die Ukraine gegangen. Meine | |
Mutter hierher; sie wollte eigentlich nur "überwintern". Dann hat es sich | |
ergeben, dass sie blieb. Ich bin damals mitgegangen, allerdings nur für | |
zwei Jahre. Mit 14 ging ich nach Georgien zurück, weil ich Sehnsucht hatte. | |
Als ich dort war, merkte ich, dass ich mich verändert hatte und | |
"westlicher" geworden war. Nach dem Abi in Tiflis habe ich dann | |
beschlossen, in Deutschland zu studieren. Seitdem lebe ich hier. | |
Was genau war Ihnen 1995 an Georgien fremd geworden? | |
Einerseits ist die Pubertät natürlich ohnehin eine Zeit, in der man sich | |
stark verändert. Und für mich war die Ankunft in Deutschland ein echter | |
Kulturschock gewesen: Ich kam aus der georgischen Hauptstadt, aus einem | |
Land, in dem eine laute, lebendige Familie zentral ist - und fand mich in | |
einem nordrhein-westfälischen Dorf wieder, an einer evangelischen Schule. | |
Als ich nach Georgien zurückging, habe ich gemerkt, dass es auch nicht | |
paradiesisch war. | |
Inwiefern? | |
Das fing schon damit an, dass ich mit der Dominanz der Familie nicht mehr | |
zurechtkam. In Georgien tut man nichts, ohne es mit seinen Verwandten | |
abzusprechen. Das fiel mir schwer, weil ich inzwischen gelernt hatte, | |
selbst klarzukommen. Und selbst die Initiative zu ergreifen - ich habe an | |
der Schule eine Theater-AG gegründet -, ist vielen Georgiern völlig fremd. | |
Überhaupt wagt dort kaum jemand gegen den Strom zu schwimmen. Stattdessen | |
erschöpft man sich in fruchtlosem Gerede, ohne etwas zu tun. | |
Fruchtloses Gerede? | |
Den Diskussionen über die letzten 20 Jahre etwa fehlt schlicht die Tiefe. | |
Man belässt es bei einer allgemeinen Unzufriedenheit, Rückwärtsgewandtheit | |
und dem Gefühl, Opfer zu sein. Da gibt es wenige, die genauer hinsehen und | |
bereit sind, sich mit den Schattenseiten der eigenen Mentalität zu | |
befassen. Kaum jemand hat auch die Geduld, die für den Aufbau einer | |
Demokratie nötig ist; viele haben nicht einmal einen Begriff davon. Die | |
treten lieber eilig den Marsch nach Westen an, damit die Wirtschaft | |
floriert und Geld fließt. Es herrscht ein regelrechter Kapitalismus-Boom. | |
Und die Menschen meiner Generation haben sich da schnell angepasst … | |
… während Sie lieber schreiben. Warum eigentlich? | |
Ach, ich habe mich schon als Kind oft in Bücher geflüchtet - einfach, weil | |
ich in einer kulturell interessierten Familie aufgewachsen bin. Aber | |
richtig angefangen hat es, als ich zwölf, 13, 14 war. Damals habe ich das | |
natürlich noch nicht ernsthaft betrieben und mich selbst auch nicht ernst | |
genommen. Irgendwann hieß es dann, ich solle für die Theater-AG der | |
Tifliser Schule ein Stück schreiben. Das habe ich gemacht - dabei hatte ich | |
vom Stückeschreiben überhaupt keine Ahnung! | |
Trotzdem haben Sie sich einfach hineingestürzt …Zum Glück habe ich damals | |
viele Menschen getroffen, die mich bestärkt haben. Da hab ich zum ersten | |
Mal kurz darüber nachgedacht, beruflich zu schreiben. Szenisches Schreiben | |
studieren wollte ich aber nie, weil ich wusste: Das ist mir auf Dauer zu | |
einsam, ich brauche einen Gegenpol. Der war dann das Inszenieren. Das ist | |
eine Teamarbeit, bei der man immer andere Menschen braucht - vom | |
Schauspieler bis zum Lichtdesigner. Beruflich zu schreiben war trotzdem | |
lange kein Thema für mich, weil ich immer dachte: Ich trau mich das nicht. | |
Ich hatte ich immer einen zögerlichen Umgang mit dem Schreiben - obwohl ich | |
immer wusste: Ich brauche das, ich will das weitermachen. | |
Gibt es Erinnerungen, die Sie durch das Schreiben mildern wollen? | |
Das Schreiben ist für mich keine Therapie, nein. Überhaupt ist es nicht | |
sehr selbstbestimmt in dem Sinne, dass ich mit einem Plot und Figuren | |
hinsetze und beschließe: In dem Kapitel passiert das und das. Es es ist | |
eher etwas, das durch mich hindurchfließt. Natürlich muss man einen groben | |
Plan und ein Thema haben. Aber letztlich ist es eine spannende Odyssee, | |
erst im Nachhinein, wenn der Text fertig ist, zu entdecken: Wow, das wollte | |
ich die ganze Zeit sagen! | |
Sie schreiben auch über Georgien. Werden Sie das Thema irgendwann ad acta | |
legen? | |
Es war eher andersrum: Gerade weil ich hier in Deutschland lange als | |
georgische beziehungsweise als deutsch-georgische Autorin gehandelt werde, | |
habe ich immer versucht, dieses Thema zu meiden. Nach dem Regiestudium hat | |
dann mir dann irgendwer vorgeschlagen, über die Heimat zu schreiben. | |
Wie haben Sie darauf reagiert? | |
Ich dachte nur: Oh nee - jetzt kommt das Klischee. Dann bin ich nach Hause, | |
hab mich hingesetzt - und es kam und kam, 70 Seiten, und ich dachte: Mein | |
Gott! Da war doch was! Ich hab es dann sehr gerafft und lektoriert, und | |
2007 wurde "Georgia" in Hamburg aufgeführt. Wir haben damit auch einen | |
Preis gekommen, und jetzt wird es in Wien nachgespielt. Dabei war ich so | |
unsicher, ob der Stoff jemanden interessieren würde. Als 2008 der Krieg | |
ausbrach, wurde es dann aber sehr aktuell. Wir haben am Hamburger Thalia | |
Theater eine Benefizlesung für georgische Flüchtlinge organisiert, und | |
plötzlich kannten viele das Stück. Ich finde es gut, dass darüber eine | |
Aufmerksamkeit für georgische Probleme entstand. Ich würde das Stück | |
irgendwann gern in Georgien aufführen. | |
Apropos: Welches ist eigentlich Ihre Muttersprache? | |
Schwer zu sagen … | |
Aber das Georgische war zuerst da. | |
Ja. Ich bin dort auf eine Schule gekommen, an der viel Deutsch unterrichtet | |
wurde. Es war eine linksorientierte, undogmatische Schule, die ein freieres | |
Lernen erlaubte als die anderen im Land. Da habe ich recht gut Deutsch | |
gelernt, den Rest dann hier. Was die Muttersprache betrifft: Wenn ich nicht | |
auf Deutsch schriebe, würde ich natürlich sagen: Georgisch. Das ist eine | |
merkwürdige Sache, über die ich schon viel nachgedacht habe. Ich glaube, | |
die Ambivalenz hat damit zu tun, dass ich in Deutschland lebte, als ich | |
aktiv anfing zu schreiben. Ich finde, Schreiben ist Gegenwart. Es geschieht | |
immer im Verhältnis zu dem Ort, an dem ich mich aufhalte. Über ihn | |
reflektiere ich, auf ihn reagiere ich. Und inzwischen finde ich es für mich | |
auch legitim, das auf Deutsch zu tun. | |
25 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Deutsches Theater | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Penthesilia von Nino Haratischwili: Plädoyer für Tod und Unentschieden | |
Autorin und Regisseurin Nino Haratischwili zeigt am Deutschen Theater | |
Berlin eine Penthesilea zwischen Liebe und Krieg – auf Deutsch und | |
Georgisch. |