# taz.de -- Podium über Demokratie in Osteuropa: Freiheit statt Ordnung | |
> Ein hochkarätiges Podium an Schriftsteller:innen diskutierte in | |
> Berlin über Demokratie in Osteuropa. Und über die „große Tradition des | |
> Widerstands“. | |
Bild: Die Proteste gegen die Regierung in Serbien stützen die These von der Tr… | |
„Tunc Erit Lux – Then There Will Be Light“ – unter diesem biblisch | |
anmutenden Motto fand am Freitagabend im Maxim Gorki Theater in Berlin | |
eine von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) organisierte, | |
hochkarätig besetzte Diskussion zu Demokratien im Osten Europas statt. An | |
ihr nahmen die Autor:innen [1][Szczepan Twardoch,] Marko Martin, Nino | |
Haratischwili, Maja Pelević und Andrej Kurkow teil – sowie der langjährige | |
Leiter der Behörde Thomas Krüger. Da der sich im Herbst in den Ruhestand | |
verabschiedet, war der Abend, durch den die Suhrkamp-Lektorin Katharina | |
Raabe führte, zugleich eine Abschiedszeremonie für ihn. Die Musikerin Ganna | |
Gryniva untermalte die Veranstaltung mit im Stil des Ethnojazz | |
umgearbeiteten ukrainischen Volksliedern. | |
Raabe begann mit der Prämisse, dass sich Osteuropa durch eine „große | |
Tradition des Widerstands“ auszeichne, die sich als roter Faden durch den | |
Abend zog. Mit Martin und Krüger gab es auf der Bühne gleich zwei Stimmen | |
aus der ehemaligen DDR. Der Präsident der bpb beantwortete Raabes erste | |
Frage danach, ob er sich gesamtdeutsch verorte oder als „Teil der | |
osteuropäischen Sphäre“ verstehe, damit, dass für ihn die | |
Bürgerrechtsbewegungen Charta 77 in der Tschechoslowakei und Solidarność in | |
Polen durchaus prägend gewesen seien. | |
Vielsagend war diesbezüglich auch seine Anekdote von einer Armenienreise in | |
den Achtzigern: Dort sei er von einem Maler gefragt worden, ob er aus | |
Deutschland oder aus der deutschen Sowjetrepublik komme. Die Erfahrung | |
osteuropäischer Dissidenz machte der elf Jahre jüngere Schriftsteller und | |
Publizist Martin hingegen nachträglich – nachdem er die DDR 1989 kurz vor | |
der Wende verlassen hatte. | |
Mitten aus dem Widerstand, von den Straßen Belgrads, reiste die | |
Dramatikerin Pelević nach Berlin an. Sie brachte einen Videozusammenschnitt | |
von den [2][seit vergangenem Herbst anhaltenden serbischen | |
Studentenprotesten gegen die korrupte politische Führung] mit. Die meisten | |
Anwesenden wüssten nicht, was gerade in Serbien passiere, sagte sie | |
merklich aufgewühlt. Das dürfte bei dem interessierten Publikum an diesem | |
Abend nicht ganz stimmen, aber dennoch lassen die vielen Kriege und Krisen | |
in der Welt die Geschehnisse in Serbien in den Hintergrund treten. Pelević | |
zeigte sich enttäuscht vom Westen. Statt die Massenproteste zu | |
unterstützen, gehe man lieber einen lukrativen Lithiumdeal mit Präsident | |
Vučić ein. | |
## Demokratie als Naturzustand | |
Zum Lachen brachte [3][der ukrainische Schriftsteller russischer Herkunft | |
Andrej Kurkow] das Publikum mit seiner Feststellung, es sei „schon | |
tragisch“, Russland als Nachbar zu haben. Für die Ukraine sei die | |
Demokratie ein natürlicher Zustand, befand er, und sie gehe stets mit | |
Anarchie einher. Freiheit sei den Menschen wichtiger als Ordnung, die | |
Zivilgesellschaft stärker als die politische Elite. Letztere respektiere | |
man nicht, benötige sie aber, um Verantwortliche dafür zu haben, wenn etwas | |
schiefläuft – dafür gab es erneut Gelächter im Saal. Eine Gefahr für die | |
ukrainische Demokratie sieht Kurkow vor allem darin, die Zivilgesellschaft | |
im Krieg zu verlieren. Denn ihre Vertreter seien es gewesen, die sich als | |
Erste freiwillig für den Einsatz an der Front meldeten. | |
Der polnische Schriftsteller Twardoch, dessen [4][Roman „Die Nulllinie“] | |
über einen Soldaten in der Ukraine jüngst auch in deutscher Fassung | |
erschien, zweifelte an Raabes Prämisse über die innige Verbindung von Osten | |
und Widerstand. Eine solche Tradition sehe er aktuell in Polen nicht. Die | |
Solidarność-Bewegung liege lange zurück, die heutige Welt sei eine ganz | |
andere. Er erinnerte daran, dass die nationalkonservative PiS, die er | |
anders als viele nicht für eine Gefahr für die Demokratie halte, ihre | |
Wurzeln in der Solidarność habe. Denn zusammen mit der Demokratie habe der | |
Kapitalismus Einzug gehalten, den einige aus der Bewegung als Betrug an | |
ihren Idealen wahrgenommen hätten. | |
Haratischwili beantwortete Raabes Frage danach, wie man den Westen | |
definieren könne, sehr bildstark. Der Westen sei aktuell etwas, das der | |
Osten „mit eigenen Knochen und Blut“ verteidige. Man müsse sich in Europa | |
einen Ruck geben, denn über die europäische „Ideen- und | |
Wertegemeinschaft“ lasse sich mit „Menschenfressern“ nicht verhandeln. | |
Gerne hätte man mehr von der in Georgien geborenen Autorin und | |
Theaterregisseurin gehört. | |
Doch zweieinhalb Stunden erwiesen sich als zu kurz für die vielen | |
bewegenden Positionen auf der Bühne. „Der Osten“ ist schließlich überaus | |
heterogen. Aber man ging mit inspirierenden Impulsen nach Hause – und mit | |
der Aussicht auf weniger dunkle Zeiten. | |
6 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Yelizaveta Landenberger | |
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