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# taz.de -- Der Aufstieg von Giorgia Meloni: Erfolg als angebliche Außenseiter…
> Europas Rechtspopulisten sind geschickt. Ihre Kniffe lassen sich am
> Aufstieg von Meloni zur Ministerpräsidentin Italiens genau studieren.
Bild: Giorgia Meloni dreht lächelnd ihren Kopf
Mit strahlendem Lächeln präsentierte sich Giorgia Meloni spät in der Nacht,
nachdem die italienischen Bürger am 25. September 2022 ihr neues Parlament
gewählt hatten, spreizte Zeige- und Mittelfinger zum Victoryzeichen, hielt
dann ein großes Blatt mit den Worten „Grazie Italia“ in die Kameras. Die 45
Jahre junge Politikerin hatte allen Grund zur Freude.
Beim Urnengang hatte ihre Partei Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens)
allein 26 Prozent der Stimmen eingefahren, war die Rechtsallianz, zu der
auch die rechtspopulistische Lega unter Matteo Salvini sowie Silvio
Berlusconis Forza Italia gehörten, auf 44 Prozent gekommen, was ihr in
beiden Häusern des Parlaments eine stabile Mehrheit von rund 60 Prozent der
Sitze eintrug.
Unmittelbar nach Auszählung der Stimmen war somit klar, dass die neue
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni heißen würde, dass Italien die
„rechteste Regierung seit 1945“ gewärtigen musste (so Enrico Letta, der
damalige Vorsitzende des Partito Democratico), die „erste extrem rechte
Regierung seit Mussolini“ (Washington Post).
Ein Primat wenigstens konnte die Römerin damit für sich beanspruchen: Sie
war die erste Vertreterin einer Partei, deren Wurzeln zurück bis in den
Faschismus reichten, die jetzt nach der Macht in einer westeuropäischen
Demokratie griff. Noch wenige Jahre zuvor hätte dieses Szenario als völlig
unrealistisch gegolten. Die Fratelli d’Italia, erst im Jahr 2012 gegründet,
hatten immer bloß einstellige Wahlergebnisse eingefahren, zwei Prozent bei
den Parlamentswahlen 2013, vier Prozent bei denen von 2018, schließlich
sechs Prozent bei den Europawahlen 2019.
Jetzt aber waren die Fratelli auf 26 Prozent hochgeschnellt – eine Partei,
die in ihrem Symbol weiterhin die „Fiamma tricolore“ zeigt, jene Flamme in
den Farben der italienischen Trikolore, die seit 1946 im Symbol der offen
neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (Italienische
Sozialbewegung) geprangt hatte. Von faschistischen Wurzeln allerdings
redete Meloni in ihrem Wahlkampf nie. Und auch die ihr lieben harten
[1][rechtspopulistischen Positionen] hatte sie bei den zahlreichen
Auftritten während ihrer Kampagne kaum hervorgeholt.
## Vollmundige Töne gestrichen
Nur wenige Jahre zuvor hatte sie noch Italiens Austritt aus dem Euro
gefordert, und nur ein Jahr vor ihrem Wahlsieg hatte sie in ihrer
Autobiografie „Io sono Giorgia“ („Ich bin Giorgia“) gegen die EU gewett…
die bloß „eine undefinierte Entität in den Händen obskurer Bürokraten“ …
„die über die nationalen Identitäten hinweggehen oder sie gleich
abschaffen“ wolle.
Solche Töne hatte sie im Wahlkampf völlig gestrichen, und ebenso wenig bot
sie vollmundige Wahlversprechen, wie sie bei Populisten üblich sind.
Stattdessen suchte sie die Bürger ebenso wie das besorgte Ausland mit einem
Spagat zu überzeugen, ihrem Auftritt als seriöse Populistin. Tausende kamen
zu ihren Kundgebungen im ganzen Land, um dort zu hören, sie werde „keine
großen Versprechungen“ machen.
Nur zwei Dinge sagte sie zu, regelmäßig unter lautem Beifall ihrer
Anhänger: Sie werde die erst im Jahr 2019 eingeführte Grundsicherung wieder
abschaffen, die bloß „ein vom Staat gezahltes Taschengeld“ sei, mit dem
„gesunde 25-Jährige“ davon abgehalten würden, sich endlich einen Job zu
suchen, statt es sich auf dem Sofa bequem zu machen. Und sie werde die
„illegale Einwanderung“ hart bekämpfen, die Menschen ins Land bringe, die
dann „als Dealer und Prostituierte“ die Sicherheit in den Städten
gefährdeten.
## Wurzeln, die nie gefrieren
Zu diesem rechtspopulistischen Sound passte auch die Polemik gegen „große
internationale Finanzspekulanten“, die der Seenotrettung von Flüchtlingen
ihr Geld zukommen ließen. Man darf annehmen, dass sie hier an George Soros
dachte.
Auch nach ihrem Wahlsieg blieb Meloni auf dieser einmal eingeschlagenen
Linie. Die ersten Glückwunschtelegramme kamen von Viktor Orbán, von Marine
Le Pen, von der AfD, von der spanischen rechtsextremen Partei Vox.
Selbstverständlich werde Italien alle europäischen Verträge einhalten und
„die geltenden Regeln respektieren“, ließ sie wissen, auch wenn das Land in
Brüssel „erhobenen Hauptes auftreten“ wolle. Und was war mit jener
Traditionslinie ihrer Partei, die zurückführt zum Mussolini-Faschismus,
jene „tiefen Wurzeln, die nie gefrieren“, wie es unter alten FdI-Kämpen
gerne heißt? Treuherzig versicherte Meloni in ihrer Regierungserklärung,
sie habe für den Faschismus „nie Nähe oder Sympathie empfunden“, auch wenn
sie selbst im Jahr 1992, erst 15 Jahre alt, in den damals noch offen
neofaschistischen Movimento Sociale Italiano eingetreten war.
Doch Meloni behauptete einfach, sie sei in einer „demokratischen Rechten“
aktiv gewesen. Dann beschwerte sie sich, sie komme aus einer politischen
Ecke, die „an den Rand der Republik gedrängt wurde“. Dies sei nicht zuletzt
die Schuld des „militanten Antifaschismus“, der die „von der demokratisch…
Rechten immer erwünschte nationale Versöhnung“ verhindert habe – gemeint
ist die nationale Versöhnung zwischen den antifaschistischen Kräften, die
in den Jahren 1943 bis 1945 gegen Mussolini und die deutschen Nazis
gekämpft, und den Mussolini-Anhängern, die ihrerseits an der Seite der
Deutschen die Partisanen massakriert hatten.
## Kaum im Parlament, schon Vizepräsidentin
Mit dieser kühnen [2][dialektischen Übung] – auf Abstand zum Faschismus zu
gehen, dann aber den Antifaschismus aufs Korn zu nehmen und zu behaupten,
die „demokratische“ Rechte (sprich die Nachfahren der Faschisten) seien
ungerechterweise so „an den Rand der Republik gedrängt“ worden – bereite…
Meloni den Schlussakkord ihrer Regierungserklärung vor: die Behauptung, sie
habe sich dank ihres Wahlsiegs als „Underdog“ gegen den herrschenden
Politikbetrieb durchgesetzt.
Gewiss, dass im Jahr 2022 erstmals eine Postfaschistin zur Regierungschefin
Italiens wurde, markiert einen Einschnitt in der Geschichte des Landes seit
1945. Doch auch bis zu jener Wende sind Meloni und ihre Fratelli d’Italia
alles andere als Underdogs gewesen. Dies zeigt schon ein kurzer Blick auf
ihre Biografie. Schon im Jahr 2006 zieht sie, gerade 29 Jahre alt, ins
Abgeordnetenhaus ein, als Kandidatin aufgestellt von Alleanza Nazionale,
der Vorläuferpartei der FdI, die seinerzeit – genauso wie heute – in einer
Wahlallianz mit Berlusconis Forza Italia und mit der Lega angetreten war.
Mehr noch: Kaum im Parlament, wird der vorgebliche Underdog Vizepräsidentin
des Abgeordnetenhauses.
Der nächste Karrieresprung erfolgt nur zwei Jahre später, 2008, als sich
die Rechtskoalition unter Berlusconi gegen das Mitte-links-Lager
durchsetzt: Meloni zieht als Ministerin für Jugend ins Kabinett Berlusconi
ein und wird dieses Amt bis zu dessen Rücktritt im Jahr 2011 bekleiden.
Statt „am Rand der Republik“ war Meloni also mittendrin, ganz so wie ihre
Partei. Alleanza Nazionale hatte ihre Ausgrenzung schon 1994 überwunden und
seitdem immer wieder Vizeministerpräsidenten, Minister, Staatssekretäre
gestellt.
Rechts der Mitte etablierte sich, bis heute, die Allianz der Forza Italia,
der Lega sowie der Postfaschisten, damals Alleanza Nazionale, heute
Fratelli d’Italia. Damit waren die Postfaschisten, vorher ausgegrenzt, mit
einem Schlag zu vollwertigen Mitspielern der italienischen Politik
geworden, die ganz selbstverständlich auf allen Ebenen, vom Stadtbezirksrat
bis zur nationalen Regierung, immer wieder an der Macht beteiligt waren.
Und Giorgia Meloni, die 1992 als 15-Jährige in die Jugendorganisation des
Movimento Sociale Italiano eingetreten war, konnte schon 1994 ihrem Dasein
als Underdog Adieu sagen, dank [3][Silvio Berlusconi,] der zu ihrem
Wegbereiter wurde.
12 Oct 2024
## LINKS
[1] /Rechte-Parteien-im-EU-Parlament/!5944174
[2] /Kein-Antifaschismus-in-der-RAI/!6003213
[3] /Berlusconi-und-Italien/!6023780
## AUTOREN
Michael Braun
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