| # taz.de -- Kein Antifaschismus in der RAI: Was Meloni nicht hören will | |
| > Italiens Ministerpräsidentin möchte nicht an den Faschismus erinnert | |
| > werden. Der Schriftsteller Antonio Scurati hat das nun zu spüren | |
| > bekommen. | |
| Bild: Meloni tritt gern im staatlichen Fernsehen auf. Soll es etwa nur ihr geh�… | |
| Irgendwann kurz nach 20 Uhr, am letzten Samstagabend, tritt [1][Antonio | |
| Scurati] vor die Kamera, spricht seinen kurzen Monolog zum 25. April, dem | |
| „Tag der Befreiung“, an dem Italien jedes Jahr den Aufstand der Partisanen, | |
| die endgültige Niederlage der deutschen Nazi-Besatzer und ihrer | |
| faschistischen Komplizen unter [2][Benito Mussolini] im Jahr 1945 feiert. | |
| So war es geplant. Doch nein, Scurati trat nicht vor die Kamera des | |
| Polit-Talks „Che sarà“, der auf dem dritten Kanal des Staatssenders Rai | |
| ausgestrahlt wird. Kurzerhand war er ausgeladen worden, waren seine Worte | |
| zum Faschismus nicht mehr gefragt: die Worte des Erfolgsautors der Trilogie | |
| „M.“, in der er den Bogen vom Aufstieg Mussolinis in den frühen 20er Jahren | |
| bis zum Eintritt Italiens in den Zweiten Weltkrieg schlägt. | |
| Auch am Samstag wollte Scurati wieder einen Bogen schlagen, vom | |
| Mussolini-Faschismus zur heute amtierenden Regierung der Postfaschistin | |
| Giorgia Meloni. Sein Text hob an mit der Ermordung des sozialistischen | |
| Abgeordneten Giacomo Matteotti durch Duce-Schergen in Rom, im Jahr 1924, | |
| vor akkurat 100 Jahren, und er fuhr fort mit der Erinnerung an das | |
| [3][Massaker im März 1944,] dem in Rom 335 Zivilisten zum Opfer fielen, | |
| gerichtet von den Nazis als Rache für einen Partisanenanschlag, der 33 | |
| deutsche Soldaten das Leben gekostet hatte. | |
| Es war nur eines der zahlreichen von deutscher Hand, doch unter Mithilfe | |
| der italienischen Faschisten verübten Massaker, die 1944 auf italienischem | |
| Boden stattfanden. Immer, so Scurati, von seinen frühen bis zu den späten | |
| Jahren, sei der Mussolini-Faschismus „während seiner ganzen Geschichte ein | |
| unheilbares Phänomen systematischer mörderischer politischer Gewalt“ | |
| gewesen. | |
| ## „Neofaschistische Herkunftskultur“ | |
| An diese Feststellung wollte der Schriftsteller eine Frage knüpfen, die ihn | |
| dann wahrscheinlich den Auftritt in der Samstagssendung kostete: „Wollen | |
| die Erben jener Geschichte dies endlich einmal anerkennen?“ Und dann geht | |
| er mit [4][Ministerpräsidentin Meloni] ins Gericht, die versuche, „die | |
| Geschichte umzuschreiben“, die „ihrer neofaschistischen Herkunftskultur“ | |
| treu bleibe. | |
| Bloß zu „den einfach nicht zu verteidigenden Schreckenstaten (der | |
| Judenverfolgung)“ sei Meloni auf Distanz gegangen, ansonsten lade sie alle | |
| Untaten bei den deutschen Nazis ab, statt auch von der Komplizenschaft des | |
| italienischen Faschismus zu reden. Und sie schaffe es einfach nicht, auch | |
| nicht am 25. April, auch nur einmal das Wort „Antifaschismus“ in den Mund | |
| zu nehmen. | |
| Scurati trifft da den Kern der Erinnerungs- oder besser gesagt der | |
| Amnesiepolitik Melonis und ihrer Partei Fratelli d’Italia. Schon in ihrer | |
| Antrittsrede als Ministerpräsidentin im Oktober 2022 – nur drei Tage vor | |
| dem 100. Jahrestag von Mussolinis [5][Marsch auf Rom], den sie mit keinem | |
| Wort erwähnte – hatte sie zwar die Rassegesetze von 1938 gegeißelt; doch | |
| weder damals noch auch bei anderen Gelegenheiten gelang es ihr, den banalen | |
| Schluss zu ziehen, dass zu einem Verbrechen auch ein Verbrecher gehört: | |
| Über Mussolini ist Meloni nie ein böses Wort über die Lippen gekommen. | |
| ## Der „Aktivist“ hat Redebedarf | |
| Dass jetzt aber Scurati mit bösen Worten über den Duce auf Sendung gehen | |
| wollte, versetzte offenkundig einige Meloni-Getreue im Rai-Management in | |
| helle Aufregung. Erst am Samstagnachmittag erfuhr die Moderatorin des | |
| Polit-Talks, Serena Bortone, dass der von ihr eingeladene Gast nicht kommen | |
| werde. Bortone machte den Vorfall sofort mit einem Instagram-Post | |
| öffentlich und fügte hinzu, sie habe aus dem Management keine plausible | |
| Begründung für die Ausladung erhalten. | |
| Die kam dann, auch wenn sie nicht besonders plausibel war, von dem für die | |
| Programmplanung von Informationssendungen Verantwortlichen Paolo Corsini. | |
| Corsini war im letzten Dezember aufgefallen, nicht nur weil er bei der | |
| Großveranstaltung „Atreju“ der Meloni-Partei als Moderator aufgetreten war, | |
| sondern weil er dort penetrant von „unserer Partei“ und von sich selbst als | |
| deren „Aktivist“ geredet hatte. | |
| Der „Aktivist“ hatte jetzt mitzuteilen, Scurati habe mit 1.800 Euro ein zu | |
| hohes Honorar verlangt. Dumm nur, dass sich die Rai mit dem Schriftsteller | |
| derweil auf ein Honorar von 1.500 Euro geeinigt hatte – ein Salär, das | |
| zuvor auch anderen in der Sendung präsenten Autoren gezahlt worden war. | |
| Dumm auch, dass es in einer internen Mail der Rai heißt, Scurati sei „aus | |
| verlegerischen Gründen“ gecancelt worden. | |
| ## „Meine Gedanken zum Schweigen bringen“ | |
| Quasi in Echtzeit brach deshalb am Samstagnachmittag ein Sturm der | |
| Entrüstung über Italien herein. Zahlreiche Websites posteten Scuratis Text, | |
| im Fernsehen verlas ihn nicht nur die Moderatorin Bortone; auch in einer | |
| anderen Sendung des TV-Privatkanals La7 wurde der Text rezitiert. | |
| Und selbst [6][Giorgia Meloni persönlich postete ihn schließlich auf | |
| Facebook,] um zu unterstreichen, dass ihr Zensur völlig fernliege. Doch als | |
| geübte Postfaschistin mochte sie in der üblichen Opfermanier einfach nicht | |
| auf die Frontalattacke gegen die Linke und Scurati verzichten. Die Linke, | |
| behauptet die Regierungschefin, „bauscht auch heute einen Fall auf“, „die | |
| Rai antwortet, dass sie es einfach abgelehnt hat, für eine Minute Monolog | |
| 1.800 Euro (das Monatsgehalt vieler Arbeitnehmer) zu zahlen“. | |
| Scurati erwiderte umgehend, auch dieser Meloni-Post sei eine | |
| „verleumderische Aggression“, denn er sei nicht des Geldes wegen ausgeladen | |
| worden, sondern weil es darum ging, „meine Gedanken zu Faschismus und | |
| Postfaschismus zum Schweigen zu bringen“. | |
| Wenigstens dieses Ziel haben Melonis Schildknappen in der Rai nicht | |
| erreicht. Der Akt der Zensur wurde zum Aufmacher in allen Medien, und | |
| Scuratis Monolog wurde hunderte Male publiziert. | |
| 22 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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