# taz.de -- Streik bei ÖRR in Italien: Zu viel „TeleMeloni“ | |
> Der italienische ÖRR-Sender Rai verkommt zum Sprachrohr der Regierung. | |
> Eine Journalistengewerkschaft hat deshalb am Montag zum Streik | |
> aufgerufen. | |
Bild: Hat sich viele Türen geöffnet: Georgia Meloni bei der Rai-Sendung „Po… | |
ROM Abgespeckt ist noch ein höfliches Wort für die Nachrichtensendungen, | |
die am 6. Mai in Italien die Zuschauer*innen des Staatssenders Rai | |
erwarten können. Normalerweise dauert ein „Telegiornale“ rund eine halbe | |
Stunde, und es ist gespickt mit Direktschaltungen zu | |
Korrespondent*innen in Tel Aviv oder New York, mit Reportagen von den | |
Kriegsfronten, mit Reporter*innen aus Italiens Regionen und Statements | |
der Politiker*innen. | |
Am 6. Mai gibt es stattdessen eine staubtrockene Nachrichtenlesung ohne | |
Bewegtbilder und Live-Schalten, im Vergleich dazu war die „Aktuelle Kamera“ | |
aus den alten DDR-Zeiten richtig lebhaft. | |
Die zu erwartende Tristesse hat einen Grund. Für Montag hat die | |
Hausgewerkschaft Usigrai alle Nachrichtenjournalist*innen des | |
Senders zum 24-stündigen Streik aufgerufen. In ihrem Aufruf beklagt Usigrai | |
die „erstickende Kontrolle der journalistischen Arbeit“, die „die | |
Nachrichtensendungen in ein Sprachrohr der Regierung verwandeln“. | |
Gemeint ist die Rechtsregierung unter der Postfaschistin Giorgia Meloni, | |
die seit Oktober 2022 am Ruder ist. Seit dem Austausch der Senderspitze im | |
Jahr 2023 gibt sie auch in der Rai den Ton an. Ob der Vorsitzende des | |
Verwaltungsrats, Roberto Sergio, ob der Generaldirektor Giampaolo Rossi, ob | |
die Chefredakteure der Nachrichten: Alle wurden von Melonis | |
Regierungsmehrheit eingesetzt. | |
## Töne des Triumpfs | |
Und Meloni hat gute Gründe, Vertrauen in sie zu setzen. Giampaolo Rossi zum | |
Beispiel kennt sie seit Jahrzehnten aus gemeinsamen Kampfzeiten, als beide | |
in demselben Ortsverein der postfaschistischen Partei Alleanza Nazionale in | |
Rom aktiv waren. Zu „TeleMeloni“ sei die Rai in den letzten Monaten | |
verkommen, lästern denn auch kritische Stimmen. | |
Ein Blick in die Nachrichtensendungen der ersten beiden Kanäle gibt dem | |
Vorwurf Nahrung. Die Ministerpräsidentin ist laufend Thema, in den | |
Rai-Nachrichten des letzten Dezembers für geschlagene 300 Minuten, während | |
die Chefin der linksoppositionellen Partito Democratico sich mit 66 Minuten | |
begnügen musste. | |
Gerne auch sind die Nachrichtentexte über die Regierung im Tone des | |
Triumphs geschrieben. Einen „Rekord“ hat Melonis Team angeblich bei den | |
Zahlen der Beschäftigten in Italien gebrochen, einen Rekord auch bei den | |
staatlichen Gesundheitsausgaben – selbst wenn deren Zuwachs hinter der | |
Inflation zurückbleibt. | |
Doch auch Angst vor Zensur treibt die Journalist*innen um, die etwa | |
dadurch genährt wird, dass [1][vor wenigen Tagen der Erfolgsautor Antonio | |
Scurati] aus einem Polit-Talk ausgeladen wurde. Er hatte einen kurzen | |
Monolog zum Umgang des Landes, zum Umgang auch der postfaschistischen | |
Regierung mit der faschistischen Vergangenheit geplant – [2][einen Monolog, | |
bei dem Meloni nicht sonderlich gut wegkam]. | |
## Das machen doch alle so | |
Die Rechte kontert ungerührt, sie schaffe mit ihrem Vormarsch einen | |
„Ausgleich“ gegenüber der bisherigen linken Hegemonie, und überhaupt sei | |
die Rai doch immer unmittelbarer politischer Kontrolle unterworfen gewesen. | |
Da ist was dran. Schon seit den 70er Jahren galt im Staatssender das | |
Prinzip der lottizzazione, der „Parzellierung“. Die damaligen | |
Regierungsparteien, Christdemokraten und Sozialisten, griffen sich die | |
ersten beiden Wellen, Rai3 dagegen wurde schiedlich-friedlich den | |
oppositionellen Kommunisten überlassen. | |
„Così fan tutti“, antwortet die Meloni-Rechte auf den Vorwurf, sie habe | |
sich die Rai jetzt einfach gegriffen – und auch das ist schwerlich zu | |
bestreiten. Das Gesetz sieht vor, dass die beiden Häuser des Parlaments je | |
zwei Mitglieder des Verwaltungsrats wählen, zwei weitere werden von der | |
Regierung bestimmt, eines von den Beschäftigten des Senders. Damit ist eine | |
Kontrolle des Verwaltungsrats durch die Regierungsmehrheit im Parlament | |
gewährleistet. Der Chef des Verwaltungsrats wird unmittelbar von der | |
Regierung vorgeschlagen – und er kann in eigener Machtvollkommenheit alle | |
wichtigen Personalentscheidungen treffen. | |
Auch Zensur ist nicht wirklich neu in der Rai. Schon im Jahr 1962 wurde der | |
spätere Literatur-Nobelpreisträger Dario Fo von den Bildschirmen verbannt, | |
weil er es gewagt hatte, in einer Familienshow über Arbeitsunfälle auf | |
Baustellen zu sprechen. Und im Jahr 1986 war es mit der Bildschirmkarriere | |
des Comedian Beppe Grillo vorbei. In einer Sendung hatte er über die | |
Sozialistische Partei (PSI) gelästert, der der Ruf der Korruption | |
anhaftete. | |
[3][Silvio Berlusconi wiederum,] im Jahr 2001 Regierungschef geworden, ließ | |
nur ein Jahr später zwei prominente Journalisten und einen Comedian aus der | |
Rai werfen, weil sie in ihren Sendungen kritische Fragen zu dem Werdegang | |
des Medien-Tycoons zuließen. | |
## „Erstickende Kontrolle“ | |
Doch mit Meloni habe die politische Kontrolle über die Rai eine neue | |
Qualität erreicht, meint ein Journalist, der beim Nachrichtenkanal Rai News | |
24 arbeitet und der nur bei Zusicherung von Anonymität redet. Der | |
Chefredakteur seines Kanals sei der Ministerpräsidentin gegenüber | |
nibelungentreu, und er sei innerhalb der Redaktion ein Musterbeispiel für | |
die von der Gewerkschaft Usigrai beklagte „erstickende Kontrolle“. | |
Am 6. Mai streikt auch er, ohne große Illusionen. Schon in wenigen Wochen | |
stehe die Neubesetzung der Senderspitze an, sagt er, und da habe | |
ausgerechnet der alte Meloni-Intimus Giampaolo Rossi beste Chancen, zum | |
Chef des Verwaltungsrats aufzusteigen. | |
5 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bedrohte-Pressefreiheit-in-Italien/!6007064 | |
[2] /Kein-Antifaschismus-in-der-RAI/!6003213 | |
[3] /Nach-dem-Tod-von-Berlusconi/!5938665 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Streik | |
Italien | |
Giorgia Meloni | |
Journalismus | |
Faschismus | |
GNS | |
Markus Söder | |
Markus Söder | |
Serien-Guide | |
Italien | |
Faschismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Söder bei Meloni: Ziemlich beste Freunde | |
Zwischen Markus Söder und die Neofaschistin Giorgi Meloni passt kaum ein | |
Blatt Papier – so zumindest wirkte deren Treffen im Palazzo Chigi in Rom. | |
Markus Söder trifft Giorgia Meloni: Große rechte Übereinstimmung | |
Bei seinem Besuch in Rom betont der bayerische Ministerpräsident die | |
Gemeinsamkeiten mit der postfaschistischen italienischen Regierungschefin. | |
„Der talentierte Mr. Ripley“ auf Netflix: Mord, Espresso und lustige Beamte | |
Manchmal schafft man es leider nicht selbst nach Italien. Aber man kann | |
sich von der Netflix-Adaption von „Der talentierte Mr. Ripley“ mitnehmen | |
lassen. | |
Bedrohte Pressefreiheit in Italien: „Domani“ ist auch noch da | |
Nicht nur der aus dem Staatsfernsehen ausgeladene Schriftsteller Antonio | |
Scurati besorgt die Italiener. Auch die Tageszeitung „Domani“ ist bedroht. | |
Kein Antifaschismus in der RAI: Was Meloni nicht hören will | |
Italiens Ministerpräsidentin möchte nicht an den Faschismus erinnert | |
werden. Der Schriftsteller Antonio Scurati hat das nun zu spüren bekommen. |