# taz.de -- Sahra Wagenknecht und der Pazifismus: Heißer Krieg und Kalter Frie… | |
> „Soldaten sind Mörder!“ Wirklich? Pazifismus kennt ein militärisches | |
> Notwehrrecht. BSW und AfD sprechen bei der Ukraine jedoch von | |
> „Kriegstreiberei“. | |
Bild: Ausbildung zum Patriotismus: Jugendliche in einer Kadettenanstalt in Mosk… | |
„Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der | |
Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso | |
streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind | |
Mörder.“ Dies schrieb der deutsche Publizist Kurt Tucholsky provokativ in | |
einer seiner berühmten Glossen 1931 in der Zeitschrift Die Weltbühne. | |
Tucholskys Zeilen bezogen sich auf den Ersten Weltkrieg. Der kostete in den | |
vier Jahren von 1914 bis 1918 etwa 17 Millionen Menschen das Leben. Die | |
alten imperialen Mächte, das Deutsche, das Österreichische oder das | |
Russische Kaiserreich hatten ihre Untertanen gegeneinander gehetzt, um | |
Macht und Territorien zu festigen, während sie es sich selber, gut gehen | |
ließen. | |
„Soldaten sind Mörder.“ Die Provokation sollte im Jahre 1931 [1][den | |
preußischen Militarismus sowie die Nationalsozialisten] treffen. Tucholsky | |
lebte da bereits im schwedischen Exil. | |
Das von Tucholsky angesprochene Milieu sollte acht Jahre später den Zweiten | |
Weltkrieg vom Zaun brechen. Dieses Mal gab es bis zu 80 Millionen Opfer zu | |
beklagen. Tucholsky hatte nicht bestritten, sich gegen einen Angriffskrieg | |
oder eine Vernichtungsabsicht zur Wehr setzen zu dürfen. Sein Pazifismus | |
wollte ungerechte Angriffe verhindern. | |
## Erziehung zum Frieden | |
Auch andere Pazifistinnen wie Bertha von Suttner, 1905 mit dem | |
Friedensnobelpreis geehrt, forderten eine umfassende Erziehung zum Frieden, | |
damit erst gar keine Kriege ausbrechen. Es ging weniger um das | |
Verteidigungsrecht, als Angriffe zu verhindern. | |
Imperial agierende Mächte neigen schließlich dazu, die angenommene | |
militärische Unterlegenheit von Nachbarstaaten als Einladung zum Überfall | |
zu begreifen. Der Pazifismus wollte im Inneren solcher Imperien solche | |
Haltungen schwächen. Der russischen Friedens- und Demokratiebewegung ist | |
dies aktuell nicht gelungen, wie sich mit dem Überfall von Putins Russland | |
auf die Ukraine zeigen sollte. | |
Pazifismus und Antimilitarismus der Linken waren vor den ersten beiden | |
Weltkriegen stark mit letztlich radikaldemokratisch gedachten Utopien | |
verbunden. Von der Hoffnung nach einer zu verwirklichenden klassenlosen | |
Weltgesellschaft. | |
Pascal Beucker zitiert in seinem Buch „Pazifismus ein Irrweg?“ beispielhaft | |
die Losung des Internationalen Sozialistenkongress von 1893: „Der Sturz des | |
Kapitalismus ist der Weltfriede.“ | |
## Weltfrieden und Kommunismus | |
Auch Rosa Luxemburg glaubte daran. Die Hoffnungen schrumpften erst nach der | |
russischen Oktoberrevolution von 1917 und der Realität kommunistischer | |
Staaten. Von Moskau bis Peking sollten Ein-Parteien-Dikaturen entstehen, | |
oftmals repressiver und nationalistischer als jede noch so kapitalistische | |
Demokratie. | |
Auch der Hitler-Stalin-Pakt gehört in dieses Kapitel, als Nazi-Deutschland | |
und Sowjet-Russland 1939 einen kurzzeitigen Nichtangriffspakt schlossen, um | |
sich so gemeinsam Polen aufzuteilen. | |
Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden im Namen der Gleichheitsidee des | |
Kommunismus begangen wie im Namen der Ungleichheitstheorien des Faschismus. | |
Dennoch sind sie voneinander zu unterscheiden, aber man muss doch beide | |
benennen. Putins Herrschaftsdoktrin bedient sich schließlich an beiden. | |
Rosa Luxemburg formulierte vor dem Ersten Weltkrieg, was in Teilen einer | |
nostalgischen Linken bis heute nachzuhallen scheint. | |
„Die Friedensfreunde aus bürgerlichen Kreisen glauben,“ schrieb sie 1911, | |
„dass sich Weltfriede und Abrüstung im Rahmen der heutigen | |
Gesellschaftsordnung verwirklichen lassen, wir aber, die wir auf dem Boden | |
der materialistischen Geschichtsauffassung und des wissenschaftlichen | |
Sozialismus stehen, sind der Überzeugung, daß der Militarismus erst mit dem | |
kapitalistischen Klassenstaate zusammen aus der Welt geschafft werden | |
kann.“ | |
## Logik der Umkehrung | |
DDR-Bürger:innen sind mit solchen zu Floskeln geronnenen Lehrsätzen später | |
aufgewachsen. Geradezu satirisch präsentierten sie sich in dem | |
militaristisch durchorganisierten Alltag des SED-Regimes. Doch wie man an | |
den Wahlerfolgen [2][der Politikerin Sahra Wagenknecht und des BSW] sehen | |
kann, lässt sich mit Anklängen an den alten Jargon heute wieder kräftig | |
punkten. | |
Wagenknecht verbreitet dabei, Putin habe die Ukraine wohl nur angegriffen, | |
weil er sich vom kapitalistischen Westen umzingelt fühlte. Es riecht nach | |
einer Logik der Umkehrung. Die Demokratien des Westens gelten im Milieu der | |
Wagenknecht-Anhänger:innen als Chiffre für einen allmächtig angenommenen | |
Kapitalismus amerikanischer Prägung. | |
Auf den jüngsten Wahlplakaten ließ Wagenknecht nebst ihrem lächelnden | |
Konterfei drucken: „Diplomatie statt Kriegstreiberei“. Wer im Falle der | |
Ukraine die Kriegstreiber sein sollen, ist bei ihr klar. Amerikaner, Nato, | |
Bundesregierung, Olaf Scholz, Robert Habeck, Annalena Baerbock – alle, die | |
der überfallenen Ukraine beistehen und Waffen liefern. | |
Ein Notwehrrecht gegen Angriffe und Angriffskriege erkannten sogar die | |
meisten Pazifisten in der Vergangenheit an. Bei Wagenknecht klingt es | |
generell anders. | |
## Wagenknechts Diplomatie | |
Sie ignoriert dabei großzügig, dass der Aggressor Putin keine Diplomatie | |
will, solange er militärisch im Vorteil ist. Die Ukraine soll vollständig | |
kapitulieren. „Unterwerfung statt Selbstverteidigung“ müsste es auf den | |
BSW-Plakaten heißen. | |
Wagenknecht ist auch keine Pazifistin. Und die Welt würde kein wenig | |
sicherer, würde man die Ukraine im Stich lassen. Dennoch gelang es ihr dank | |
medialem Hype, digitalem Populismus und Anrufung der alten | |
Westfeindlichkeit auch [3][eine gewachsene sozialdemokratische Partei wie | |
Die Linke aus dem Weg] zu räumen. | |
Und nebenbei den Chor derer zu verstärken, die [4][wie die | |
Rechtsextremisten von der AfD die Demokratie gerne gänzlich zum Einsturz] | |
brächten. BSW und AfD vereinen im Osten etwa 50 Prozent der Stimmen. | |
Neben der Ukraine- gelingt diese Mobilisierung derzeit hauptsächlich durch | |
die Radikalisierung der Migrationspolitik. Ein großer Teil der Flüchtlinge | |
– etwa 1,2 Millionen – stammt tatsächlich aus der von Putin bombardierten | |
Ukraine. Ähnliche Mengen hatte er zuvor mit seiner Luftwaffe schon in | |
Syrien mit produziert, etwas weiter weg von Europa. | |
## AFD-Träume vom Bürgerkrieg | |
Noch weniger Skrupel als das „linke“ BSW hat in vielen Fragen nur die AfD. | |
Rechtsextremistische [5][Landtagsabgeordnete wie Lena Kotré] sehnen | |
offenbar den Bürgerkrieg herbei. Im Brandenburger Wahlkampf verteilte die | |
gelernte Rechtsanwältin Metallstifte, die als Stichwaffen einzusetzen sind. | |
In Video-Clips spricht sie von einer „Abschiebe-Industrie“, ruft dazu auf, | |
„wehrhaft“ zu sein. So gewinnt man heute im Osten die Direktmandate. Im | |
Look bürgerlich, blond und fesch, Remigration singend bei Aperol Spritz. | |
Ihre Wähler:innen haben von den Mordtaten des NSU anscheinend noch nie | |
etwas gehört. | |
Von Rechtsextremisten und Nazis durfte man noch nie eine pazifistische oder | |
in Ansätzen humanistische Haltung erwarten. Ebenso wenig von Autokraten wie | |
Putin, der völkisch-arabischen oder der islamistischen Szene. Putin lässt | |
seine Truppen immer wieder Kriegsverbrechen begehen, Videos davon werden | |
öffentlich gepostet. | |
Nicht anders machen es [6][andere Feinde der Demokratien wie Hamas oder | |
Hisbollah]. Die Terroristen der Hamas filmten ihre Schandtaten am 7. | |
Oktober und verbreiteten sie zum Teil medial. Die Massaker vom 7. Oktober | |
sollten Symbol der beabsichtigten Auslöschung ganz Israels sein. | |
## Angegriffene Demokratien | |
Auch wer wie der israelische Autor Amir Tibon, für einen humanen Umgang im | |
Miteinander wirbt, pazifistisch orientiert sein mag, wird jene wachsam im | |
Auge behalten, die einen ermorden wollen. Wer für Pazifismus wirbt, hat es | |
noch lange nicht in der Hand, wie die Nachbarn reagieren. In einer | |
Veranstaltung in Berlin stellte [7][Tibon sein Buch „Die Tore von Gaza“] | |
vor. Tibon verbindet darin das Erleben des Überfalls mit einer scharfen | |
Analyse der israelischen Gesellschaft. | |
Im Gespräch mit Suhrkamp-Verleger Jonathan Landgrebe schilderte Tibon sehr | |
eindrücklich, wie er mit seiner Familie den Überfall der Hamas am 7.10. | |
durch glückliche Umstände überlebte, im Schutzraum ihres Hauses im Kibbuz | |
Nahal Oz. Wie viele Israelis kritisiert er die israelische Rechte dafür, | |
dass sie die Nation gespalten und geschwächt hat – und so die Feinde | |
Israels zum Überfall ermutigt habe. Die israelische Demokratie habe aber, | |
sagt Tibon, nur eine Überlebenschance, so die Nation geeint bleibe und auch | |
die internationale Unterstützung nicht verliere. | |
Was Tibon formuliert, gilt abstrakt gesprochen für alle Demokratien. Sie | |
können sich nur behaupten, sofern sie sich im Inneren nicht spalten lassen | |
und einen respektvollen Umgang untereinander pflegen. Grundsätzlich | |
pazifistisch eingestellte Personen, Gesellschaften und Staaten müssen sich | |
jedoch dennoch aggressiven Angriffen auf ihre Verfasstheit erwehren können. | |
Wenn es sein muss, auch militärisch. | |
[8][Putins Soldaten sind Mörder], sofern sie sich dem russischen | |
Angriffskrieg und seinen Verbrechen hätten entziehen können. Ukrainische | |
Soldaten sind es nicht, sofern sie sich bei der Verteidigung an das | |
Kriegsvölkerrecht halten. | |
29 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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