# taz.de -- Großdemo in Berlin gegen Aufrüstung: Friedenstauben auf Schlinger… | |
> Für den 3. Oktober ist eine Demo gegen Waffenlieferungen angemeldet. | |
> Teile der Friedensbewegung distanzieren sich und kündigen Gegenproteste | |
> an. | |
Bild: Eine Hochhauswand im Berliner Nikolaiviertel mit der stilisierte Friedens… | |
Berlin taz | Die Angst vor Krieg treibt derzeit viele Menschen um, wie | |
zuletzt auch die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zeigten. Ob der | |
Ruf nach Frieden auch wieder mehr Menschen auf die Straße treibt, wird sich | |
am 3. Oktober beweisen. Zum Tag der Deutschen Einheit ruft das Bündnis „Nie | |
wieder Krieg“ in Berlin zu einer Sterndemo samt Abschlusskundgebung am | |
Großen Stern auf. Bei der Polizei hat die von zehn Einzelpersonen aus der | |
Friedensbewegung getragene Initiative 25.000 Teilnehmer:innen | |
angemeldet. Im Aufruf wird vor weiterer Aufrüstung, Waffenlieferungen und | |
einem neuen „Großkrieg“ gewarnt. | |
Als Hauptrednerin wird Sahra Wagenknecht erwartet; die | |
Bundestagsabgeordnete wird auch als eine der prominenten | |
Unterstützer:innen unter dem Aufruf genannt. Ihr zur Seite stehen | |
Peter Gauweiler (CSU), Gesine Lötzsch (Linke) und Ralf Stegner (SPD). | |
Abgesagt haben hingegen der frühere SPD-Politiker und EU-Kommissar Günter | |
Verheugen und die Theologin Margot Käßmann. | |
Willi van Ooyen, Urgestein der Friedensbewegung und Mitinitiator der | |
Demonstration, gibt sich gegenüber der taz überaus optimistisch und | |
erwartet „eine größere Beteiligung“ als bei den letzten Friedensdemos. Im | |
November vergangenen Jahres hatte derselbe Initiator:innenkreis etwa | |
10.000 Menschen auf die Straße gebracht; ebenfalls mit Wagenknecht als | |
Rednerin. [1][Bis zu 29.000 Menschen, so eine taz-Zählung], hatten sich im | |
Februar 2023 an der Kundgebung von Wagenknecht und Alice Schwarzer | |
beteiligt. Gemeinsam hatten sie zuvor ihr „Manifest für Frieden“ | |
veröffentlicht, für das es auch Beifall von AfD & Co. gab. | |
Viel spricht dafür, dass die Demonstration zu einem Heimspiel für | |
Wagenknecht und ihre Partei BSW werden wird. Die Ex-Linke hat sich zur | |
lautesten Stimme gegen die Fortführung des Ukrainekrieges durch weitere | |
Waffenlieferungen entwickelt. Zuletzt hat sie das Eintreten für eine | |
Verhandlungslösung, auch über die ukrainische Regierung hinweg, und eine | |
Positionierung gegen die geplante Stationierung von | |
US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu Bedingungen für | |
Koalitionsbeteiligungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gemacht. Van | |
Ooyen sagt, das Thema Krieg und Frieden habe „in den letzten Wahlkämpfen | |
eine große Rolle gespielt“; dies wolle man als Friedensbewegung „verstärk… | |
und weiter voranbringen“. | |
## Erwähnt wird Russland nur einmal | |
Der Aufruf für die Demo unter dem Motto „Nein zu Krieg und Hochrüstung. Ja | |
zu Frieden und internationaler Solidarität“ ist dann auch ganz auf | |
Wagenknecht zugeschnitten. Kritik an Russland, die Wagenknecht selbst sehr | |
sparsam einsetzt, ist darin nicht enthalten. Erwähnt wird das Land nur | |
einmal: in der Warnung vor einer „Eskalation“ durch die Erlaubnis, | |
westliche Waffen „auch gegen russisches Gebiet einzusetzen“. Ebenso fehlt | |
die Forderung nach einem Asylrecht für Kriegsflüchtlinge und Deserteure. | |
Alles andere hätte dem Antiflüchtlingskurs, mit dem Wagenknecht auf | |
Stimmenfang geht, auch widersprochen. | |
„Wenn man Wagenknecht im Boot haben will, dann lässt man das raus“, sagt | |
der Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte | |
KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Michael Schulze von Glaßer, zur taz. | |
Seine Organisation hat sich aufgrund der Leerstellen in dem Aufruf von der | |
Demonstration distanziert. Er sagt: „Da ist nichts drin, was wir total | |
falsch finden, aber da fehlt halt etwas.“ Schulze von Glaßer glaubt dennoch | |
an einen Mobilisierungserfolg, selbst einige Ortsverbände der DFG-VK rufen | |
auf. Angesichts der „brennenden Sicherheitslage“ sei es verständlich, dass | |
bei vielen der „Aktionismus“ überwiege. Und überhaupt: „Wer liest schon | |
einen Aufruf?“ | |
In der Linkspartei werden es einige getan haben; mit dem Ergebnis, dass der | |
Vorstand der Bundespartei einstimmig beschlossen hat, zur Teilnahme | |
aufzurufen. Für die Partei geht es darum, die Friedensfrage – und damit | |
auch die alte Stammwähler:innenschaft – nicht dem BSW zu überlassen, | |
da sieht man über inhaltliche Schwierigkeiten auch hinweg. | |
Bundesgeschäftsführer Ates Gürpinar sagt der taz: „Der Wunsch nach der | |
Stationierung von Langstreckenraketen, immer mehr Sondervermögen für | |
Militär und die Wiedereinführung der Wehrpflicht brauchen eine klare | |
Absage.“ Die Mobilisierung nach Berlin sei mit der Botschaft verbunden: | |
„Die Waffen müssen schweigen, Russland muss raus aus der Ukraine.“ | |
Dass ausgerechnet letzterer Appell von der Demo ausgehen wird, bezweifeln | |
einige der Szene. So haben die Berliner Ortsgruppe der DFG-VK, das | |
Jugendnetzwerk des Verbands und die Antimilitaristische Aktion Berlin sogar | |
explizite Gegenaktionen an dem Tag angekündigt. Um auf die Verantwortung | |
Russlands für den Angriffskrieg gegen die Ukraine hinzuweisen, wollen sie | |
symbolische Leichensäcke vor der russischen Botschaft niederlegen und damit | |
der „Täter-Opfer-Umkehr“ des Aufrufs etwas entgegensetzen. | |
## Putin- und Querdenken-Propaganda | |
Sorge haben die kritischen Aktivist:innen auch vor einer Vereinnahmung | |
durch rechte und verschwörungsideologische Kreise. Wie mehrere der etwa 250 | |
Teilnehmer:innen einer Online-Planungskonferenz im Juni berichten, sei | |
auf dieser unwidersprochen Putin- und Querdenken-Propaganda verbreitet und | |
auch für eine Rechtsoffenheit der Bewegung geworben worden. Schulze von | |
Glaßer erinnert sich, wie ein Teilnehmer die Anti-rechts-Demonstrationen zu | |
Anfang des Jahres als staatlich finanziert diskreditierte. Das alles sei | |
„haarsträubend“ gewesen. | |
In ihrem Statement weist die DFG-VK hin auf „Versuche rechter Kräfte, | |
Friedensproteste zu unterwandern“, die es [2][seit 2014 geb]e. Auch habe | |
einer der Initiatoren, gemeint ist der Aktivist Reiner Braun, „mehrfach den | |
Schulterschluss zu Gruppen aus dem Spektrum der Corona-Leugner:innen | |
gesucht“. Die Forderung aus dem Aufruf – „Keine Einschränkung der Meinun… | |
und Versammlungsfreiheit“ – weise in diese Richtung. | |
Dagegen sagt Initiator van Ooyen, es werde „mit großem Kaliber gegen die | |
Friedensbewegung – nicht nur verbal – vorgegangen“. Kennzeichnend dafür | |
seien insbesondere „das Verbot von Veranstaltungen und die Polizeieinsätze | |
gegen Demonstrationen, besonders gegen den Krieg in Palästina“. | |
Die Verantwortlichen der Demo haben mit einer Erklärung „gegen Rassismus, | |
Antisemitismus und Faschismus“ zumindest der AfD eine Absage erteilt. | |
Schulze von Glaßer fordert von allen, die zu der Demonstration gehen, genau | |
zuzuhören und zu schauen, welche Forderungen etwa auch auf Plakaten erhoben | |
werden und diesen, wenn nötig, zu widersprechen. | |
Der Text wurde aktualisiert (13. September, 16 Uhr) | |
8 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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