Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neue Montagsmahnwachen: Spontan für Frieden
> Keine Fahnen, keine Chemtrails: Mit strikten Regeln wollen die
> Demonstranten weg von ihrem Image als Spinner und Rechte.
Bild: Ein Mädchen malt während einer Montagsdemo auf dem Potsdamer Platz in B…
BERLIN / ESSEN taz | Montags ist alles einfacher: das Programm, die Sprüche
– der Zweck der ganzen Veranstaltung. „Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit“,
sagt Achim Habben leise. Julian Lüderitz hat es gehört und grinst. Sie
gehen mitten auf der Straße, ein schmächtiger Mittvierziger mit
Pferdeschwanz und ein junger Mann mit braun gebrannten, breiten Oberarmen.
Die Menschen um sie tragen rote Fahnen und schieben sich in einem langen
Zug vom Potsdamer Platz ins Zentrum Berlins. Vorne spielen sie Musik auf
einem Laster. Worte sind nicht zu verstehen. „Was ist das?“, fragt
Lüderitz: „Ein Trauermarsch? Das Sommerfest der Linken?“
Habben und Lüderitz haben erst vor wenigen Wochen angefangen, zu
protestieren, immer zur selben Zeit: Montagabends treffen sie sich vor dem
Brandenburger Tor. Zu den Mahnwachen der „Friedensbewegung 2014“.
Frieden – deshalb sind die beiden auch an diesem Samstag gekommen. Auf dem
Flyer steht: „Ukraine: Stoppt Eskalation und drohenden Krieg“. Eine
Großdemonstration, organisiert von der traditionellen Friedensbewegung,
Parteien und Antifa-Aktivisten, die ihre Symbole tragen und ihre Lieder
singen.
Montags sieht Demonstrieren anders aus. Da hat Organisator Lars Mährholz
den Teilnehmern sämtliche Fahnen verboten.
Habben hat auf seinem Protestschild viel von dem untergebracht, wogegen
Lüderitz und er auch sonst protestieren: Die US-amerikanische Notenbank
Federal Reserve (FED), die Nato, die Europäische Union, die Medien und den
„US-Terror“. In Habbens Facebook-Profil steht „Straßenabitur“. Lüderi…
sein eigenes Bild ersetzt durch das einer Friedenstaube auf blauem Grund.
## Stetig gewachsen
Es ist drei Monate her, dass sich die ersten Montagsdemonstranten in Berlin
versammelten. Lars Mährholz ist 34 Jahre alt, Profifallschirmspringer, „ein
ganz normaler Bürger“, sagt er, der eines Tages aus Sorge um die Ukraine
eine Demonstration anmeldete. Als sich am 17. März rund 100 Menschen
versammelten, trugen sie keine Friedenstauben bei sich. Damals
protestierten sie gegen die Notenbank FED und deren angeblichen Einfluss
auf die Weltordnung. „Spontan“, sagt Mährholz. Damals war er mit Requisiten
einverstanden: mit Fackeln etwa.
Seither ist die Bewegung stetig gewachsen. In mehr als 100 Städten in
Deutschland, der Schweiz und Österreich treffen sich an jedem Montag
Friedensbewegte, um über Versagen und Verstrickungen von Bankern,
Politikern und Journalisten zu sinnieren.
Die Menschen, die kommen, sind durchmischt: Angestellte, Studenten,
Freiberufler, Arbeitslose; mehr Männer als Frauen, viele um die 30 Jahre
alt. Gemeinsam haben sie alle ein fast totales „Misstrauen gegenüber
etablierten politischen Institutionen, Medien und gesellschaftlichen
Großorganisationen“, schreiben Bewegungsforscher der Technischen
Universität Berlin. Es protestieren politisch Entfremdete, die Antworten
suchen.
## Offen für Esoterik
Lüderitz beantwortet sich seine Fragen am liebsten selbst. Die Zeiten, in
denen er als Kfz-Mechatroniker Autos zusammenschraubte, liegen hinter ihm,
sagt er. Er liest längst Bücher über Tiefenpsychologie und Hypnose. Bei den
Mahnwachen hat er einige kennengelernt, die eine Behandlung von ihm wollen,
obwohl er kein Zertifikat hat. Montags trifft er Menschen, die offen sind
für Esoterik, für Alternativen jeder Art. Die sich auf neue Gedanken
einlassen – und seien sie noch so abwegig.
Von der Bühne herab erklären Redner Theorien, die sie sonst nur den Lesern
ihrer Blogs näher bringen: Wie etwa der geschasste RBB-Radiomoderator Ken
Jebsen, der seiner „Zielgruppe Mensch“ Medienboykott empfiehlt: „Das ist
die einzige Sprache, die diese Gazetten verstehen.“ Oder der Autor Heiko
Schrang, der auf seiner Webseite im Zwiegespräch mit der Exmoderatorin Eva
Herman über die „Jahrhundertlüge“ des Zweiten Weltkriegs fachsimpelt.
Jürgen Elsässer ist selbst ernannter Chefredakteur eines Magazins, dessen
Autoren gegen Zuwanderung und Homosexualität hetzen. Die linke Publizistin
Jutta Ditfurth nannte ihn im Fernsehen einen „glühenden Antisemiten“,
woraufhin Elsässer sie verklagte. Lüderitz nennt Montagsredner wie sie „die
Prominenz“.
Eine Stunde bevor Lars Mährholz die Mahnwache eröffnet, sitzt er mit
übergeschlagenen Beinen auf einem Metallgitter. Das Zelt, die Lautsprecher,
die Tribüne – schon nachmittags bauen Helfer jede Woche auf. Sie kommen
einfach. „Spontan“, sagt Mährholz, ehrenamtlich.
Er trägt ein blaues Hemd, das lange, blonde Haar weht im Wind. Ein junger
Mann will ihn sprechen; er wünscht sich freie Redezeit. Später zumindest,
kurz bevor die Leute heimgehen. „Ich habe nichts gegen Basisdemokratie“,
sagt Mährholz, „aber ich will hier keinen, der über Chemtrails redet.“
Keine Spinner. „Du weißt, wie die Medien manipulieren. Die schneiden das
raus, was sie brauchen.“ Er hat viel einstecken müssen von den
Mainstreammedien, wie er sie nennt.
## „Weder links noch rechts“
Journalisten erkannten auf seinen Mahnwachen Verschwörungstheoretiker,
Reichsbürger und NPD-Abgeordnete. Seine Kritik an US-Notenbankern
identifizierten sie als antisemitisches Klischee: als Panikmache vor einer
Weltverschwörung der jüdischen Finanzelite. „Wir sind weder links noch
rechts“, sagt Mährholz. An diesem Tag ruft er der Menge entgegen: „Nicht
alle Journalisten sind schlecht!“ Er hat Fehler gemacht, die falschen Worte
gewählt. Was er braucht, ist bessere Presse. Und eine bessere
Organisationsstruktur.
Die Mahnwachen haben sich verändert. Für das offene Mikrofon gibt es in
Berlin mittlerweile eine lange Liste. Sie ist Wochen im Voraus ausgebucht,
sagt Julian Lüderitz. Zu sprechen, ohne vorab die Genehmigung von Mährholz
einzuholen, sei in Berlin nicht mehr möglich.
Mährholz blickt mittlerweile auf Mahnwachen in ganz Deutschland. Anfang
Juni hatte er rund 250 Organisatoren ins brandenburgische Senftenberg
eingeladen, zum informellen Kennenlernen. Bald ist ein zweites Treffen
geplant. Dann soll es um Inhalte gehen, um eine gemeinsame Marschrichtung.
## Aktionstag 19. Juli
Per Facebook mobilisieren Habben und Lüderitz schon jetzt für den 19. Juli
2014: den Tag, an dem Teilnehmer aller Montagsmahnwachen in Berlin
gemeinsam protestieren sollen. „Zusammen würden wir bis zur Siegessäule
reichen!“, ruft Lars Mährholz seinem Publikum zu.
Mit Details zu seiner eigenen Biografie hält es Mährholz wie mit seiner
politischen Agenda: flexibel. Er sei Diskobetreiber, Extremsportler gewesen
– und auch Aktienhändler, Kapitalist. Seine Vollzeitarbeit für die
Montagsmahnwachen finanziere er aus Reserven, sagt er. Doch seine Firma
DaBrain Entertainment Network GmbH schreibt Verluste. 2013 stand sie mit
über 40.000 Euro in den roten Zahlen.
Er sei unpolitisch gewesen – aber auch Mitglied in CDU und FDP.
Verbindungen zum Exspitzenkandidaten des rechtspopulistischen „Bunds Freier
Bürger“, Torsten Witt, bestreitet er – wie seine Beteiligung an dem
Versuch, Witt 2004 durch Masseneintritt an die Spitze des Berliner
Journalistenverbands DJV zu hieven. „Ich war nie Mitglied im DJV“, sagt
Mährholz. „Er wurde 2007 ausgeschlossen“, sagt dagegen die
DJV-Geschäftsführung.
Trotz aller Widersprüche ist eines klar für ihn: Die Montagsmahnwachen sind
sein Werk, und er hält die Hand darauf.
## „Das ganze Scheißsystem“
Julian Lüderitz steht in der Abendsonne am Bühnenrand und klatscht. Die
Leute haben sich Sitzkissen aus Kunstleder aus der Kiste gegriffen. Männer
mit Nietenjacken sitzen auf Klappstühlen, wie jede Woche, und trinken Bier.
Photon, der Montagsrapper, singt Banker-kritische Mahnwachenhymnen.
Dann kommen Ferris und Lucki, ein junges Paar aus Spandau. „Ehrlich gesagt
verstehe ich nicht viel von Politik oder dem ganzen Scheißsystem“, sagt
Lucki, „aber von Tag zu Tag sterben immer mehr Leute. Tiere sterben aus.
Ich habe Angst, diese Luft einzuatmen.“ Ferris hakt ein: „Und keinen
interessiert’s!“ Applaus. Die weißen Stofffetzen, die sie zum Abschluss
verteilen, flattern wie kleine Friedensfahnen. Lüderitz bindet sich einen
um sein Handgelenk.
In der Ruhrgebietsstadt Essen hängt das Schild der „Friedensbewegung 2014“
an einem Backsteinbau über dem zentralen Kennedyplatz. Die Moderatorin
trägt ihre Dreadlocks zum Zopf gebunden. Sie kündigt an: ein Friedenslied
mit Gitarre.
Der Lehrer Bernhard Trautvetter, langjähriger ortsansässiger
Friedensaktivist, doziert: „Wer mit seiner Kritik am Kapitalismus bei
einzelnen Personen oder Gruppen hängen bleibt, der geht das Risiko ein,
falsche Freunde zu bekommen.“ Applaus, dann eine Schweigeminute. Zwei junge
Männer erheben stumm ihre Faust zum sozialistischen Gruß.
Auch hier in Essen folgt: die Prominenz.
## Wofür stehen sie?
Ken Jebsen trägt Weiß, von Kopf bis Fuß. Kameras laufen aus drei
Perspektiven, als er sich auf Steinstufen setzt. „Wenn ein Lars Mährholz,
ein nicht durch den Links-TÜV abgenommener Friedensaktivist einfach kommt“,
sagt Jebsen, „dann halten die Linken die Hand auf. Gibt es ein Copyright
für den Frieden?“ – „Nein“, rufen die Leute. „Ich und ihr, wir sind …
ein Team, oder?“ Die Leute klatschen, manche johlen.
Wofür stehen die Montagsdemonstranten? Wem folgen sie? Der Berliner
Verfassungsschutz sieht keine „strukturellen Überschneidungen“ mit der
rechtsextremen Szene. Allerdings, so eine Sprecherin, deckten sich einige
Positionen der Redner mit denen Rechtsradikaler.
Dem Psychologie-Autodidakten Julian Lüderitz waren Demonstrationen bisher
immer zu parteipolitisch. Die Aufkleber, die auf den Mahnwachen verteilt
werden, heftet er sich nun guten Gewissens an die Brust. „Endlich Montag“,
steht darauf: „Ich bin für den Frieden. Und Du?“
23 Jun 2014
## AUTOREN
Kristiana Ludwig
Erik Peter
## TAGS
Montagsdemos
Friedensbewegung
Friedensbewegung
Ken Jebsen
Polizei
Gericht
Verschwörungsmythen und Corona
Montagsdemos
Montagsdemos
Antisemitismus
Montagsdemos
Die Linke
Montagsdemos
Verschwörungsmythen und Corona
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Friedensbewegung: Der irrationale Rest
Das Bündnis, das am 13. Dezember vor Schloss Bellevue demonstrieren will,
ist keine Friedensbewegung. Es ist eine Bewegung gegen den Westen.
Friedensaktivist über Montagsdemos: „Höchst problematisches Spektrum“
Otmar Steinbicker warnt vor einer Unterwanderung der Friedensbewegung durch
Neurechte und Verschwörungstheoretiker.
Polizei in Dortmund: Rechtsgesinnter Polizist entlassen
Ein Dortmunder Polizeibeamter rechnet sich zu den sogenannten
„Reichsbürgern“. Sie lehnen die Verfassung ab. Der Dienstherr zog jetzt
Konsequenzen.
Exlinker gegen Altlinke vor Gericht: Schrille Trennung
Hat Jutta Ditfurth über die Stränge geschlagen, als sie Jürgen Elsässer
einen Antisemiten nannte? Eine Richterin scheint geneigt, es so zu sehen.
Internetpropaganda für Jugendliche: Kindermund tut Verschwörung kund
Auf Jugend-TV.net verbreiten Jugendliche krude Verschwörungstheorien.
Angeblich aus der Freude heraus, aufklären zu wollen.
Montagsdemo am Samstag: Gegen Israel und die Medien
Die Montagsdemonstrationen für den Frieden bleiben sich treu: Dem Publikum
werden Verschwörungstheorien und Medienschelte dargeboten.
Politische Ausrichtung der Montagsdemos: Mission links
Stehen die neuen Montagsdemos politisch links oder rechts? Einige linke
Aktivisten wollen die Teilnehmer nicht vorverurteilen und machen ihnen
Angebote.
Bewegungsforscher über Montagsdemos: „Anfällig für bizarre Deutungsmuster�…
Der Forderung nach Frieden auf Montagsdemos fehle es an Inhalten, sagt
Forscher Peter Ullrich. Vielen gehe es um den Ausdruck massiven Unbehagens.
Kommentar Montagsdemos: Wahn ist Programm
Die vermeintlich gesellschaftskritischen Montagsdemos sind nichts als
Unfug. Ändern wird das simplifizierende Gerede der Protagonisten nichts.
Linke streitet über Montagsdemos: Der Querfront einen Schritt näher
Mehrere linke Funktionsträger rufen zur Teilnahme an der dubiosen
„Friedensbewegung 2014“ auf. Widerspruch kommt aus den eigenen Reihen.
Friedensmahnwache in Berlin: Endlich mal naiv sein dürfen
Am Montag nahmen an der Friedensmahnwache in Berlin auch linke Aktivisten
teil. Teils standen sie auf dem Podium, teils traten sie als Störer auf.
Neurechte „Friedensbewegung“: Im Kampf gegen die Medien-Mafia
Im Internet und mit „Montagsdemos“ macht eine neue Bewegung mobil.
Verbreitet werden rechte Phrasen und Verschwörungstheorien.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.