| # taz.de -- Bewegungsforscher über Montagsdemos: „Anfällig für bizarre Deu… | |
| > Der Forderung nach Frieden auf Montagsdemos fehle es an Inhalten, sagt | |
| > Forscher Peter Ullrich. Vielen gehe es um den Ausdruck massiven | |
| > Unbehagens. | |
| Bild: Nur ein Schlagwort? | |
| taz: Herr Ullrich, nach der Veröffentlichung [1][Ihrer Studie über die | |
| Teilnehmer der Montagsdemos] schrieben einige Medien, die Mahnwachen seien | |
| nicht rechts, sondern links. Auch der linke Aktivist Pedram Shahyar, der | |
| sich der Bewegung angeschlossen hat, freute sich öffentlich. Fühlen sie | |
| sich missverstanden? | |
| Peter Ullrich: Wir wurden insofern richtig zitiert, als dass die Bewegung | |
| nicht einfach als rechts zu klassifizieren ist. Das ist ein klares | |
| Ergebnis. Dem gegenüber steht aber, dass wir sehr viele Anhaltspunkte für | |
| rechts-affine Weltbilder gefunden haben, die genauso dazu gehören. Insofern | |
| hat es sich etwa Pedram Shahyar sehr leicht gemacht, indem er uns selektiv | |
| zitiert hat. | |
| Wie fassen Sie die Ergebnisse zusammen? | |
| Das eigentliche Kennzeichen der Bewegung ist, dass sie hochgradig | |
| widersprüchliche Inhalte und Personen vereint. Viele der Befragten verfügen | |
| über keinerlei politische Erfahrung oder ideologische Festigung, das heißt, | |
| dass sie in ganz verschiede Richtungen formbar sind und daher auch anfällig | |
| für bizarre Deutungsmuster, die man ihnen vorsetzt. In dieser Hinsicht war | |
| der Initiator Lars Mährholz mit der Idee, dass die US-amerikanische | |
| Zentralbank FED an allem schuld sei, sehr erfolgreich. Ich nehme an, dass | |
| die meisten Leute, die dort hingehen, vorher noch nie etwas von der der FED | |
| gehört haben. | |
| Nur zwei Prozent der Befragten Mahnwachen-Teilnehmer stufen sich selbst als | |
| rechts ein, 38 Prozent sehen sich links der Mitte. Woher kommt dieses Bild? | |
| Ein Teil der Befragten entstammt tatsächlich einem linken Milieu. | |
| Interessanter sind diejenigen, die sich in der Mitte des politischen | |
| Spektrums sehen oder sich der Verortung entziehen und als unpolitisch | |
| bezeichnen. Bei ihnen verbergen sich die rechts-affinen Einstellungsmuster. | |
| Sie glauben, sie sind für den Frieden und das Gute. Dass dahinter ganz | |
| konkrete Einstellungsmuster stehen können, die man analytisch als rechts | |
| bezeichnen kann, ist für sie kein Widerspruch. Hier zeigt sich ihre | |
| Naivität und Unerfahrenheit. Dazu kommt, dass eine politisch rechte | |
| Einstellung gesellschaftlich zu Recht stigmatisiert ist. Dieses Label will | |
| man nicht haben. Die Teilnehmenden wollen nicht, dass der Bewegung, die ja | |
| öffentlich hart kritisiert wurde, weiterhin der rechte oder neu-rechte | |
| Stempel aufgedrückt wird. | |
| Dass die Distanzierung von rechts zum Teil nur eine rhetorische Übung und | |
| keine klare Abgrenzung ist, erkennt man bei Lars Mährholz, der sich in | |
| einer langen Rede von allen politischen Richtungen und Organisationen | |
| distanziert hat. Doch in diesem Akt der Distanzierung fehlte jede | |
| nachvollziehbare Begründung; sie war nur deklaratorisch. Im Endeffekt ist | |
| man mit diesem Selbstbild, weder rechts noch links zu sein, bereit, | |
| ziemlich viel zu akzeptieren, bis hin zur Teilnahme von organisierten | |
| Neonazis auf den Kundgebungen. | |
| Sind die Montagsmahnwachen eine Querfront-Bewegung? | |
| Wenn sich diese thematische Melange stabilisiert, sich | |
| verschwörungsideologische Inhalte mit linken Ansätzen verknüpfen, würde ich | |
| den Begriff verwenden. Noch ist das aber nicht klar. Denn sowohl von linker | |
| als auch von rechter Seite wird versucht, die Bewegung zu beeinflussen, | |
| während die Organisatoren all das abwehren wollen. Außerdem sind die | |
| Mahnwachen regional unterschiedlich. Angesichts dieser widersprüchlichen | |
| Struktur ist es eher wahrscheinlich, dass die Bewegung nicht von langer | |
| Dauer sein wird. Die Teilnehmerzahlen, etwa der Berliner Demo gehen schon | |
| wieder deutlich zurück. Von einer Festigung sind wir noch weit entfernt. | |
| Sind die Teilnehmer eher für eine populistische Instrumentalisierung von | |
| rechts als von links anfällig? | |
| Nicht unbedingt. Das gilt allerdings für diejenigen, die sich weder als | |
| links noch rechts bezeichnen. Darunter sind die, die eher AfD wählen und | |
| die auch eine höhere Zustimmung zu den rechten Items haben. Sie bilden das | |
| Gefahrenpotential für eine rechts-autoritäre Zuspitzung der Bewegung. | |
| Die Studie attestiert nur 1,5 Prozent der Befragten ein antisemitisches | |
| Weltbild, obwohl 47 Prozent die Aussage nicht ablehnen, dass „die Zionisten | |
| sich weltweit an die Hebel der Macht gesetzt haben und Politik, Börse und | |
| die Medien nach ihrer Pfeife tanzen lassen“. Wie ist diese Diskrepanz zu | |
| verstehen? | |
| Klassischer Antisemitismus mit dem Feindbild ‚Jude‘ ist für die Befragten | |
| offensichtlich nicht prägend. Auf den Mahnwachen wird häufig betont, dass | |
| man sich nicht in Völker, Religionen oder oben und unten spalten lassen | |
| will, weil ja alle Menschen sind. Das sollte man bis zu einem gewissen Grad | |
| auch ernst nehmen. Aber es gibt verschwörungsideologische Vorstellungen wie | |
| die Annahme einer zionistischen Geheimmacht, die zwar klar antisemitisch | |
| codiert sind, aber aus Sicht der Teilnehmenden nicht in Verbindung mit | |
| einem negativen Judenbild stehen. Sozusagen: Antisemitismus ohne Juden und | |
| ohne Antisemiten. An dieser Stelle müsste auch eine genauere, qualitative | |
| Forschung über die Spezifik dieses Milieus ansetzen. | |
| Noch so eine Widersprüchlichkeit aus der Studie: Die überwiegende Mehrheit | |
| befürwortet Demokratie und lehnt eine Diktatur ab, andererseits stimmt ein | |
| Drittel der Aussage zu, dass Deutschland „einen Führer“ haben sollte, der | |
| „zum Wohle aller mit starker Hand regiert“. Ist das nicht paradox? | |
| Man kann das verstehen, wenn man sich anschaut, was die Befragten zum Thema | |
| Demokratie in unserer offenen Frage geantwortet haben. Konkrete Forderungen | |
| nach mehr Partizipation oder Basisdemokratie finden sich da kaum, dagegen | |
| wurde viel Politikerschelte betrieben. Dem Symbol Demokratie stimmt man | |
| zwar zu, aber viele sind für die unterschiedlichsten Auswege aus der akuten | |
| Unzufriedenheit offen. Wir können bei den Montags-Mahnwachen von einer im | |
| doppelten Sinne postdemokratischen Bewegung sprechen: Einerseits fühlen | |
| sich die Teilnehmer/innen vom politischen System in keiner Weise | |
| repräsentiert, zugleich sind sie aber selber auf eine andere Art | |
| postdemokratisch, weil sie trotz demokratischem Selbstbild über kein | |
| Wissen, keine Erfahrung und keine Praxis demokratischer Beteiligung | |
| verfügen. Auf beiden Ebenen zeigt sich aber eine Entleerung der Demokratie. | |
| Ist die Forderung nach Frieden ebenso wenig mit Inhalten unterlegt? | |
| Ganz klar. Fast alle nennen Frieden als ihr Ziel – aber meist eben nur als | |
| Schlagwort. Man sieht: Die Bewegung ist massiv von einer Politikferne | |
| gekennzeichnet. Es fehlen konkrete Forderungen, es gibt keine politische | |
| Strategie, kaum konkret erreichbare Opponenten, nur das ‚System‘ oder die | |
| Medien. Von einigen Redner/innen abgesehen, fehlt es beim Gros der | |
| Teilnehmenden an Vorstellungen darüber, was man machen will und wo man hin | |
| will. Es geht eher um den Ausdruck eines massiven Unbehagens. | |
| 23 Jun 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
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