# taz.de -- Studie zur deutschen Polizei: „Es gibt kein Rassismus-Problem“ | |
> Eine Studie zu Einstellungen bei der Polizei legt jetzt den | |
> Abschlussbericht vor. Studienleiterin Anja Schiemann über überraschend | |
> positive Befunde – und einige Problembereiche. | |
Bild: Diese Beamt*innen zumindest haben eindeutig einen demokratischen Hintergr… | |
taz: Frau Schiemann, Sie haben drei Jahre lang eine der politisch | |
umkämpftesten Studien durchgeführt: die große Studie über Einstellungen in | |
der Polizei. [1][Der damalige Innenminister Horst Seehofer von der CSU | |
lehnte sie erst vehement ab, beugte sich dann aber dem SPD-Druck und | |
ergänzte sie um Fragen des Berufsalltags.] Nun liegt Ihr Abschlussbericht | |
vor. Was ist für Sie der zentrale Befund? | |
Anja Schiemann: Es gibt nicht den einen zentralen Befund, sondern mehrere | |
Befunde. Einer ist, dass die Berufsmotivation und Identifikation der | |
Polizistinnen und Polizisten im Bund und den Ländern sehr hoch ist. | |
Gleiches gilt für die Bewertung der Teamzusammenarbeit und der | |
Wertschätzung durch Führungskräfte. Aber wir haben auch belastende Aspekte | |
gefunden: Personalmangel, Bürokratie, eigene Gewalterfahrungen. Dennoch ist | |
insgesamt die Arbeitszufriedenheit hoch. Und es zeigt sich: Mit einem | |
modernen, bürgernahen, liberalen Selbstverständnis der Polizei steigt diese | |
Zufriedenheit an. | |
taz: Ausgangspunkt der Studie war ja eine Diskussion, ob es einen | |
strukturellen Rassismus in der Polizei gibt, [2][wie ihn auch SPD-Chefin | |
Saskia Esken sah.] Wie also steht es um die Einstellungen der | |
Polizist*innen? | |
Schiemann: Hier kann ich sagen: Es gibt kein Rassismusproblem in der | |
Polizei. Wir haben die Einstellungen mit Fragen erhoben, die auch in der | |
etablierten Mitte-Studie verwendet werden. Das Ergebnis: Die Einstellungen | |
der Polizeikräfte sind sehr ähnlich mit denen der Gesamtbevölkerung. Sie | |
ordnen sich politisch mittig bis leicht rechts ein, sie treten in einer | |
großen Mehrheit für eine offene, demokratische Gesellschaft ein. Wir müssen | |
aber auch sehr ernst nehmen, dass es einige wenige Polizeibeamtinnen und | |
-beamte gibt, die ein konsistent demokratiefeindliches Weltbild haben. | |
taz: [3][Seehofer] nahm schon vor Studienstart das Ergebnis vorweg und | |
erklärte, 99 Prozent der Polizeikräfte seien verfassungstreu. Hatte er | |
recht? | |
Schiemann: Im Großen und Ganzen stimme ich ihm zu. Von den gut 40.000 | |
Polizistinnen und Polizisten, die wir jeweils in zwei Erhebungen befragt | |
haben, hatten vielleicht 400 ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Also | |
ein sehr kleiner Anteil. | |
taz: Aber in der Polizei eben doch ein sehr problematischer. | |
Schiemann: Ja, natürlich. Diese Menschen haben in der Polizei nichts zu | |
suchen, da müssen die Führungsebenen aktiv werden. | |
taz: Ihre Studie untersuchte nicht Racial Profiling, also rassistische | |
Polizeikontrollen. Aber immerhin ein Drittel der Befragten erklärte, sie | |
hätten im Dienst rassistische Äußerungen erlebt. Deutet das nicht auf ein | |
Problem hin? | |
Schiemann: Wir haben generell Fehlverhalten im Dienst abgefragt, nicht nur | |
rassistisches, auch Mobbing und anderes. Da mussten wir feststellen, dass | |
vor allem niederschwellige Grenzüberschreitungen stattfinden. Und man muss | |
genau hinschauen. Bei den rassistischen Äußerungen etwa: in welchem | |
Zusammenhang diese fielen. Erfasst wurden auch solche gegen Kolleginnen. | |
Das macht die Sache nicht besser, aber bedarf einer differenzierten | |
Analyse. Die aber war nicht unser Forschungsfokus. | |
taz: Bedenklich sind teils hohe Zustimmungswerte der Polizist*innen zu | |
einzelnen Fragen, etwa dass Asylsuchende nur hierherkommen, um das | |
Sozialsystem auszunutzen, oder es zu viele Ausländer oder Muslime | |
hierzulande gebe. Welche Erklärung haben Sie dafür? | |
Schiemann: Diese Werte sind für die Polizei natürlich nicht erfreulich. Und | |
leider sind einige davon im Vergleich zu unserem [4][Zwischenbericht 2023] | |
auch leicht angestiegen. Nach den Gründen dafür haben wir uns natürlich | |
auch gefragt. Ich glaube, es ist zu kurz gesprungen, eine Ablehnung von | |
Asylsuchenden etwa mit schlechten Erfahrungen im Dienst zu erklären. Denn | |
hier gibt es ja auch viele positive Erfahrungen. Aber natürlich sind | |
Polizistinnen und Polizisten Teil dieser Gesellschaft, die in den letzten | |
Jahren eher nach rechts gerückt ist. Das kann eine Erklärung sein. | |
taz: Die Polizei also als Spiegelbild der Gesellschaft? | |
Schiemann: Nicht ganz. Polizistinnen und Polizisten haben im Schnitt einen | |
höheren Ausbildungsgrad, sie haben also eine intensive Wertevermittlung | |
erhalten, weshalb ihre Einstellungswerte eigentlich positiver sein müssten | |
als in der Gesamtgesellschaft. Warum das in Teilen nicht so ist, da | |
brauchen wir noch weitere Forschung. | |
taz: Bedenklich scheint auch, dass sich einige Polizist*innen in | |
einigen Fragen, etwa ob die Demokratie die beste Staatsform ist, nicht | |
eindeutig positionieren. Wie ist das zu bewerten? | |
Schiemann: Dieses ambivalente Antwortverhalten betrifft tatsächlich eine | |
recht hohe Zahl der Mitarbeitenden, eine zu hohe. Eine Erklärung kann hier | |
sein, dass Polizistinnen und Polizisten in ihrem Selbstverständnis neutral | |
sein wollen. Aber in Sachen Demokratie braucht es natürlich eine eindeutige | |
Positionierung. Ich denke, hier muss man bei der Polizei noch mal mit | |
Fortbildungen oder anderen Maßnahmen ansetzen. | |
taz: Sie haben neben Onlinebefragungen auch direkte Interviews | |
durchgeführt. Sehen Sie ein Problembewusstsein in der Polizei? | |
Schiemann: Wir haben für unsere Studie eine große Offenheit in der Polizei | |
erlebt – ganz anders, als das im Vorhinein von einigen angenommen wurde. | |
Und das Problembewusstsein ist da, es gibt ja schon seit Langem | |
Fortbildungen etwa zu interkulturellen Kompetenzen. In der Polizei ist | |
gerade die große Diskussion, ob diese verpflichtend für alle sein sollten | |
oder nicht. Und natürlich ist das Auftreten von Führungskräften | |
entscheidend: Je hinterfragender und transparenter diese sind, desto mehr | |
wird bedenklichen Einstellungen entgegengewirkt und desto besser ist das | |
für das Team. In einigen Bundesländern gibt es auch, um dem Eindruck von | |
Racial Profiling vorzubeugen, bereits sogenannte Kontrollquittungen, die | |
festhalten, was Anlass einer Identitätsfeststellung war. Auch das scheint | |
mir ein sinnvolles Instrument zu sein, Es spricht nichts dagegen, so etwas | |
überall einzusetzen. | |
taz: Sie konnten 40.000 Polizisten mit Online-Fragebögen befragen, eine | |
große Stichprobe. Sie haben also ein repräsentatives Bild von der Polizei? | |
Schiemann: Wir hatten Online-Fragebögen an alle Dienststellen geschickt und | |
einen Rücklauf in der letzten Erhebung von 14 Prozent. Das ist für eine | |
Sozialstudie beachtlich und mit 40.000 Teilnehmenden tatsächlich eine sehr | |
große Stichprobe. Das schafft erstmals ein repräsentatives Bild der | |
Polizei. Das ist ein Gewinn, um die Diskussion zu versachlichen und auch | |
für die Polizei selbst, um zu sehen, wo sie Dinge noch besser machen kann. | |
taz: Die Studie erfolgte im Auftrag des Innenministeriums. Konnten Sie | |
wirklich frei forschen? | |
Schiemann: Moment. Es war kein Auftrag, sondern wir haben eigeninitiativ | |
eine Projektskizze eingereicht und einen Zuwendungsbescheid erhalten. Und | |
ja, wir konnten völlig unabhängig forschen. Auch an unserem | |
Abschlussbericht hat das Innenministerium kein Wort geändert. | |
taz: Das Bundesinnenministerium sowie die Innenministerien der | |
teilnehmenden Bundesländer werden Ihre Studie nun weiterfinanzieren, Sie | |
dürfen drei Jahren weiterforschen. Was haben Sie noch vor? | |
Schiemann: Wir werden uns noch genauer die Aus- und Fortbildungsangebote | |
anschauen, wir werden schauen, wie und warum sich bedenkliche oder | |
ambivalente Einstellungen entwickeln. Zudem werden wir Hilfsangebote in den | |
Blick nehmen, etwa wie Gewalterfahrungen wirkungsvoll verarbeitet werden | |
können. Außerdem wollen wir untersuchen, ob institutionelle Einrichtungen, | |
zum Beispiel Polizeibeauftragte oder Demokratiepaten, sinnvoll sind. Wie | |
lässt sich Nachwuchs für die Polizei gewinnen? Und dann werden wir 2026 | |
eine dritte, große Onlinebefragung machen, wo wir sehen können, wie und | |
warum sich nicht nur insgesamt, sondern auch bei Einzelnen Einstellungen | |
über die Zeit verändert haben. Da warten noch viele spannende Antworten. | |
19 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Haushaltsmittel-fuer-Extremismusstudie/!5843481 | |
[2] /SPD-Chefin-zur-Rassismus-in-der-Polizei/!5720367 | |
[3] /taz-Kolumne-zur-Polizei/!5696716 | |
[4] /Studie-zu-Rassismus-in-der-Polizei/!5923557 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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