| # taz.de -- Rechtsextremismus bei der Polizei: „Man schwimmt halt so mit“ | |
| > M. war Mitglied eines rechtsextremen Polizeichats. Vom Dienst ist er bis | |
| > heute suspendiert. Jetzt packt er aus. | |
| Bild: Es gilt die Unschuldsvermutung, auch bei diesen Polizist:innen, die Anfan… | |
| In den vergangenen Jahren sind wiederholt rechtsextreme Chats unter | |
| Polizist:innen aufgetaucht. Erst kürzlich in Niedersachen, Hamburg und | |
| Hessen. Die Wissenschaft spricht von einem großen Dunkelfeld. In einer | |
| deutschen Großstadt will ein Polizist auspacken. Er war mehrere Jahre | |
| Mitglied eines solchen Chats und will anonym bleiben. Beim Gespräch zeigt | |
| er Polizeiabzeichen und Ausweis. Er ist um die 40, trägt die Haare | |
| zurückgekämmt, einen gepflegten Bart und einen beigen Strickpullover. | |
| taz: Herr M., Sie waren jahrelang in einem rechtsextremen Chat aktiv, der | |
| große Schlagzeilen produziert und neben den vielen anderen Fällen die | |
| deutsche Innenpolitik erschüttert hat. Wie landet man überhaupt in so einem | |
| Chat? | |
| M.: Die Ursprünge dieses Chats liegen weit über zehn Jahre zurück. Es gab | |
| für jede Dienstgruppe damals halt so eine Chatgruppe, wo kurzfristige | |
| Dienstplanänderungen mitgeteilt wurden. | |
| taz: Auf WhatsApp? | |
| M.: Ja, auf WhatsApp. Da haben sich alle zum Sport verabredet oder zum | |
| Bierchen nach dem Dienst. Nun war es halt so, dass die Chefs da teilweise | |
| auch mitgelesen haben und manchmal möchte man sich halt einfach auskotzen | |
| über die Vorgesetzten oder was schief gelaufen ist bei den Einsätzen. Wie | |
| es in jeder Dienstgruppe oder in jedem Arbeitsumfeld so ist, gibt es immer | |
| so einen Kreis, der sich besser versteht. Dann formen sich kleinere | |
| Grüppchen. | |
| taz: In einem dieser Nebenchats hat dann jemand angefangen Hitler zu | |
| glorifizieren, oder wie? | |
| M.: Irgendwann ging es im Chat dann halt los mit diesen bescheuerten | |
| Bildern und Videos. Und im Laufe der Zeit ging es gar nicht mehr um die | |
| Inhalte, um die Message dieser Bilder. Es ging nur darum, wer wird das | |
| krassere Bild posten. Befeuert von toxischer Männlichkeit: Ich will ein | |
| krasseres Bild, eine krassere Aussage als der andere posten. | |
| taz: Coolness durch Holocaust-Relativierung oder Genozidfantasien? | |
| M.: Ja. Einfach ein total kindisches, unerwachsenes und bescheuertes | |
| Verhalten. Was passiert, wenn man ein Bild geschickt bekommt? Man guckt | |
| sich das drei Sekunden an und es ist aus dem Sinn. Man vergisst es direkt. | |
| Ich würde den meisten in diesen Chats jetzt einfach mal unterstellen, dass | |
| es wirklich darum ging, noch was Krasseres zu posten als der Vorgänger. | |
| Unabhängig vom Inhalt. | |
| taz: Verharmlosen Sie damit nicht diese Inhalte? | |
| M.: Ich habe da tatsächlich keine rationale Erklärung für, man schwimmt da | |
| halt auch so ein bisschen mit. | |
| taz: Antisemitismus, der Wunsch Geflüchtete, Schwarze Menschen, | |
| Muslim:innen, sollten in einer Reihe aufgestellt und exekutiert werden, | |
| Vergewaltigungsfantasien, purer Sexismus, Euthanasie-Witzchen gegen | |
| Menschen mit Behinderung. Außenstehend hat man den eindeutigen Eindruck, | |
| wer in diesem Chat war, ist rechtsradikal. | |
| M.:… aber Sie kennen mich ja gar nicht. Ich würde schlichtweg entgegnen, | |
| dass Sie mich nur von irgendwelchen Nachrichten kennen. | |
| taz: Ich habe den ganzen Chatverlauf gelesen. | |
| M.: Sie kennen mich als User-Name in dieser Whatsapp-Gruppe. Sie kennen | |
| diese Bilder, aber Sie sehen den Menschen dahinter nicht. Rechtsradikal | |
| fängt für mich nicht damit an, dass man irgendwelche Bilder weiterleitet. | |
| Das fängt in Handlungen, Taten und Gedanken an. Das ist der entscheidende | |
| Unterschied. | |
| taz: Solche menschenfeindlichen Chats über Jahre zu pflegen, das ist eine | |
| Tat. | |
| M.: Das ist eine Tat, die innerhalb einer geschlossenen Gruppe stattfindet. | |
| Wenn ich jetzt mein ganzes Leben danach ausrichten würde, ich sage jetzt | |
| mal, ich stehe morgens auf und schlage die Hacken aneinander, dann könnte | |
| man definitiv so weit gehen und mich als rechtsradikal bezeichnen. Aber so | |
| ist es nicht. Wenn sich Polizisten im Dienst beispielsweise mit Kollegen | |
| verabreden: [1][So! Heute gehen mir die Ausländer auf den Sack und ich | |
| mache was dagegen.] Dann kann man definitiv Rechtsradikalismus | |
| unterstellen. | |
| taz: Auch diese Fälle gibt es. Da haben sich zum Beispiel | |
| Polizist:innen in Chats verabredet, „Obdachlose zu klatschen“. Es gibt | |
| den Komplex Nordkreuz, da haben Polizist:innen mit anderen einen | |
| Umsturz geplant. Die vielen Einzelfälle formen eine Struktur. | |
| M.: Ich weiß definitiv, dass manche Mitglieder dieser Gruppe diese | |
| rechtsextreme Gesinnung haben. Aber nicht alle. | |
| taz: Sie haben trotzdem mitgemacht. Können Sie nachvollziehen, dass viele | |
| Menschen kein Vertrauen mehr in die Polizei haben? Vor allem viele | |
| Minderheiten. | |
| M.: Zum Teil kann ich das nachvollziehen, zum Teil aber auch nicht. | |
| taz: Was heißt das? | |
| M.: Ich kann es nachvollziehen, wenn man von dem ausgeht, was in der Presse | |
| oder auf sozialen Medien erzählt wird. Dort kommen nur die krassen Fälle | |
| vor. In diesen Gruppen war es ja auch nicht so, dass jetzt alle fünf | |
| Minuten da ein problematisches Bild auftauchte. Ich will das Ganze nicht | |
| schönreden, nur transparent machen. Aber natürlich kann ich das von diesem | |
| Standpunkt aus komplett nachvollziehen. Ich kann es aber gleichzeitig nicht | |
| nachvollziehen, weil ich halt beide Seiten kenne. Ich bin Polizist, aber | |
| ich bin auch normaler Bürger. Polizist ist ein wahnsinnig belastender | |
| Beruf. Weil nie wirklich Zeit besteht, Sachen zu verarbeiten. Und was man | |
| als Polizist sieht und erfährt, das erfahren viele Leute so nicht. Die | |
| Schlägereien. Die Gerüche. Das Blut. Angespuckt zu werden. Ohne das jetzt | |
| schönreden zu wollen. | |
| taz: Wie war das für Sie als der Chat aufgeflogen ist, in dem Sie waren? | |
| M.: Schwierig, dafür ein Wort zu finden. [2][Natürlich ist man erst mal | |
| überrollt, auch von der ganzen Berichterstattung]. Es wurde anfangs auch | |
| sehr viel heftiger dargestellt, als es war. Als wir von unserem Chat in der | |
| Tagesschau erfahren haben, haben wir gedacht, das können wir doch gar nicht | |
| sein. Als wäre der „NSU 2.0“ aufgedeckt worden, als würden wir unter Bomb… | |
| schlafen. | |
| taz: Die Inhalte Ihres Chats waren extrem heftig. | |
| M.: Also ich weiß, dass das heftig war, nur so wie es dargestellt wurde, in | |
| den ersten Tagen, war das nicht richtig. Zu krass. Das war ja so, als wären | |
| wir eine Terrororganisation gewesen. Nach so zwei Wochen war die weitere | |
| Berichterstattung meiner Meinung nach vollkommen gerechtfertigt, auch in | |
| der Härte. Die ersten zwei Wochen waren dagegen für mich hart und klar | |
| fühlt man sich da scheiße: Schuldgefühle, schlechtes Gewissen. | |
| taz: Wenn solche Chatkomplexe überhaupt vor Gericht gelandet sind, wurden | |
| die entsprechenden Polizist:innen freigesprochen mit dem Argument, es | |
| handle sich um „private Chatgruppen“. Es gibt auch den Fall, wo ein Gericht | |
| die chattenden Beamt:innen getadelt hat, dass sie auf Whatsapp | |
| geschrieben haben. Weil das so einfach zu knacken sei. Finden diese Chats | |
| nun besser gesichert statt? | |
| M.: Ich habe da keinen Einblick mehr. Ich bin komplett raus. Ich kann es | |
| mir aber durchaus vorstellen, dass das wahrscheinlich nun auf Signal oder | |
| Telegram stattfindet. Telegram ist ja auch eine App, die nur Scheiße | |
| hervorbringt. Ich weiß, dass nachdem unsere Gruppe aufgeflogen ist, ganz | |
| viele Menschen, die bei der Polizei sind, erst mal ihre Handys aufgeräumt | |
| haben. | |
| taz: Eine Razzia auf dem eigenen Smartphone quasi? | |
| M.: Die haben erstmal alles durchgeguckt, ob irgendwo irgendwelche Bilder | |
| sind, ob irgendwelche komischen Kommentare von ihnen irgendwo auftauchen. | |
| Da haben viele befürchtet, dass es eine Welle gibt, wo alles geahndet wird. | |
| taz: Hat sich Ihre Chatgruppe eigentlich nach ihrer Schließung irgendwie | |
| aufgefangen? | |
| M.: Sehr wenig. Es wurden wenige Telefonate geführt, wo es eigentlich nur | |
| darum ging: 'Hallo. Wie war es bei dir? Wie geht es dir? Mal gucken, was | |
| jetzt kommt. Alles Gute, tschüss.’ Aber es wurde nie wirklich darüber | |
| geredet, was in einem jetzt gerade selber vorgeht. | |
| taz: Gab es in Ihrem privaten Umfeld jemanden, der mit Ihnen kritisch | |
| darüber gesprochen hat? | |
| M.: Nein. Nie wirklich in der Tiefe. Die Polizeigewerkschaft hat ein | |
| Gesprächsangebot gemacht. Aber da besteht auch ein gewisses Misstrauen. | |
| Also das ist halt die Quintessenz dieser ganzen Sache für mich, dass die | |
| Polizei auch untereinander sehr viel misstrauischer geworden ist. Auch wenn | |
| suggeriert wird, dass einem geholfen wird. | |
| taz: Sie sind seit Jahren beurlaubt, bekommen ein steuerfinanziertes | |
| Gehalt, arbeiten aber nicht und sitzen Zuhause. Überlegen Sie ganz | |
| auszusteigen? | |
| M.: Das darf man ja nicht. Du bist ja weiterhin Beamter. Ich dürfte jetzt | |
| beispielsweise keine neue Ausbildung beginnen, das würde nicht gehen. | |
| taz: Dann sind Sie jetzt in einem Wartemodus? | |
| M.: Das ist genau das richtige Wort, weil keiner genau weiß, wie lange | |
| dieser Prozess jetzt dauert. Ich weiß nicht, was wann wie passieren wird. | |
| Es gibt gar keinen Kontakt zu meinem Arbeitgeber gerade. Es ist ein | |
| kompletter Schwebezustand. | |
| taz: Wie geht es Ihnen damit? | |
| M.: Das geht ja mittlerweile mehrere Jahre so. Man lernt irgendwie, sich | |
| damit zu arrangieren. Es gibt viele Kollegen, die beispielsweise in der | |
| Zeit gestorben sind, teilweise Selbstmord begangen haben, dem Alkohol | |
| verfallen sind, in eine andere Sucht abgerutscht sind. Also man kann daran | |
| schon sehen, was das mit den Leuten macht. Ich habe meine Situation | |
| angenommen. Gut geht es mir nicht dabei. Auch wenn der Job manchmal doof | |
| war, hat man ja trotzdem irgendwie gerne auch was für sein Geld getan und | |
| wurde gebraucht. Das ist komplett weggefallen. | |
| taz: Warum sind Sie überhaupt Polizist geworden? | |
| M.: (lacht) Aus gar keiner besonderen Motivation. Ich wollte einfach mal | |
| probieren, ob ich das schaffe. | |
| taz: Wie meinen Sie das? | |
| M.: Ich war neunzehn Jahre alt und bin in die Ausbildung gerutscht. Ich | |
| wollte einfach mal gucken, ob ich es schaffe. Ich hatte nie wirklich eine | |
| besondere Motivation. Die ersten zwei Jahre der Ausbildung hatte ich auch | |
| schlichtweg gar keinen Bock. Muss ich auch ehrlich sagen. | |
| taz: Einfach durchziehen? | |
| M.: Man hat halt verschiedene Unterrichtsblöcke in der Ausbildung. Du hast | |
| Strafrecht, du hast Eingriffsrecht, also Polizeitaktiken. Was gibt das | |
| Polizeigesetz her? Du hast Einsatzlehre. Du hast Psychologie und Ethik. Du | |
| hast die verschiedenen Trainings. Das ist mir alles relativ leicht | |
| gefallen. Es hat auch teilweise Spaß gemacht, es hat auch manchmal keinen | |
| Spaß gemacht. Aber welcher Beruf macht schon grundsätzlich immer Spaß? Ich | |
| habe mich damit irgendwie abgefunden. Die Motivation für den Job, die | |
| entstand erst im letzten Ausbildungsjahr. Wo mir wirklich klar war, dass | |
| ich es schaffen werde. | |
| taz: Wurden Sie in Ihrer Ausbildung gut vorbereitet? | |
| M.: Ja und nein. In den Trainingscentern musst du Glück haben. Die | |
| Trainings sind teilweise sehr realitätsfern. Man kriegt auch gar nicht zu | |
| jedem Sachverhalt wirklich ein Rollenspiel. Ich zum Beispiel habe nie ein | |
| Rollenspiel machen müssen in Richtung Versammlungsrecht, Demonstrationen. | |
| Da war ich immer nur Zuschauer. Du bist dann vier, fünf Tage in diesen | |
| Trainings und bist immer nur Zuschauer wie andere Leute Polizei spielen. | |
| Das bringt nichts. | |
| taz: Es gab Recherchen dazu, dass in der Polizeiausbildung rassistische | |
| Inhalte vermittelt werden. | |
| M.: Die Ausbildung ist bei mir so lange her. Aber ich kann mich an das Fach | |
| Soziologie erinnern. Da haben wir sogenannte „Peer Groups“ besprochen. Man | |
| merkt sich dann: [3][Die Araber mögen die Juden nicht, die Russen können | |
| nicht so gut mit den Italienern.] Dann hieß es, wenn die beiden Gruppen | |
| aufeinander treffen, müsse man aufpassen. Vielleicht ist es ein doofes | |
| Wort, aber das hatte etwas von Zierfischhaltung: Die kannst du | |
| zusammenpacken, die nicht. Das hat mich nicht wirklich aufs echte Leben und | |
| die Arbeit vorbereitet. | |
| taz: Können Sie sich vorstellen, in den aktiven Dienst zurückzukehren? | |
| M.: Da es ja sehr viele verschiedene Arbeitsbereiche bei der Polizei gibt, | |
| irgendwie schon. Der operative Dienst draußen auf der Straße wäre für mich | |
| aktuell nicht mehr vorstellbar. | |
| 14 Nov 2025 | |
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| Mohamed Amjahid | |
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