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# taz.de -- Architektin über Gartenkultur: „Unfassbar langweilige Parkanlage…
> Seit vier Jahrzehnten gestaltet Gabriella Pape Gärten. Ein Gespräch über
> den Gartenproblemfall Deutschland, naturnahe Gestaltung und Gärtnern als
> Kunst.
Bild: Gabriella Pape (rechts) und Isabelle Van Groeningen (links) in der König…
Berlin-Dahlem im Sommer, ein Café im Grünen. Überall brummt und summt es.
Bienen und Schmetterlinge schwirren durch Staudenbeete, während sich die
Besucher:innen große Tortenstücke schmecken lassen.
An diesem Ort haben die Gartenarchitektin Gabriella Pape und ihre
Geschäfts- und Lebenspartnerin Isabelle Van Groeningen 2008 die „Königliche
Gartenakademie“ eröffnet. Einst befand sich am gleichen Ort die Königliche
Gärtnerlehranstalt, ein wegweisender Ort für die Gartenkultur, 1823 von
[1][Peter Joseph Lenné] in Potsdam gegründet. Heute ist die Akademie
stilvolle Gärtnerei, Gastronomiebetrieb und botanische Volkshochschule in
einem.
Es ist die Verbindung zwischen Ästhetik und Ökologie, die diesen Ort
ausmacht. Gartenarchitektinnen sitzen im Designstudio an der Arbeit und
gewähren Einblicke in ihre leuchtend bunte Entwürfe, Pflanzpläne und
Moodboards. Das Glashaus daneben ist für den Empfang von 500.000
holländischen Frühlingszwiebeln vorbereitet. Nach einem Rundgang über das
Gelände lädt Gabriella Pape in ihr aufgeräumtes Büro zum Gespräch.
taz: Frau Pape, wir befinden uns hier auf historischem Gebiet. Einst war an
diesem Ort die Königliche Gärtnerlehranstalt, eine bis heute in Deutschland
einzigartige Ausbildungsstätte für Gartenkultur und Gartenkunst. Was hat
sie so einmalig gemacht?
Gabriella Pape: Es war die Mischung von Wissenschaft und Schöngeist,
praktischer und theoretischer Kenntnisse, die hier gelehrt wurden. Dazu gab
es sieben Hektar Außenfläche, Obstanlagen, Gewächshäuser, die nach den
Bedürfnissen spezifischer Pflanzen in verschiedenen Winkeln gebaut wurden,
sowie eine Zusammenarbeit mit dem Botanischen Garten, der auf der
gegenüberliegenden Straßenseite zur selben Zeit entstand. Eine solch
vielseitige Ausbildung für Gartenkultur gibt es seit dem Dritten Reich in
Deutschland nicht mehr. Vergleichbar wäre einzig die KEW School of
Horticulture in London, wo ich mein Studium absolvieren durfte.
taz: England ist bekannt für seine Gartenkultur und stolz darauf. In
Deutschland gibt es erst in den vergangenen Jahren wieder mehr Bewusstsein
für den Wert von gestaltetem Grün.
Pape: Sie können sich nicht vorstellen, wie es 2005 war, als wir anfangen
wollten, die Akademie aufzubauen. Bei wie vielen deutschen Banken ich war,
um einen Kredit zu bekommen! Da saßen schlipsige Männer, nur Männer – es
sei denn, da war die Sekretärin dabei. Die starrten dann noch eine Weile
auf die Tür, wenn ich reinkam, als würde der Ehemann oder gar der Vater
hinterherkommen. Nachdem ich mein Projekt leidenschaftlich vorgestellt
hatte, kam dann eine Leier, die ungefähr so klang: „Was wollen Sie hier
machen? Gärtnern? Das braucht doch kein Mensch! Machen Sie lieber etwas mit
Computern, Sie sehen doch ganz pfiffig aus …“
taz: Denken Sie, dass es bei englischen Bankern einfacher gewesen wäre?
Pape: Meine Partnerin Isabelle erzählt gern eine Geschichte, die ich längst
vergessen hatte. Offenbar gibt es eine Tradition des sprachlichen
Nachhilfeunterrichts, den deutsche bei englischen Bankern nehmen. Dabei
wohnt man in England bei den Gastgebern zu Hause. Einer der Banker, bei dem
ich mich um einen Kredit bemüht hatte, absolvierte ein solches Programm.
Als er zurückkam, wollte er mich nochmal sprechen und erzählte mir, dass
der englische Kollege ständig über das Gärtnern geredet hätte. Irgendwann
habe er dann auch etwas zur Konversation beigetragen und erzählt, eine
Verrückte namens Pape hätte ein Projekt bei ihm vorgestellt, das kein
Mensch versteht. Daraufhin holte sein Gastgeber eine Truhe mit Artikeln
über mich hervor.
taz: Hat es den deutschen Banker geläutert?
Pape: Er meinte: „In England stehen die Leute irgendwie auf Ihr Zeug, aber
hier in Deutschland funktioniert das nicht.“
taz: In dem von Ihnen erwähnten Buch haben Sie geschrieben, der Engländer
gärtnere im Unterschied zum Deutschen mit dem Herzen.
Pape: Anders gesagt: Der Engländer kennt den Namen der Pflanze, der
Deutsche den Preis. Nicht, dass man in England reich wäre, aber der Preis
einer Pflanze ist gegen ihre Qualität und ihren Schönheitswert absolut
zweitrangig. Auch kennen die Leute sich dort aus. Sie wissen, was ihnen
gefällt, sie können Sorten unterscheiden. In den verschiedensten
Gesellschaftsschichten ist eine Konversation über Gärten ein beliebtes
Thema. Es wirkt nicht nur sozialisierend, sondern auch solidarisierend. In
Deutschland wäre es eher ein Konversationskiller, wenn jemand über seine
„Harlekin“ oder über seine „Girlande d’amour“ redet.
taz: Welche Gründe sehen Sie für diese Unterschiede?
Pape: Unter anderem historische. Erstens sind die Engländer meist mit
Gärten aufgewachsen. 80 Prozent der Bürger wohnen in eigenen Immobilien und
haben, wenn auch nur handtuchgroß, ein Stück Garten. In Deutschland sind es
etwa die Hälfte. Der eigene Garten ist hier keine gesellschaftliche
Voraussetzung. Zweitens haben die Engländer nicht zwei Weltkriege
angezettelt und verloren. Der Garten, der Hang zur Schönheit, musste sich
nicht hinter einem schlechten Gewissen verstecken. In Deutschland galt
lange eher das Motto: Nach diesem Krieg können wir doch nicht in Blumen
schwelgen.
taz: Die [2][englische Psychiaterin und Gartenautorin Sue Stuart Smith
schreibt], für ihren aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Großvater sei
das Gärtnern eine Überlebenshilfe gewesen.
Pape: Das Phänomen, dass Menschen im Gärtnern Halt gesucht haben, hat es
nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in England als auch in Deutschland
gegeben. Auch bei meinem Großonkel war das so. Als er zurückkehrte, hatte
er alles andere als eine positive Aura um sich. Bis zu seinem Tod wollte er
nichts anderes mehr tun als Gärtnern. Der Garten ist eine Art
Auffangbecken. Das ging mir auch so. Ich hatte viel an der jüngeren
deutschen Geschichte zu knabbern, als ich aufwuchs. Der Garten war mein
Zufluchtsort.
taz: Zu Coronazeiten wurde der Garten [3][aus anderen Gründen ein
Zufluchtsort], er war eine Verbindung zur Außenwelt. Hat das in Ihren Augen
zu einer nachhaltigen Veränderung des Bezugs zu Pflanzen geführt?
Pape: Unsere Gärtnerei konnte sich nicht retten vor Leuten. Wir mussten die
Öffnungszeiten erweitern und haben uns fast totgearbeitet. Ja, ich denke,
dass sich in jener Zeit einiges geändert hat, allerdings auf Grundlage
einer Bewegung, die schon davor einsetzte. Das erhöhte Bewusstsein für die
Gefährdung der Natur hat einen ganz anderen Zeitgeist, einen, der mit der
Natur solidarisch sein will, hervorgebracht. Die Natur wird jetzt eher als
Partner wahrgenommen. Und auch der Garten als Ort der Kultur und Gestaltung
ist noch mal ganz anders ins Bewusstsein gerückt. Er gehört jetzt auch hier
viel mehr zum Lifestyle. Auf Instagram sieht man jede Menge junge Leute,
die tolle Gartenideen teilen – oder einer gärtnernden Madonna folgen.
taz: In deutschen Publikationen wird der Begriff „Gartenkultur“ vor allem
im höfischen Kontext, für die Grünanlagen von Schlössern verwendet. Die
Brücke zur Gegenwart fehlt da oft.
Pape: Gartenkultur war bis Mitte des 19. Jahrhunderts kein
„Gesellschaftssport“. Es gab zwar die Tradition öffentlich zugänglicher
Außenanlagen von Schlössern und Landsitzen, aber das waren [4][keine
Stadtparks]. Man ist auch nicht mal eben einen Tag mit der Pferdekutsche
gefahren, um irgendwo in einem Park zu flanieren. Diese Möglichkeit kam
erst dann näher, als die Stadtparks aufkamen – vor allem als Ausgleich für
die enormen Luftverschmutzung in den Städten. Wobei die so enorm war, dass
auch viele Bäume daran gestorben sind. Der Privatgarten dagegen war eher
ein Ort zum Kartoffelanbau. Durch die Schrebergartenbewegung kam dann
langsam ein Verständnis für den Garten als Ort der Ertüchtigung auf, als
Freizeitausgleich. Dass er gar zu einem kontemplativen Ort wurde, wo man
sich auch mal auf einer Gartenliege an seiner Schönheit erfreut, das ist
eine verhältnismäßig neue Entwicklung – in der Generation meiner Großelte…
undenkbar.
taz: Wie verwenden Sie den Begriff Gartenkultur?
Pape: Die deutsche Sprache hat leider nur dieses eine Wort, „Gartenkultur“,
entwickelt. Es bezeichnet einerseits die kulturhistorisch wichtigen Gärten.
Andererseits beinhaltet es, zumindest für mich, das Kultivieren der
Pflanzen selbst. In vielen anderen europäischen Ländern gibt es zwei
unterschiedliche Wörter dafür. „Horticulture“ von lateinisch „hortus“…
Garten: die Kultur des Gärtnerns. Und es gibt „garden culture“: die
Geschichte der Gärten. Problematisch ist in Deutschland, dass es hier zwar
ein historisches Bewusstsein für Gartenkultur, aber kein zeitgenössisches
Verständnis davon gibt. Es gibt zu wenig Wissen darüber, was weltweit
passiert, was man mitgestalten und woran man sich ästhetisch orientieren
kann. Ein Beispiel dafür ist der Vorplatz des neu gebauten Humboldtforums
in Berlin. Es ist unvorstellbar für Isabelle und mich, wie so etwas in
unserer Zeit passieren konnte, eine Frechheit! Was gebaut wurde, ist ein
Platz für Aufmärsche und Wasserkanonen.
taz: Ich denke, damit sprechen Sie vielen Berliner:innen aus dem
Herzen.
Pape: Meines Erachtens ist die Gesellschaft in dieser Beziehung schon
weiter als ihre Planer. Das Problem der historischen Gartenkultur ist oft
der Denkmalschutz. Man möchte etwas bewahren, es so gestalten, wie es einst
war. Aber Statik ist gegen jegliches Prinzip des Gärtnerns.
taz: Wie beurteilen Sie den zeitgenössischen Umgang mit öffentlichen
Grünflächen in Deutschland? Wo stehen wir?
Pape: Wir haben unfassbar langweilige Außenanlagen in Deutschland. Viele
hiesige Parks sind zwar schön angelegt, aber die Randbepflanzung, das
Begleitgrün ist unsäglich einfallslos, zum Beispiel die ganzen
Knallerbsensträucher. Die ziehen darüber hinaus nicht eine einzige Biene
oder sonst irgendetwas ökologisch Wertvolles an. Wir sind schon immer eine
Nation der Extreme gewesen. Eine Zeitlang machen wir es so, dass es
aussieht wie bei Jacques Tati: ein quadratischer Rasen, ein Jägerzaun, ein
Carport, ein Kriechwacholder. Das kann man gut im Zaum halten. Und wenn man
dann entdeckt, dass es auch anders geht, dann wird es auch wieder radikal.
Jetzt haben wir das Verwahrloste entdeckt. So à la Loki Schmidt: Bloß
nichts anfassen, die Natur macht das allein. Das gilt vielleicht für die
Alsterauen, wo sie lebte. Ich habe auch keine Bedenken, dass die Natur sich
super um unsere Städte kümmern wird, wenn wir alle verschwunden sind. Aber
auf dem Weg dahin wollen wir nicht unbedingt nur zwischen Brombeerdickicht
und den recht invasiven Götterbäumen leben.
taz: In den Städten funktioniert eine kenntnisreich gezähmte Natur besser
als eine sich selbst überlassene?
Pape: In der Stadt geht es um urbanen Raum, um die Frage, wie wir ihn
teilen. Das ist komplex. Es besteht ein großer Unterschied zwischen
„naturnah“ und „verwahrlost“. Letzteres ist am Ende für den Menschen n…
mehr zu bewältigen, weder mit dem Geist, noch mit den Händen. Und wenn
etwas nicht mehr zu bewältigen ist, verliert der Mensch das Interesse und
damit auch das Gefühl. Ein Beispiel dafür ist der Berliner Tiergarten. Da
gibt es bestimmte Flächen, von denen man weiß, wie man sie in den Griff
kriegt – wie den Rosengarten, der fast schon überpflegt ist. Andere Flächen
lässt man verwildern. Das zeigt auch auf den Menschen Wirkung. Es kommen
500 Partygänger und pinkeln rein. Zwischen diesen beiden Extremen passiert
nicht viel.
taz: Ich finde, dass sich schon einiges getan hat und beim Gang durch
Städte immer mal wieder ansprechende Pflanzenkombinationen auffallen.
Pape: Das stimmt. Gesellschaftlich hat sich, wie gesagt, vieles verändert.
Was es an Schönem gibt, entsteht daher fast alles aus Privatinitiative. Wie
das Berliner Projekt „Kleine Plätze“ zur Pflege verwahrloster, kleiner
öffentlicher Grünanlagen, deren Gründer leider in diesem Sommer verstorben
ist, um nur eine der zahlreichen Privatinitiativen und Community Gardens zu
nennen. Die meisten öffentlich bestellten Grünflächen in der Stadt sind
dagegen verwahrlost. Was tragisch ist. Es wird viel Geld in die Anlage von
Parks oder Gärten gesteckt, aber so gut wie kein Geld in die Pflege und den
Erhalt. Die Folge ist meist Verwahrlosung, und dann geht das Ganze von
vorne los. Ein unglaublich unnachhaltiger Vorgang.
taz: Wenn ich zum Beispiel Wien mit Berlin vergleiche, fällt mir auf, dass
die Wiener Anlagen viel gepflegter sind und dass sich das tatsächlich auf
das Verhalten der Besucher:innen zu übertragen scheint. Müll habe ich
dort selten gesehen. Andererseits wirkt Berlin viel natürlicher, auch
dadurch, dass nur noch einmal im Jahr gemäht wird und dadurch viele
Pflanzen wild aufkommen.
Pape: Die Spontanvegetation, die aufkommt, wenn man sich nicht kümmert, ist
spannend. Nur, wie gesagt, irgendwann kann das kippen. Dann wird sich das
Stärkere durchsetzen. Aber das entspricht nicht dem Ideal einer Stadt, wo
wir Diversität haben möchten, wo es Menschen gibt, die mehr Schutz brauchen
und andere, die auch mal ein Kontra brauchen. So in etwa ist es auch mit
den Pflanzen. Es gibt auch noch eine weitere Krux bei der Sache: Man möchte
naturnah gestalten, darum denkt man, mehr Natur hieße, dass man weniger
Menschen braucht. Klar, wenn man nur noch einmal im Jahr mäht statt
dreimal, spart das Arbeitszeit. Aber dafür gäbe es andere Aufgaben. Der
gelernte Gärtner möchte auch liebevolle Arbeit leisten, schöne Dinge tun,
nicht den ganzen Tag Rasenmäher fahren und alles zu Pudding schneiden.
taz: Oder Laub blasen?
Pape: Das ist das Schlimmste, ein Laubbläser hat in Parks nichts zu suchen.
Er bläst den Oberboden, Insekten, Mikroorganismen weg. Diese Arbeit
erledigen zudem meist ungelernte Billigarbeitskräfte.
taz: Was müsste sich ändern, damit ein kreativerer Umgang mit Grünflächen
entstehen kann?
Pape: Wir müssten uns mehr Experimente im Bereich des öffentlichen Grüns
leisten – anerkennen, dass ästhetisch und ökologisch gestaltete Pflanzungen
einerseits unseren Schönheitssinn bedienen, andererseits davon auch viel
Kraft sowie sogar psychische Heilung ausgehen kann. Öffentlichen Anlagen
könnten viel inspirierender wirken und auch als Vorbilder für private
Gärten dienen, was zum Beispiel in Bezug auf die noch häufig vorkommenden
Schottergärten ein großer Gewinn wäre.
taz: Welche Konzepte inspirieren Sie selbst als Gartengestalterin?
Pape: Im New Yorker Central Park zum Beispiel wird immer mal wieder
gärtnerisch etwas ausprobiert. Das ist für die Gärtner genauso spannend wie
für das Publikum. Außerdem gibt es Städte wie Nantes in Frankreich, die
sehr bewusst und gezielt eine Vergrünung der Stadt angehen. 42 Prozent der
versiegelten Fußwege und Straßen wurden dort schon herausgerissen und
begrünt. Nun kommen viele Touristen, die bringen Geld, und davon kann man
sich wiederum Gärtner leisten. Ein anderes Beispiel ist das schwedische
Enköping, nordwestlich von Malmö, wo jede freie, öffentliche Stelle zu
einem Pocket-Park verwandelt wurde und entlang des gesamten Stadtkanals
durch kilometerlange Staudenpflanzungen ein ökologisches und vor allem
ansprechendes Landschaftsbild kreiert wurde.
taz: Und in Deutschland?
Pape: Der von einer Stiftung betriebene Hermannshof im
Baden-Württembergischen Weinheim ist ein solches Beispiel. Nein, leider
muss ich sagen: war. Dort hat der geniale Landschaftsarchitekt und
Gärtnermeister Cassian Schmidt gearbeitet, bis er 2023 vor die Tür gesetzt
wurde. Er hat viele Menschen dazu inspiriert, einheimische und nicht
einheimische Pflanzen so zu nutzen, dass Landschaften entstehen, die sich
auf kreative Weise um sich selbst kümmern können. Von Cassian Schmidt
ließen sich große internationale Namen inspirieren. Auch für deutsche
Gestalter war der Ort sehr wichtig. Für uns Profis war das ein Pilgerort.
Vor allem für Menschen, die gärtnerisch etwas verändern wollten.
taz: Warum wurde er vor die Tür gesetzt?
Pape: Das weiß kein Mensch. Angeblich sollte Geld gespart werden, wie immer
in unserer Branche.
taz: Was darf ein Garten noch innerhalb einer bedrohten Natur? Wieviel
Spielraum bleibt für Ästhetik und Gestaltung?
Pape: Viel. Sowohl in Gärten wie in Parks können wir Biodiversität lernen
und mitgestalten. Zum Beispiel legen wir hier in Dahlem nur Rabatten an,
die ohne Bewässerung auskommen. Das ist möglich, indem man die Qualität
eines Ortes erkennt und die Pflanzkonzepten dementsprechend anpasst. Was es
dazu braucht, ist Offenheit für Veränderungen. So sind zum Beispiel Dogmen,
die besagen, man solle nur einheimische Pflanzen verwenden, aus unserer
Sicht Quatsch. Was mich nervt, ist die Desinformation. Während Corona kam
plötzlich „die deutsche Biene“ auf, die nur auf „einheimische“, deutsc…
Blumen fliegt. Eine Art AfD-Biene. Es ist richtig, dass es einige wenige
Bienen gibt, die tatsächlich nur von einer einzigen, einheimischen
Pflanzenart abhängig sind. Das gilt aber ganz und gar nicht für die
Honigbiene, was oft verwechselt wird. Eine der am meisten besuchten
Pflanzen von Insekten, inklusive vieler Wildbienen, ist zum Beispiel der
Lavendel, also keine deutsche Pflanze. Wenn wir über Artenvielfalt
sprechen, dann kann es nicht mehr nur darum gehen, was lokal gegeben ist,
sondern was unter den sich verändernden Bedingungen überlebensfähig ist.
Globaler Austausch ist unschätzbar wichtig.
taz: Gibt es eine Verbindung zwischen dem Wissen, was einst in der
Gärtnerlehranstalt gelehrt wurde und heute?
Pape: Durchaus. Die Deutschen haben auch in den vergangenen 50 Jahren
Einfluss auf die Gartenkultur gehabt. Die ganze Idee der Verwendung der
Pflanzen nach Standorten kam hauptsächlich aus Deutschland. Man kann das
vergleichen mit dem Designleitsatz „form follows function“. Bereits an der
Gärtnerlehranstalt gab es Vorträge darüber. Berühmte Gärtner und
Gärtnerinnen haben weltweit daran angeknüpft. Die Engländer zum Beispiel
haben zuerst darüber gelacht. Die haben gesagt: Wir machen es eben so, wie
es hübsch ist – das Beet als Blumenstrauß. Aber es hat sich irgendwann dann
doch das Wissen durchgesetzt, dass die Pflanze sich wohlfühlen muss und der
Standort nachhaltig gewählt werden sollte.
taz: In der Lehranstalt wurden bis 1927 nur Männer ausgebildet. Als Sie in
den 1970er Jahren mit dem Gärtnern anfingen, waren Sie noch immer die erste
weibliche Auszubildende bei der Baumschule Lorenz in Hamburg. Spielt die
männliche Prägung im Gartenbereich für Sie persönlich eine Rolle?
Pape: Über die 150 Männer meiner Ausbildungsstätte habe ich irgendwie
völlig hinweggesehen. Es war alles sehr freundlich und friedlich dort. Aber
ich denke, intuitiv wusste ich, dass man als Frau besser sein muss, um
Anerkennung zu finden. Ein dem Geschlechterdiskurs übergeordnetes Problem
war jedoch die allgemein geringe gesellschaftliche Anerkennung des
Berufsstands in Deutschland.
taz: Anders als im Museumsbereich gibt es keine öffentlich bekannten Park-
oder Botanische-Garten-Direktor:innen in Deutschland. Wäre es nicht auch
für Ihren Bereich interessant, mehr internationale Größen nach Deutschland
zu holen?
Pape: Ich erzähle Ihnen einen Witz: Ich habe an das Pflanzenschutzamt
geschrieben, weil ich einen Pflanzenschutzschein wollte und mein Diplom aus
der bekannten KEW School for Horticulture mitgeschickt. Aber diese
Qualifikation genügte dafür in Berlin nicht. Also habe ich meinen deutschen
Lehrbrief von 1981 geschickt. Das hat geklappt. Da denke ich: Ach je, das
ist ja alles so kaputt. Ich darf zum Beispiel auch nicht ausbilden. Dazu
musste ich extra einen Meister einstellen. Ich will mich nicht mit Klagen
aufhalten, ich komme auch so zurecht, aber ich denke an all die anderen
Menschen aus anderen Fachbereichen, die überall in der Welt studiert haben
und das Können und Wissen hierherbringen wollen. Ich glaube, so geht es
nicht weiter. Wir könnten ein kreativeres Land werden, wenn es mehr
Anerkennung für Erfahrungen gäbe.
taz: Momentan läuft im und am Potsdam Museum eine Ausstellung zum
„Gartenkünstler Karl Foerster“, dem wohl berühmtesten deutschen Absolvent…
der einstigen Königlichen Gartenlehranstalt, wo es auch eine Ausbildung zu
ebenjenem „Gartenkünstler“ gab. Kann Gärtnern auch eine Kunst sein?
Pape: Das wird viel diskutiert. Es berührt die Frage über den freien
Willen. Es ist ja beim Gärtnern so: Man beginnt mit einer Idee, aber die
tollsten Sachen entstehen meist per Zufall. Das muss ich ehrlicherweise
sagen. Darum sagen viele, die Willkür würde eine zu große Rolle spielen, um
es als Kunst zu bezeichnen. Auch die Zeit spielt eine bedeutende Rolle. Ein
Garten entfaltet sich. Man kann eine Vorstellung davon entwickeln, aber
kein Endprodukt liefern. Meine Gärten sehen zum Zeitpunkt der
Fertigstellung immer am Scheußlichsten aus. Dann muss ich die Kunden
überzeugen, sie zu pflegen und abzuwarten. Wenn das klappt, können sie,
zusammen mit den Pflanzen und der Zeit, helfen ein Kunstwerk sichtbar zu
machen, welches mehr oder weniger intendiert war. Also ja, vielleicht ist
es eine Kunst, einen großen Teil von dem anzulegen und vorauszusehen, was
dann geschieht. Wenn aber jemand sagt: Das ist keine Kunst, dann ist es mir
auch recht. Dann ist es, was es ist.
taz: Der Philosoph E. Cooper spricht in diesem Zusammenhang bewusst von
„Mystik“, von dem, was im für die menschliche Perspektive Verborgenen
stattfindet.
Pape: Ja, es geht um die Erfahrung, nicht alles beherrschen zu können.
Diese menschliche Manie fing bereits im Paradies an. Seit wir in den Apfel
gebissen haben, denken wir, alles besser zu machen! Aber genau darum geht
es nicht. Es geht nicht um einen Casino-Baden-Baden-Stil, also unzeitgemäße
Schmuckbeete, die nur der Farben wegen gepflanzt und dann wieder
herausgerissen werden. Sondern es geht um Gestaltungsprinzipien, die man
nicht allein beherrschen kann. Wir wollen mit der Natur schöne Bilder
kreieren.
18 Sep 2024
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Astrid Kaminski
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