# taz.de -- Berlin geht gärtnern: Da wächst was auf uns zu | |
> Über den Boom beim Gärtnern freuen sich Berlins und Brandenburgs | |
> Gärtnereien, die enorme Zuwächse verzeichnen. Sie hoffen auf eine neue | |
> Gartenkultur. | |
Bild: Immer mehr Menschen suchen Glück und Entspannung im Garten – und finde… | |
BERLIN taz | Es gibt ein Buch des Botanikers und Biologen Ulf Soltau, das | |
alles auf den Punkt bringt. Es hat den so schlichten wie genialen Titel | |
„Gärten des Grauens“ und zeigt einfach nur die schlimmsten deutschen | |
Vorgärten, wie wir sie alle kennen. Die Gärten glänzen mit schnurgeraden, | |
immergrünen Sichtschutzhecken, für die sich kein Vogel und kein Insekt | |
interessiert – und mit Schotter in allen Farben des Regenbogens auf dem | |
Boden und in sogenannten Gabionen, also Steinkörben- und mauern aus Metall. | |
Manchmal findet sich im Garten noch ein lächerlich beschnittener Strauch | |
oder eine absurde Skulptur und das war’s. | |
Gärtnern in Deutschland kann eine traurige Angelegenheit sein. Es geht | |
schon damit los, dass die meisten von Gartenarbeit sprechen, statt von | |
Gartenkunst. Sie glauben, ihr Garten müsse vor allem pflegeleicht sein. Sie | |
setzen sich vielleicht ab und zu zum Grillen raus, und zweimal im Jahr | |
rennen sie zum Baumarkt, um sich angemessen zu bewaffnen. Es beginnt eine | |
Art Motorsport. Denn nun geht es allem an den Kragen, was nicht ins | |
geordnete Bild passt. Es wird unter Kontrolle gebracht, gejätet, gemäht und | |
auf Kante geschnitten. Dabei schwitzen die Menschen, die das unter | |
Gartenkunst verstehen, meist ganz schön. | |
In anderen Ländern ist das oft anders – Spezialist*innen erklären sich | |
dieses seltsame deutsche Verhältnis zum sie umgebenen Grün manchmal damit, | |
dass das Land nach dem Krieg zu viel damit zu tun hatte, wieder zu Ansehen | |
und zu Wohlstand zu kommen. Es wurden Autos gebaut, statt Bäume gepflanzt. | |
Aber es gibt sie auch in Deutschland, die anderen Gärtner, die Gartenfans, | |
die sich wirklich auf ihren Garten vor dem Haus, auf der urbanen Brache um | |
die Ecke, an der Datsche oder auf dem Balkon einlassen. Es heißt immer, | |
diese anderen Menschen lieben den Garten als Idylle oder Rückzugsort, aber | |
das trifft es nicht ganz. Für viele, die wirklich gern im Garten Hand | |
anlegen oder auch mal ganz entspannt von der Hängematte aus der Wiese beim | |
Wachsen zuhören, ist der Garten eher so etwas wie ein Gegenkonzept zu | |
unserer schnellen und effizienten Welt des zielgerichteten Handelns und der | |
straffen Selbstoptimierung. | |
## Der lebendige, unberechenbare Garten | |
So kann es zum Beispiel vorkommen, dass sich Gärtner*innen englische | |
Rosen wünschen, um zwei Jahre später festzustellen, dass diese einfach | |
nichts werden in unserer Region. Statt dessen sehen sie plötzlich die | |
derben Kartoffelrosen in einem ganz anderen Licht. Sie lesen vom Knöterich, | |
dass er am liebsten am Wasser steht, verzichten also lieber, und eines | |
Tages bekommen sie einen geschenkt, und er macht sich trotz Hitze und | |
Trockenheit prächtig. Sie waren darauf bedacht, beim Wildstaudenbeet an | |
alles zu denken, was wertvoll und selten ist, und auf einmal taucht auf der | |
anderen Seite des Gartens ein Kraut auf, das sie seit 20 Jahren nicht mehr | |
gesehen und schon völlig vergessen hatten. | |
Für sie ist der lebendige Garten, in dem es wachsen und gedeihen darf, | |
gerade deshalb so spannend, weil in ihm auch das Unberechenbare liegt. Wie | |
man in den Garten hinein ruft, so schallt es selten wieder heraus. Gärten, | |
die nicht überwältigt wurden, tun sehr oft Dinge, die wir nicht erwarten. | |
Sie „amortisieren“ sich meistens auch nicht. Sie werden niemals fertig. | |
Und genau das ist der Kern der Gartenkunst, die in Deutschland viele Jahre | |
nur von einer kleinen Minderheit gepflegt und genossen wurde.Doch langsam | |
ist Licht am Horizont. | |
Seit Ausbruch der Pandemie gehen die Menschen verstärkt in den Garten, auch | |
und gerade in und um Berlin. Die Kleingartenvereine können sich nicht | |
retten vor Anfragen. Die Gärtnereien, die in der immer sandiger und | |
trockener werdenden Region keinen leichten Stand haben, machen teilweise | |
bis zu einem Drittel mehr Umsätze. Mehr und mehr junge Leute wollen wieder | |
Gärtner*in werden, dem Klimawandel zum Trotz. | |
## Geduld üben, ja, Demut | |
Vielleicht hat das damit zu tun, dass sich viele Menschen mehr oder weniger | |
zwangsläufig und manchmal auch aus Frust ins Privatleben zurückgezogen | |
haben. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass gerade ein sehr guter | |
Moment ist, der Natur gut zuzuhören, mit ihr ins Gespräch zu kommen, ja, | |
den Hut vor ihr zu ziehen, Geduld zu üben, ja, Demut. | |
Wahrscheinlich hat es aber auch damit zu tun, dass Berlin trotz Wachstum | |
und Verdrängung ein Experimentierfeld geblieben ist. Die Menschen haben | |
nach wie vor mehr Zeit als in anderen großen Städten. Sie haben mehr Muse, | |
über essenzielle Dinge wie Nachhaltigkeit, Gemeinwohl und Achtsamkeit | |
nachzudenken. Nur Dinge zu tun, die nützlich oder zweckmäßig sind, wäre | |
ihnen viel zu langweilig. | |
Es liegt an diesen Leuten, dass die grüne Revolution Corona überdauert. | |
Dass die Gärten endlich anfangen zu wuchern, zu summen und zu brummen. Und | |
dass die anderen Gärten, die unsäglichen Gärten des Grauens, allmählich aus | |
der Mode kommen. | |
24 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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