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# taz.de -- Gentrifizierung erreicht das Umland: Sommerhaus und Sommerglück ade
> Im Herbst laufen DDR-Nutzungsverträge für Datschen aus. Viele Pächter
> geben auf. An ihre Stelle tritt eine zahlungskräftige Großstadtklientel.
Bild: Wie ein Relikt: typisches Wochenendhaus irgendwo in der DDR, um 1968
Berlin/Königs Wusterhausen taz | Abends, Punkt neun, kommt der Fuchs.
Angezogen vom Grillduft, der leckeres Fressen verspricht. Früher hatte man
ihm die Reste großzügig auf Zeitungspapier hinterm Haus bereitgelegt, heute
gehört sich das zum Tierwohl nicht mehr. Er muss schon dem Geruch
aufmerksam folgen, um irgendwelche Reste irgendwo aufzustöbern.
Ein Häuschen aus Holz, öfter noch aus unzerstörbarem Asbest, dazu ein
blühender Garten trotz sandigem Grund: [1][Die Datsche] war in der DDR
nicht nur eine Reminiszenz an den Lebensstil des großen Bruders Russland,
sie war Naturgut, Refugium, das kleine grüne Paradies. Bescheiden und
erschwinglich, wenn man eine fand.
Monika Gerlach, die Psychotherapeutin, und Annabelle Gerken, die
Psychologin, haben seit 2011 eine Datsche etwa 50 Kilometer außerhalb ihres
Erstwohnsitzes Berlin-Kreuzberg gepachtet. Sie liegt einsam inmitten
brandenburgischer Schönheit: Wald, Wiesen, Seen. Das reinste Sommerglück.
Sie haben ihr 30-Quadratmeter-Häuschen einem Ehepaar abgekauft, das dort 40
Jahre auf dem 600-Quadratmeter-Grundstück wohnte und handwerkelte.
Eingeschlossen von dicken Thujahecken haben sie jahrelang daran gearbeitet,
einen bunten Sommergarten auf saurem Boden daraus zu machen. Es steckt viel
Herzblut in ihrem Sommerhaus.
## Den ganzen Sommer verbracht
Die kleine Werkstatt hinterm Haus zeugt von der handwerklichen Akribie des
Vorbesitzers: Schraubendreher in großer Auswahl in Reih und Glied an der
Wand, Nägel, Schrauben, alles bestens geordnet. Eine Werkbank,
Schraubstock, Säge. „Sie haben die Bretter für das Haus noch mit dem
Fahrrad vom 20 Kilometer entfernten [2][Königs Wusterhausen]
hertransportiert“, erzählt Monika. „Hier haben sie den ganzen Sommer
verbracht.“
Im Unterschied zu den Berliner Kleingärten, die dem Bundeskleingartengesetz
unterstellt sind, haben die Datschen der ehemaligen DDR kaum Auflagen. Ein
Land der Freien: Es geht nicht um Heckenhöhe oder das zulässige
Gemüsesortiment. Egal, ob Thuja, Tomate oder Obstbäume – jeder hegt sein
Gärtchen, wie er will, wie er kann, oder auch gar nicht.
Das Wort Datsche stammt aus dem Russischen. Es ist eines der wenigen
Wörter, das aus dem ostdeutschen Sprachgebrauch überlebt hat. Das russische
Wort „dat“ bedeutet Landgeschenk – eine Belohnung der Fürsten für ihre
Getreuen. Auf der Datscha lebten Anna Karenina und Oblomow, bei Turgenjew
verliebte sich ein Familienvater in der grünen Idylle in die Nachbarin, und
Gorki rechnete mit der Intelligenzija ab im Stück „Datschniki“, zu Deutsch:
Sommergäste. Die Datscha ist ein Stück russischer Kultur.
Auch in der DDR wurde mancher Getreue mit einer Datsche belohnt. Denn diese
war begehrt. Doch nicht alle eingesessenen Datschenbesitzer waren mit der
Stasi verbandelt, manche hatten einfach nur Glück: Stille,
Vogelgezwitscher, Blätterrauschen. Eine Eidechse, die träge in der Sonne
döst, um dann rasend schnell zu verschwinden. Das Eichhörnchen, das Äpfel
klaut. Nichts vorhaben, nichts müssen, in den Tag hineinleben. Schwimmen,
Radeln, Spaziergehen. Ein Plausch über den Gartenzaun oder das gemeinsame
Bier am Abend. Ein überschaubares, reizarmes Leben in der Natur, dessen
größter Störfaktor die Stechmücken sind. Und wo die Probleme vorübergehend
auf das Moos im Gras zusammenschrumpfen.
## Ein neuer Besitzer
Doch für die Pächter ist die Zeit der Unbeschwertheit, der Lässigkeit, der
sozialverträglichen Pacht vorbei. Ein neuer Besitzer hat die
Datschensiedlung von Monika und Annabelle 2015 von der Erbin erworben. Der
Versuch der Pächter, das Land selbst zu kaufen, scheiterte an ihrem
organisatorischen Unvermögen. Und an ihrer Fehleinschätzung, es sei
wertloses Land, abgelegen und wenig fruchtbar.
Heute kommen viele der Altbesitzer nicht mehr nur in ihren „banja“, den
kleinen Saunen, die an manche der Datschen angebaut sind, zum Schwitzen.
Heute reicht schon die Begegnung mit dem neuen Besitzer, nebst Partner und
seinem Jack-Russell-Terrier. Wenn die beiden durch die kleine Siedlung
spazieren und freundlich links und rechts grüßen, mag ihnen mancher eine
Feudalherren-Attitüde unterstellen.
Sie selbst sehen sich als weltoffene, naturliebende Thuja-Feinde. Der
altmodische Totalsichtschutz ist längst aus der Mode. Heute steht man auf
offene Gärten, offene Türen und Diversität. Neues Leben zieht in den Mief
der Ost-Enklave ein. Der neue Besitzer sucht, nach eigenen Aussagen, ein
freundliches Miteinander. Das gute, friedliche Landleben, wie es heute so
viele Städter ersehnen. Er verschönert die Siedlung, die nun ihm gehört:
pflanzt Obstbäume, legalisiert die normfreien, selbstgebauten Kamine,
verbreitert die Zufahrtswege. So kommt Licht in die improvisierten
Grauzonen der selbstgebauten Sommerhäuschen.
Dabei ist es kein Widerspruch, wenn der neue Besitzer versucht sein Land zu
vergolden. Seine Rentenversicherung, wie er auf der Sitzung des
Datschenvereins sagt. Zunächst hat er die Pacht vervierfacht. Nebenbei sägt
er beharrlich am Status des Landschaftsschutzgebiets, zu dem die
Datschensiedlung gehört, und verhandelt mit der Gemeinde, um das Grundstück
als „Sondergebiet Erholung“ auszuweisen. Sein Ziel ist, das Land zur
Feriensiedlung zu machen und durch dann mögliche Baumaßnahmen
„aufzuhübschen“, wie er sagt. Wie man weiterdenken kann, ließe es sich so
auch profitabel vermarkten.
## Das Recht zur Nutzung reichte aus
Als die Datschen zu DDR-Zeiten gebaut wurden, erhielt man Grund und Boden
zur Pacht, zumeist direkt von der Kommunalen Wohnungsverwaltung. Es war für
den Bungalow nicht nötig, Grund und Boden zu besitzen. Das Recht zur
Nutzung war ausreichend. Ein Auslaufen solch eines Pachtvertrags war fast
ausgeschlossen. Oft wurden auch Grundstücke zur Verfügung gestellt, deren
Eigentümer aus der DDR geflohen waren.
Bis 1989 wurden etwa 1,6 Millionen selbstgebaute Bungalows auf gepachtetem
Land errichtet. Nach Schätzungen gibt es in den Ost-Bundesländern und im
Ostteil Berlins heute noch zirka 200.000 Datschen mit DDR-Verträgen.
Meistens stehen sie im Außenbereich der Gemeinden, wo kein Bauland
ausgewiesen ist. Es sind kleine Naturparadiese mit Kranichen, Störchen,
Wildgänsen, die in den Sumpfgebieten an den zahlreichen Seen Brandenburgs
ausreichend Nahrung finden. Naturräume, die trotz ihrer Nähe zu Berlin noch
nicht Beute der Bodenspekulation geworden sind.
Doch das ändert sich gerade, wie sich an der Datschensiedlung von Monika
und Annabelle sehen lässt. Die Pachterhöhung haben die beiden geschluckt,
schon kommt der nächste Schritt: Nun will der Besitzer Infrastruktur, Strom
und Wege, verbessern. Die Kosten werden auf die Pächter umgelegt. „Wir
sollen zahlen, ohne dass wir irgendwelche Rechte haben“, sagt Monika.
Möglich ist das wegen des „Schuldrechtsanpassungsgesetzes“, das nach der
Wiedervereinigung 1994 vom Bundestag beschlossen wurde und am 1. Januar
1995 in Kraft trat. Es gilt für alle Verträge, die zu DDR-Zeiten für
Gebäude auf Wochenend- und Erholungsgrundstücken (Datschen) und Garagen auf
fremdem Grund und Boden geschlossen worden sind.
## Datschen gehören den Grundstückseigentümern
Seitdem das Gesetz in Kraft ist, gilt: Die Datschen gehören den
Grundstückseigentümern. Für die Pächter wird es vor allem schwierig, wenn
sie ihr Häuschen verkaufen wollen. Bis 2022 gibt es zwar noch einen
Investitionsschutz, wonach der Eigentümer bei Kündigung des Vertrags den
Zeitwert der Datsche zu entrichten hat. Doch Ende des Jahres läuft diese
gesetzliche Regelung aus. Dann kann es sein, dass der Pächter leer ausgeht,
möglicherweise sogar sein Häuschen kostenpflichtig abreißen und entsorgen
muss, wenn der Eigentümer das will.
Holger Becker, Pressesprecher des [3][Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer
(VDGN)], fordert, diese Ungerechtigkeit bei einer der letzten verbliebenen
offenen Fragen der Wiedervereinigung zu lösen und das
Schuldrechtsanpassungsgesetz zu ändern. Ansonsten drohen Zehntausenden
Pächtern Rechtsunsicherheit und Kosten in fünfstelliger Höhe. „Das ganze
Gesetz läuft zuungunsten der Pächter. Zum Jahresende werden die letzten
Sicherungen rausgezogen“, sagt Becker.
Konkret fordert der VDGN die ersatzlose Streichung des Paragraf 15 Absatz 3
des Schuldrechtsanpassungsgesetzes. Diese Vorschrift hebt eine Regelung zur
Verteilung des Kostenrisikos bei Abriss eines Wochenendhauses auf, ohne
festzulegen, was stattdessen gelten soll. Diese Streichung sei der
einfachste Weg, Rechtssicherheit für alle Betroffenen, gleichgültig ob
Nutzer oder Eigentümer, herzustellen. Dann wäre eindeutig geregelt, dass
der Nutzer selbst zum Abriss eines rechtmäßig errichteten Gebäudes nicht
verpflichtet ist und allenfalls die Hälfte der Abrisskosten tragen müsste.
„Steht die Datsche auf Bauland, hat der Pächter sowieso ganz schlechte
Karten“, sagt Holger Becker. „Aber im Außenbereich der Gemeinden, die nicht
den Status eines Sondergebiets Erholung haben und kein Bauland sind, hat
der Verpächter in der Regel kein Interesse am Abriss der Datsche, denn
diese darf nicht wieder aufgebaut werden.“ In diesem Außenbereich hat der
Pächter, egal ob er gekündigt wird oder selbst kündigt, weiter Anspruch auf
eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes, vorausgesetzt, dass der
Eigentümer die Datsche weiter vermietet. Das ist dort noch der einzige
verbliebene Schutz.
## Die Tücken der Rechtsangleichung
In Monikas und Annabelles Siedlung haben 25 Prozent der Nachbarn bereits
verkauft. Sie sind verunsichert, haben Angst, bei Kündigung nicht nur ihr
kleines Sommerglück, sondern auch den Wert des Häuschens ab 2023 zu
verlieren. Viele Altbesitzer verkaufen auch, weil sie sich die erhöhte
Pacht als Rentner nicht mehr leisten können oder vom Gutsherrengehabe des
neuen Besitzers abgeschreckt sind. Sie kapitulieren vor den Tücken der
Angleichung der so unterschiedlichen Eigentumsordnungen in Ost und West.
„Es ist traurig“, sagt Monika. „Nicht nur Rentnerpaare geben auf, auch
viele Familien mit Kindern, die sich bisher hier eine Sommerpause leisten
konnten.“ Das Gefühl der Rechtlosigkeit mache Angst. Der neue Besitzer
könne jederzeit kündigen. Die Leute hätten inzwischen Angst, für ihre
Interessen einzustehen, sich zu äußern. „Ein neues Duckmäusertum West macht
sich bereit“, sagt Monika. Es sei ein Gefühl der Hilflosigkeit, auch
Wertlosigkeit. „Alles was einem jahrelang viel bedeutet hat, gehört einem
nicht mehr, und das ist rechtlich so vereinbart“, erklärt sie.
Die alten Pächter gingen fast immer lautlos. Umso lauter dagegen treten
viele der raumgreifenden, wohlausgestatteten Berliner Neuzugänge mit
Familienauto und Faltboot auf. Sie suchen dringend einen Ort im Grünen, sie
zahlen fast jeden Preis. Die Stadt hat es vorgemacht: Günstiger Wohn- und
Lebensraum wird zum Spekulationsobjekt. Die Verdrängung der finanziell
Schwächeren gehört dazu.
Gentrifizierung und Kalkül auf der einen, Angst und Unsicherheit auf der
anderen Seite haben das Klima in der Datschensiedlung vergiftet. „Bei denen
piept’s wohl“ ist noch eine harmlose Beleidigung. Die schlichten,
zweckmäßigen Datschensiedlungen mit niedriger Pacht sind ein unprofitables
Ostrelikt im begehrten Erholungsgürtel Berlins – und, wie es aussieht, in
dieser sozialverträglichen Form ein Auslaufmodell.
Die Kühle der Natur, die Stille, der Erholungsraum sind ein kostbares
Privileg. Und selbst der Fuchs wird sich wohl bald auf vegane Würstchen
umstellen.
Die Identität der Protagonisten wurde auf ausdrücklichen Wunsch verändert.
17 Apr 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Datsche
[2] https://www.koenigs-wusterhausen.de/
[3] https://www.vdgn.de/
## AUTOREN
Edith Kresta
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