| # taz.de -- Die Wahrheit: Im Speckgürtel des Speckgürtels | |
| > Die Erfolgsautorin gönnt sich nach ihrem ersten Roman nahe der Metropole | |
| > eine Datscha und sinniert herrlich lakonisch über das Leben. | |
| Bild: Wie ein Relikt: typisches Wochenendhaus irgendwo in der DDR, um 1968 | |
| Irgendwann kündigt sie dann wirklich ihren Job in der Pressestelle und | |
| schreibt den Roman. Darin geht es um ein Paar in ihrem Alter, glücklich | |
| kinderlos, das sich trennt, weil er merkt, dass er schon immer eine Frau | |
| war, sie dafür aber nicht lesbisch oder verliebt genug ist, weshalb sie auf | |
| Twitter beschimpft und depressiv wird, am Ende aber ihre Bestimmung darin | |
| findet, mit Flüchtlingskindern friedliche Bienenvölker zu züchten. Ihre | |
| Sprache wird als „herrlich lakonisch“ gefeiert und das Buch ein Erfolg. | |
| Jetzt kann sie sich eine Datsche und 1.000 Quadratmeter Wildnis im Grünen | |
| kaufen. Nicht im Speckgürtel der Großstadt, dafür kommt sie ein paar Jahre | |
| zu spät, aber im Speckgürtel des Speckgürtels vom Speckgürtel der äußeren | |
| Bezirke. Mit ihrem alten Renault, den sie bald durch ein E-Auto zu ersetzen | |
| sich fest vorgenommen hat, braucht sie bis dahin nur zwei Stunden. | |
| Am ersten Abend im neuen Haus lässt sie sich bei einem guten Rotwein die | |
| Waden zerstechen und beschließt, die ersten Monate nur auf den Garten zu | |
| horchen. Sie wird sich ganzheitlich darin aufhalten, denkt sie, still das | |
| Wandern der Sonne und die Wege der Ameisen beobachten, alle Pflanzen exakt | |
| bestimmen. Der Garten, denkt sie, wird ihr schon sagen, was er braucht. | |
| Anderntags parkt ihr Renault schon vor dem Baumarkt der nächsten | |
| Kreisstadt, und sie liest Namen, von denen sie noch nie gehört hat. Ryobi, | |
| Makita, Neudorff. Voll beladen mit Heckentrimmer, Rasenmäher und | |
| Insektenvernichtungsmittel fährt sie zurück ins Haus. Die Arbeitshandschuhe | |
| hat sie gleich angelassen, sie gehen ihr bis zu den Ellbogen. | |
| Sie mäht die Wiese, wo sie Wiese findet. Die Sonne schlägt ihr in den | |
| Nacken. Dann schneidet sie die Brombeerbüsche zurück und kümmert sich unten | |
| am Bachlauf um die Brennnesseln, „nnnn“ vor sich hinsummend. Zum Hang hin | |
| berserkert sie mit der Ryobi durch Ahorn und Haselnuss. Vor der Eibe hat | |
| sie Respekt, aber die Makita leistet ganze Arbeit. Abends versucht sie | |
| vergeblich, mit der LTE-Antenne ein wenig Internet hereinzuholen. Im | |
| Küchenschrank findet sie noch einen Weinbrand vom vermutlich am Weinbrand | |
| verstorbenen Vorbesitzer und hört Schlager aus seinem alten Radio. | |
| Dabei fällt ihr auf, dass die Dielen an manchen Stellen schon ganz schwarz | |
| sind. Mit Gummihammer und Brecheisen macht sie sich ans Werk. Alles nicht | |
| nur feucht, sondern nass. Die Steinwolle liegt wie tonnenschwere Kissen | |
| unter dem Boden. Dort kriecht ihr eine Nacktschnecke mit Tigermuster | |
| entgegen. Sie lässt sie kriechen und schlägt ihr Zelt im Garten auf. | |
| Am Morgen regnet es. Sie entfernt zwei Zecken von ihrem Oberschenkel und | |
| beschließt, die Hütte wieder zu verkaufen. Sie ahnt, dass dieser Fehlschlag | |
| eine Metapher ist für irgendwas. Ein Thema für ihren zweiten Roman. Sie | |
| wird ihn schreiben, mit herrlich lakonischer Sprache. | |
| 30 Jul 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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