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# taz.de -- Die Wahrheit: Unser wackerer und wackliger Elki
> Monatelang stand ein teures Spezialfahrzeug schwer symbolisch auf der
> maroden und einsturzgefährdeten Salzbachtalbrücke.
Bild: Mit einem Spezialkran wurde der Lkw am Mittwoch geborgen
Dies ist die beschissene Geschichte von Mooci, Gelbi oder Elki. Wobei, das
ist schon geschwindelt. Sein Abenteuer währte nicht lange genug für einen
Spitznamen. „MOOC“ stand auf seiner Seite, man konnte es mit dem Fernglas
gut lesen. Er war gelb. Und eben ein Lastkraftwagen. Kein gewöhnlicher
„Brummi“, wie es das definitiv dümmste denkbare Diminutiv aller Zeiten
will. Sondern ein Brückenuntersichtspezialgerät mit einem Gewicht von 30
Tonnen und einem Wert von 750.000 Euro.
Am 18. Juni, seinem ersten Einsatz überhaupt, wurde das nagelneue Gerät von
professionellen Untersichtspezialisten auf eine Brücke gefahren, die
südlich von Wiesbaden das Salzbachtal überspannt. Die Salzbachtalbrücke
jedenfalls wird liebevoll Salzi oder Brücki genannt. Nein, das ist schon
wieder geschwindelt. Es ist einfach eine marode Autobahnbrücke aus dem Jahr
1963, über die täglich 80.000 „Stinker“ (taz-Jargon für Automobile) roll…
und unter der alle, zumindest fast alle Züge hindurchfahren, die den
Bahnhof der hessischen Landeshauptstadt ansteuern oder verlassen. Und so
marode, abgesackt und mit Querrissen über die ganze Breite der Fahrbahn,
dass sie als „akut einsturzgefährdet“ gilt.
So akut gefährdet war sie, dass seine Besatzung den Lkw fluchtartig
verlassen musste. Angeblich fluchtartig. Auf dem Beifahrersitz schimmelt
vermutlich noch das Mittagessen der Brückenuntersichtspezialfacharbeiter.
80.000 Pendler werden seitdem umgeleitet, durch Vorgärten und über
Fußballplätze, hintenrum am Rhein entlang und durch die Innenstadt. Der
medizinische Begriff dafür: Verkehrsinfarkt! Mit Ausrufezeichen!
Denn die Brücke muss weg. Und der Lkw auch. Angedacht war eine
Doppelsprengung. Erst der wackere Elki – bämm! – in Ausübung seiner
Pflicht. Kurz darauf die blöde Brücke – kawumm! Hei, das wird ein
Feuerwerk!
## Ruinöse Brücke
Unterdessen stand der Lkw einsam auf der ruinösen Brücke und durfte keinen
Millimeter bewegt werden, weithin sichtbar in seiner misslichen Lage.
Mahnmal und Opfer zugleich einer sich auflösenden Infrastruktur. Menetekel
für „alles, was falsch läuft in Deutschland“, wie es in den einschlägigen
Winkeln des Internet heißt: „Danke, Merkel!“ Ein stillstehender Lkw in
mechanischer Würde, aber hilflos, als Symbol für den Stillstand im Land.
Mit einem Brückenuntersichtspeziallastenfahrrad wäre das nicht passiert.
Gesellschaftlich debattiert wurde auch darüber, ob man nicht Flüchtlinge
auf die Brücke schicken und die Handbremse lösen lassen könnte, damit der
Lkw per Seilwinde aus seiner Lage befreit würde, was angesichts einer allzu
menschelnden Rechtslage eher unwahrscheinlich ist. Ob ein
Transporthubschrauber der US-Armee das Gerät nicht sachte von der Brücke
heben könnte? Aber selbst der größte Helikopter der Welt, die russische Mil
Mi-26, kann keine 30 Tonnen tragen. Hier müssten die Supermächte sozusagen
Rotorblatt an Rotorblatt zusammenarbeiten, was angesichts der
geopolitischen Weltlage eher ausgeschlossen ist.
Besonders perfide war der Vorschlag, die Brücke einfach mal für eine Nacht
unbeobachtet zu lassen, den Wachdienst abzuziehen, auf dass sich das
Problem von selbst erledige, auf osteuropäische Weise sozusagen,
zwinkerzwonker.
## Bürger mit Vertrauen
Es soll aber auch Bürgerinnen und Bürger mit ausreichendem Vertrauen in
Gott, die Statik und den Gott der Statik gegeben haben, die das Problem
gegen ein geringes Entgelt von 750.000 Euro selbst zu lösen sich erboten.
Man gebe ihnen nur den Zündschlüssel – anlassen, laaangsam kommen lassen �…
und sie würden das Ding da wegfahren.
Es kam, wie bei gesellschaftlichen Debatten üblich, das Schlechteste der
Gesellschaft zum Vorschein. Unterdessen wurde aus dem „Brummi“, was Knut
für Berlin gewesen ist. Eine niedliche Herzensangelegenheit. In
Kindergärten wurde er gemalt, Schulen unternahmen Ausflüge zur Brücke, die
Linksfraktion forderte seine Vergesellschaftung, und Querdenker bestritten,
dass oben in eisigen Höhen wirklich ein Lkw steht.
Im Grunde hätte das Fahrzeug dort stehen bleiben können, als moderne
Skulptur und Wahrzeichen der Stadt. Leider ist Mooci, Gelbi oder Elki am
Mittwoch nun doch mit einem Spezialkran, offenbar spezialisiert auf das
Herunterheben schwerer Lasten von einsturzgefährdeten Brücken, von seinem
Stellplatz entfernt worden.
Gut, dass der Lastwechsel das sensible Bauwerk nicht zum unkontrollierten
Einsturz gebracht hat, und zwar seitlich in die Fäkalbecken der städtischen
Kläranlage darunter. Das wäre richtig scheiße gewesen.
17 Sep 2021
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Brücken
Infrastruktur
Verkehr
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