Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Zeitgeist mit Blasenschwäche
> Eine Mitgliedschaft im Automobilclub mag mittlerweile anrüchig sein,
> sorgt aber immerhin für Aufenthalte an ungewöhnlich duftenden Orten.
Bild: Schwierige Überquerung, selbst mit Baguette unter dem Arm
Ich ahne, welchen Urlaub mir der nachhaltige Zeitgeist buchen würde, wenn
er könnte. Kann er aber nicht. Deshalb fuhr ich mit dem Motorrad nach
Italien. Brummbrumm, bollerboller. Und deshalb spielt diese Geschichte in
einem Milieu, das der Zeitgeist für den nahen Untergang vorgemerkt hat.
Individueller Personenfernverkehr ist nicht mehr en vogue, brummbrumm erst
recht nicht.
Auf der Rückfahrt bollerte ich vergnügt über eines der Tiefbauwunderwerke,
mit denen die Schweiz ihre Alpen möbliert hat, bis das Moped am Nachmittag
südlich von Basel nach dem fossilen Betanken ums Verrecken nicht mehr
anspringen wollte. Es war verreckt, ich gestrandet.
In gewissen Kreisen gilt eine Mitgliedschaft im ADAC moralisch als ebenso
verwerflich wie eine frühere Mitgliedschaft in der SS. Mir hat sie immer
beste Dienste geleistet – also die goldene ADAC-Plus-Karte mit
Lorbeerkranz, nicht die SS. Erster Anruf, Warteschleife, neunstellige
Mitgliedsnummer.
Die Frau sagt, was ich hören will: „Ich kann nichts verstehen, wenn Sie so
laut heulen! Hallo? Wir schicken jemanden, der ihr Fahrzeug überprüft. Dann
wird es abgeschleppt, Sie nehmen ein Taxi nach Basel und fahren von dort
mit dem Mietwagen oder Zug weiter. Alles auf unsere Kosten! Sie kommen
heute noch nach Hause, versprochen. Ist das nicht wunderbar?“ Schon eine
Stunde später kommt ein Mechaniker mit dem unerfindbaren Namen Dean
Hochstetter vorbei. Cooler Typ. Er stellt fest, was ich schon weiß. Ich
überreiche ihm die Zündschüssel, damit er das Fahrzeug später abschleppen
kann.
So „wunderbar“ hätte es weiterlaufen können, wollte der ADAC (neuer Anruf,
Warteschleife, Mitgliedsnummer) mich nicht plötzlich „in Deutschland haben“
und einen alemannischen Abschlepper schicken, der mich samt Maschine die 28
Kilometer über die Grenze heim ins Reich bringt.
Ich warte eine weitere Stunde auf Dean Hochstetter, der mir den
Zündschlüssel zurückbringt. Dann noch eine weitere Stunde auf den
Abschleppdienst aus einem Kaff bei Lörrach. Erneut Anruf, Warteschleife,
Neunstelligkeit. Irgendwann ist das Motorrad auf dem Hänger, noch
irgendwanner auf dem Hof eines Autohändlers in einem Kaff bei Lörrach
gelandet.
Längst haben alle Mietwagenverleiher geschlossen, die Bahn streikt, Hotels
sind ausgebucht, Nebel wallen. Irgendwo bellt ein Hund. Hauptsache, ich bin
in Deutschland. Auch im Callcenterdschungel des ADAC ist die Nachtschicht
angebrochen, Warten, Schleifen, Nummer. Keiner weiß etwas. Um kurz vor
Mitternacht bin ich erneut gestrandet, diesmal aber mit deutscher
Gründlichkeit.
Jetzt vermittelt mir der ADAC doch noch einen Schlafplatz. In einer
Unterführung am Bahnhof von Lörrach, in der es wirklich „nur ganz schwach“
nach schwachen Blasen riecht. Bevor ich einschlafe, deckt mich der
Zeitgeist ganz sanft mit einer Zeitung zu.
27 Aug 2021
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
ADAC
Fossile Brennstoffe
Motorrad
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Radfahren in Berlin
Schwerpunkt Rassismus
Brücken
Kolumne Die Wahrheit
Verkehr
Kolumne Die Wahrheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: J’accuse!
Für zwei oder drei Sekunden nur erscheint dem Autor kurioserweise nicht
sein Leben vor dem inneren Auge, sondern zwei völlig verschiedene Gedanken…
ADAC als Fahrradpannenhelfer: „Immer die Weiterfahrt ermöglichen“
In Berlin erprobt der ADAC in Berlin neuerdings, auch bei Fahrradpannen zu
helfen. Das laufe ganz vielversprechend, sagt Sprecher Leon Strohmaier.
Die Wahrheit: Keks des Grauens
Wer eine Betonfläche vom Anstrich befreien muss, und dazu einen Aufsatz für
den Winkelschleifer erwirbt, tätigt interessante Beobachtungen.
Die Wahrheit: Unser wackerer und wackliger Elki
Monatelang stand ein teures Spezialfahrzeug schwer symbolisch auf der
maroden und einsturzgefährdeten Salzbachtalbrücke.
Die Wahrheit: Im Speckgürtel des Speckgürtels
Die Erfolgsautorin gönnt sich nach ihrem ersten Roman nahe der Metropole
eine Datscha und sinniert herrlich lakonisch über das Leben.
Die Wahrheit: Brummende Reiter der letzten Tage
Sie machen Krach, legen sich in die Kurven, bieten bei
Transplantationswetter ihre inneren Organe feil. Eine kleine Typologie der
Motorradfahrer.
Die Wahrheit: Zu Besuch bei Maike Kohl
Oggersheim ist nicht Beverly Hills. Das ist trotz des weltberühmtesten
Bunkerbungalows der Welt schon klar gewesen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.