| # taz.de -- Die Wahrheit: Keks des Grauens | |
| > Wer eine Betonfläche vom Anstrich befreien muss, und dazu einen Aufsatz | |
| > für den Winkelschleifer erwirbt, tätigt interessante Beobachtungen. | |
| Im folgenden Text wird vorkommen, was nur noch „das N-Wort“ genannt wird. | |
| Ich meine diese Warnung ganz ernst und entbinde mich damit von jeglicher | |
| Verantwortung für mögliche Verletzungen, die mit der Lektüre einhergehen | |
| könnten. Und ja, ich bin mir meiner privilegierten „Sprechposition“ | |
| bewusst. | |
| Im folgenden Text geht es um Erfahrungen von Rassismus. Einmal in der | |
| Stadt, einmal auf dem Land. Weil beide Lebensräume so gern gegeneinander | |
| ausgespielt werden. Erst mal die Stadt, der urbane Raum des | |
| soziomoralischen Fortschritts. | |
| Auf der anderen Straßenseite verkleidet seit zwei Tagen ein syrischer | |
| Handwerker die marode Hauswand neu. Mir gegenüber hat er brüsk sein | |
| Syrertum betont, nachdem ich ihn in vorauseilendem Assimilationswillen als | |
| Deutschen „gelesen“ hatte. | |
| Am dritten Tag hat er den Job fast erledigt. Im Schneidersitz hockt er auf | |
| dem Trottoir und spachtelt die Fugen aus. Neben ihm ist das örtliche | |
| Arschloch stehen geblieben, Typ „Frührentner“ oder auch | |
| „Wohnmobilbesitzer“. Vergnügt wippt er in seinen Sandalen und sagt | |
| grinsend: „Scheißjob, oder?“ | |
| ## Abgang Arschloch | |
| Der Handwerker blickt auf: „Wie bitte?“ Er hat’s akustisch nicht | |
| verstanden. Das Arschloch wiederholt seinen Satz, der sinngemäß „Genau die | |
| richtige Arbeit für einen Kameltreiber wie dich!“ bedeutet. Rassistischer | |
| geht es nicht, ganz ohne „Perpetuierung eines rassistischen Stereotyps“, | |
| wie es in akademischer Einschüchterungssprache heißt. Jetzt lächelt der | |
| Syrer, breit und ehrlich: „Aber nein! Ich liebe meine Arbeit! Und Sie? | |
| Lieben Sie Ihre Arbeit auch?“ Abgang Arschloch, Ende der ersten Geschichte. | |
| Jetzt zum Land. Dort muss ich gerade eine Betonfläche von ihrem alten | |
| Anstrich befreien. Eine superknifflige Angelegenheit. Mit Draht verreibe | |
| ich die Dispersionsfarbe nur, ich hole mir Hilfe im örtlichen Baumarkt. Die | |
| Verkäuferin reicht mir einen Aufsatz für meinen Winkelschleifer und sagt: | |
| „Dodemit müsst’s gehe!“ Was ist das? Auch Draht? „Weeß isch net“, s… | |
| unsicher und, noch unsicherer: „Friher het mer dodezu Neescherkeks gesaaht | |
| …“ | |
| „What the fuck …?“, entfährt es mir. Hat die Frau da etwa gerade | |
| perpetuiert? Erschrocken dreht sie die Schleifscheibe in ihren Händen und | |
| wiederholt das Wort, fast verdutzt, auf Pfälzisch klingt es ganz weich, | |
| fast welsch: „Neescher.“ Aber warum, zum Teufel, heißt das so? „Ei …�… | |
| sie zögernd, denkt lange nach: „Vielleischt, weil mer mit denne … alles | |
| mache kann? Awwer heit würd mer des so nimmi sa’e!“, schiebt sie hastig | |
| hinterher: „Wenn Sie e’ Neescher wäre, hätt isch des Wort nadirlisch ned | |
| verwennet!“ | |
| Das Ding hieß bis zum Jahr 2012 offiziell „N-Wort-Keks“, dann wurde der | |
| Name vom Hersteller gelöscht. Geholfen hat es nicht. Oder vielleicht doch, | |
| ein bisschen. Hinter ihrer Maske, ich konnte es deutlich sehen, war die | |
| Verkäuferin ganz rot geworden. Sie war zwar vom Land. Ein Arschloch war sie | |
| nicht. | |
| 24 Sep 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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