# taz.de -- Die Wahrheit: Sex mit der fabelhaften Amélie | |
> Kitschfutter für Feiertage ist enorm wichtig. Damit beim | |
> Schmonzettengucken wirklich die letzten Tränen des Jahres fließen. | |
Bild: Schwierige Überquerung, selbst mit Baguette unter dem Arm | |
In einer Szene liegt die Frau auf dem Rücken, nackt, ihre Brüste wackeln im | |
Takt des Mannes, der auf ihr liegt und sich heftig an ihr zu schaffen | |
macht, wohl genital. Die Matratze quietscht, der Mann stöhnt, während die | |
Frau teilnahmslos an ihm vorbeischaut, sie fühlt sich nicht bedrängt, eher | |
gelangweilt, aber auf eine vergnügliche Art, als dächte sie: „Aha, so ist | |
also dieses Ficken, von dem alle reden, sooo doll isses nun auch wieder | |
nicht!“ | |
In einer anderen Szene geht ein Mann aufs Klo eines Cafés und versäumt, die | |
Tür hinter sich abzuschließen. Eine Frau, zuvor bereits sichtlich erhitzt, | |
gesellt sich zu ihm. Die Wirtin und andere Gäste wechseln vielsagende | |
Blicke, da geht das Gerammel hinter nun verschlossener Tür bereits los, wir | |
sehen Hände an der Milchglasscheibe und hören ein anschwellendes Gestampfe, | |
es zittert der Kaffee in der Tasse, es klirrt das Geschirr in den Regalen. | |
Beide Szenen brachten mich als Vater ein wenig ins Schwitzen, weil ich sie | |
der Elfjährigen erklären und das verächtliche Geschnaube der | |
Dreizehnjährigen ertragen musste. Dabei war mir die Idee völlig | |
einleuchtend erschienen, über die Feiertage mit den Kindern einen Film zu | |
schauen, den ich wegen seiner heiteren Harmlosigkeit in guter Erinnerung | |
hatte. So kann man sich täuschen. | |
Willkommen in „Die fabelhafte Welt der Amélie“ mit neckischem accent aigu, | |
einem hollywoodhaften Bilderbuch-Paris, wo selbst kleine Kellnerinnen sich | |
traumschöne Appartements leisten können und immer irgendwo | |
Sehenswürdigkeiten in der weichgezeichneten Gegend herumstehen. | |
In Erinnerung hatte ich die klebrige Niedlichkeitsmusik von Yann Tiersen, | |
eine „starke Frau“, die murmeläugige Audrey Tatou als kindliche Göttin | |
ihres Quartiers, mit schwarzen Herrenwinkern und ausreichend Freizeit, | |
vermittels ausgeklügelter Streiche ihren Mitmenschen das Leben in etwas | |
Märchenhaftes zu verwandeln. | |
Nicht in Erinnerung hatte ich die Sexszenen, die mein ansonsten für | |
Sexszenen durchaus empfängliches Hirn im Lauf der zwei Jahrzehnte, die seit | |
meiner letzten Sichtung der Liebeskomödie vergangen sind, einfach | |
unterschlagen haben muss. Die Sau! | |
Nun also hockte ich da und konnte meinen Kindern unter allerlei Geräusper | |
erklären, dass dieses lieblose Gerammel, nun ja, wie soll ich sagen …? „S, | |
E, X?“, buchstabierte die Jüngere hilfsbereit. Ja, genau. Ich hatte mal | |
wieder als Vater versagt. | |
Am folgenden Abend konnte ich die Scharte wieder auswetzen. Diesmal guckten | |
die Mädchen mit der Mutter „Sissi“, feuchte Augen, Walzertakt, Romy | |
Schneider war mal wieder sehr tapfer, als ich sagte: „Die Frau war so dumm, | |
dass sie nicht einmal merkte, wie sie ermordet wurde, von einem | |
italienischen Gelegenheitsanarchisten am Genfer See mit einer Feile, das | |
zeigen sie natürlich nicht in dieser Schmonzette! Hallo? Hört ihr mir | |
überhaupt zu?“ | |
Silvester werde ich allein verbringen und über meine Fehler nachdenken. | |
30 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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