| # taz.de -- Die Wahrheit: Rad’a, Rad’a, Rá dad’da dada! | |
| > Heutzutage Henry Valentinos Schlager „Im Wagen vor mir“ von 1977 in die | |
| > Gehörgänge eindringen zu lassen, führt zu ganz neuen Erkenntnissen. | |
| Bild: Schwierige Überquerung, selbst mit Baguette unter dem Arm | |
| Der Schlager „Im Wagen vor mir“ (1977) von Hans Blum alias Henry Valentino | |
| hat eine beinahe ebenso lange Rezeptionsgeschichte wie, beispielsweise, | |
| „Der Butt“ (1977) von Günter Grass. Das Urteil der Gelehrten ist einhellig. | |
| Fraglos handelt es sich um ein sexistisches Machwerk und eine Hymne auf das | |
| Stalking – also das Lied, nicht „Der Butt“, wobei auch der „Der Butt“ | |
| bestimmt ganz schlimm sein kann, keine Ahnung, nie gelesen. | |
| Der Schlager hinwiederum verdient durchaus eine neuerliche Prüfung im | |
| Lichte all dessen, was wir heute (2022) wissen, gelernt haben oder | |
| fürchten. „Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen / sie fährt allein, | |
| und sie scheint hübsch zu sein“, stellt ein männlicher Bariton mit male | |
| gaze befriedigt fest – und lässt seinen Gedanken freien Lauf. Was denkt die | |
| Frau wohl gerade? Hört sie den gleichen Sender? | |
| Anzüglich ist das nicht, eher anerkennend und ohne die übliche „Frauen | |
| können nicht Autofahren“-Leier: „Ich merke nur, sie fährt mit viel Gefüh… | |
| Sie fährt dem männlichen Betrachter nicht einmal zu langsam, sondern, wie | |
| er mit Wohlgefallen bemerkt, „so schön mit 90“ auf der Autobahn. Er zockelt | |
| hinterher. Wir haben es also mit einer freiwilligen Unterschreitung der | |
| Richtgeschwindigkeit zu tun. Das ist zeitgemäß. | |
| Endlich ergreift, wie im Duett üblich, die Frau das Wort. Als Insassin | |
| einer heillos untermotorisierten Ente fühlt sie sich „seit ’ner halben | |
| Stunde“ entsprechend bedroht: „Was will der blöde Kerl da hinter mir nur? / | |
| Ich frag mich, warum überholt der nicht?“. Vielleicht, weil „der blöde | |
| Kerl“ kein rücksichtsloser Raser ist? Nun, neben der gefühlten liegt | |
| überdies auch eine konkrete Gefährdung vor, wie die Frau penibel | |
| feststellt: „Nun dämmert’s schon, und er fährt ohne Licht.“ | |
| Gleichwohl fährt er nicht zu dicht auf, das wüssten wir. Auch nervt er | |
| nicht mit der Lichthupe. Er ist einfach da, das genügt. Was führt der Mann | |
| im Schilde? Nichts, er denkt einfach auf dem Niveau einer satten | |
| Schildkröte vor sich hin: „Was bin ich froh!“, oder „Heut ist ein schön… | |
| Tag!“, aber auch „Ich fühl mich richtig wohl!“ Im Gegensatz zu seiner | |
| Vorderfrau, der „die Sache langsam mulmig“ wird, als befände sie sich nicht | |
| auf einer Autobahn, sondern allein in einer dunklen Tiefgarage. | |
| Am Ende ist es die Idee, es könnte sich bei ihrem Verfolger um eine | |
| Zivilstreife handeln, die sie vorschriftsmäßig blinken, „die allernächste | |
| Abfahrt“ nehmen und sich „hinter irgendwelchen Hecken“ verstecken lässt. | |
| Das ist ebenfalls sehr zeitgemäß. Unterdessen muss der arme Kerl – | |
| ausgiebig als „blöder Typ“ bescholten, aber nachweislich unschuldig – se… | |
| Fahrt noch „zwei Stunden“ fortsetzen. | |
| Im Grunde handelt der Song von der Autobahn als safe space. Im | |
| Großraumabteil des ICE der Deutschen Bahn wäre die Geschichte vermutlich | |
| nicht so glimpflich ausgegangen. | |
| 28 Jan 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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