| # taz.de -- Gärtner in Coronazeiten auf hohem Niveau: Eine grüne Revolution | |
| > Das Gärtnern hat auch dank Corona einen enormen Schub erfahren. | |
| > Gärtnerisches Knowhow ist gefragt. Ein Besuch in der Königlichen | |
| > Gartenakademie. | |
| Bild: Hier kaufen Gartennerds ein: Einblick in die Angebotspalette der Königli… | |
| Berlin taz | Gabriella Pape steht vor einem großen Regal voller Töpfe mit | |
| Tulpen, Narzissen und Hyazinthen in allen Farben und Formen, viele von | |
| ihnen blühen schon. „Unsere neue Zwiebelshow“, sagt die groß gewachsene | |
| Hamburgerin, die oft als Deutschlands beste Gärtnerin bezeichnet wird. | |
| „Sieht gut aus, nicht?“, fügt sie stolz an und rückt versonnen einen der | |
| Kübel einen Zentimeter nach links. Direkt neben ihr fotografiert eine | |
| ältere Kundin in jugendlichem Parka die QR-Codes an den Töpfen für ihre | |
| Vorbestellungen im Herbst. Sie kennt Pape natürlich und stimmt ihr fröhlich | |
| zu. | |
| Die [1][Königliche Gartenakademie] liegt am Rande des Botanischen Gartens | |
| in Dahlem, besteht aus einer Gärtnerei inklusive Designstudio und Shop von | |
| Manufactum sowie (in coronafreien Zeiten) Café, Veranstaltungen und | |
| Gartenschule: Da treffen sich Gartenverrückte aus ganz Berlin. Nerds, wie | |
| sie in Deutschland noch immer nicht oft zu finden sind, die aber gerade – | |
| auch dank Corona – einen gewaltigen Zuwachs erleben. | |
| Inzwischen ist es 13 Jahre her, dass es Gabriella Pape gelang, die 9.000 | |
| Quadratmeter große ehemalige Gartenlehranstalt zur Ausbildung von Gärtnern | |
| zu kaufen, die Gartenkünstler Peter Joseph Lenné 1823 in Potsdam gründete | |
| und 1903 nach Dahlem umziehen musste. Pape hat Gartenbau in [2][Kew Gardens | |
| in London] studiert, einem der ältesten und berühmtesten botanischen Gärten | |
| der Welt. 1992 etablierte sie in England mit Isabelle Van Groeningen, ihrer | |
| Partnerin im Geschäftlichen wie im Privaten, ein Designstudio. | |
| 2007 gestalteten beide einen Senkgarten in Anlehnung an den berühmten | |
| deutschen [3][Staudenzüchter Karl Foerster] und bekamen dafür die | |
| Silver-Gilt-Medaille, das ist eine Art Oscar für Profigärtner*innen. Als | |
| sie 2006 begannen, für die Gartenlehranstalt zu kämpfen, da wurden sie | |
| deshalb von vielen für verrückt erklärt. Das Gelände mit den schönen | |
| Glashäusern war heruntergekommen, wurde nur noch teilweise von der TU | |
| genutzt. Keiner habe verstanden, warum sie dafür aus dem Gartenparadies | |
| England weg wollte. | |
| ## Gartenkultur an jedem Ort | |
| „Berlin war damals eine Wüste“, sagt Pape. Die Stadt war so durstig nach | |
| Grün wie nach Ideen. „Mein Ansinnen war zu zeigen, dass Gartenkultur an | |
| jedem Ort funktioniert und man Menschen damit verändern kann“, fügt sie an. | |
| „Ich glaube, es ist mir gelungen.“ | |
| Wer an einem sonnigen, aber noch ziemlich kühlen Aprilnachmittag einmal das | |
| Glück haben sollte, mit Gabriella Pape durch die Königliche Gartenakademie | |
| spazieren zu dürfen, der wird Schwierigkeiten haben, ins konzentrierte | |
| Gespräch zu finden. Egal, wohin Auge, Ohren und Nase reichen: Überall | |
| Blüten, Düfte, Vogelgezwitscher und Bienensummen. | |
| Unter einer großen Mädchenhaarkiefer, wo vor Corona die Cafégäste saßen, | |
| blüht ein Meer von blauen Puschkinien. Ein Mann um die 50 bewundert einen | |
| gewaltigen Rosmarinstrauch. Zwei Freundinnen um die 20 halten kleine Töpfe | |
| mit fünf oder sechs Sorten der eher weniger bekannten Staudenpflanze | |
| Wolfsmilch nebeneinander. | |
| Gut: Die für deutsche Gärten typischen Friedhofsgewächse wird man hier | |
| vergeblich suchen. Auch Schottergärten sind hier Fehlanzeige. Dafür ist die | |
| Auswahl riesig. Und selbst wenn die Pflanzen hier nicht billig sind, | |
| bekommt man auch kleine Töpfe für 3,80 Euro. Hinzu kommt die Beratung. Hier | |
| weiß jede*r Gärtner*in, wie selbst noch die schwierigste Problemzone des | |
| Gartens zu bepflanzen ist. Und im Designstudio kann man sich für einen Euro | |
| pro Quadratmeter einen „Masterplan“ für den Garten erstellen lassen. | |
| ## Eher inklusiv als exklusiv | |
| Der Ansatz, den sie hier verfolgen, ist also eher inklusiv als exklusiv. | |
| Das einzige Manko: Die meisten der hier erhältlichen Pflanzen sind nicht | |
| selbstaufgezogen, sondern eingekauft. Gabriella Pape meint, sie würden es | |
| gar nicht schaffen, die Menge der hier nachgefragten Pflanzen selbst zu | |
| ziehen. | |
| „Ich würde sagen, dass ich mit dem Zug losgefahren bin, anstatt hinten | |
| aufzuspringen“, sagt Pape zu ihrer Entscheidung für Berlin in einem ihrer | |
| Gewächshäuser, das vom Zitronenduft meterhoher, rankender Exemplare | |
| seltener Geranien aus Madeira erfüllt wird. „Da ist eine Blüte | |
| aufgegangen“, grinst sie verschmitzt. „Und ich bin ganz sicher: Es ist kein | |
| One Day Wonder“. | |
| Das One Day Wonder: Damit meint Pape, dass die Gärtnereien umsatztechnisch | |
| ungeheuer von Corona profitieren, ähnlich wie die Fahrradläden zur Zeit. | |
| „Statt teurer Fernreisen und Restaurantbesuche investieren die Menschen | |
| seit einem Jahr in ihre nähere Umgebung“, bestätigt dies Andreas Jende, | |
| Geschäftsführer des [4][Gartenbauverbands Berlin–Brandenburg]. Bundesweit | |
| ist der Markt um mehr als 5 Prozent gewachsen, für die Region wird | |
| Ähnliches gelten, in manchen Gärtnereien geht Jende sogar von 20 bis 30 | |
| Prozent mehr Umsatz im letzten Jahr aus. | |
| Zwar galt vom 6. Dezember bis zum 8. März der Lockdown auch für | |
| Gärtnereien, aber für die meisten, die ohnehin erst wieder im März öffnen, | |
| bedeutete dies geringe Einbußen. Natürlich bedarf Pflanzenanzucht | |
| langfristiger Planung, kurzfristige Erweiterungen des Angebots sind kaum | |
| möglich, es kommt zu Lieferengpässen. Auch haben manche wie die Königliche | |
| Gartenakademie jetzt an sieben Tage die Woche auf – und selbstverständlich | |
| bedeutet das alles Verunsicherung und Stress. Aber eigentlich wirken die | |
| meisten Gärtner*innen, die man dieser Tage anspricht, trotzdem beschwingt. | |
| ## Beginn einer Trendwende | |
| Sie haben guten Grund dazu, denn eigentlich ist die Zahl der | |
| Zierpflanzenbaubetriebe mit Endverkauf, wie sie im schönsten | |
| Bürokratendeutsch heißen, aber auch die der Baumschulen und der Obst- und | |
| Gemüseanbauer in der Region seit Jahren stärker rückläufig als im | |
| Bundesgebiet. In Berlin und Brandenburg befinden sich ohnehin nur etwa 3 | |
| Prozent aller Produzenten von Obst, Gemüse, Blumen und Pflanzen bundesweit. | |
| Die Region habe nach der Wende stark unter der flächendeckenden Versorgung | |
| mit Discountern und Baumärkten zu leiden gehabt, so Jende. Hinzu komme der | |
| Preisdruck durch die nahe Grenze zu Polen. Viele gute, alte, kleine | |
| Gärtnereien mit eigener Anzucht haben in den letzten Jahren aufgegeben. | |
| Trotzdem bemerken Jende wie auch Pape in jüngster Zeit und auch unabhängig | |
| von Corona so etwas wie den Beginn einer Trendwende. | |
| Jende wie Pape wissen: Vor allem junge Menschen im urbanen Raum | |
| interessieren sich wieder zunehmend fürs Gärtnern. Die Kleingartenvereine | |
| in und um Berlin können sich vor Anfragen kaum mehr retten, ebenso die | |
| Initiativen, bei denen man sich ein Stück regelmäßig bewässerten Ackers | |
| zwecks Gemüseanbau mieten kann. Längst gehört es bei vielen | |
| Bewohnern*innen der Innenstadt zum Alltag, nach Feierabend noch ein | |
| bisschen beim urbanen Garten um die Ecke mitzubuddeln – ein Trend, den | |
| Institutionen wie der 2009 gegründete Prinzessinnengarten auf dem | |
| Moritzplatz angestoßen haben. | |
| Engagierte Imker*innen bevölkern Berlins Dächer mit Bienen, immer mehr | |
| Berliner*innen gießen ihre Stadtbäume, werfen Samenbomben auf | |
| langweilige Verkehrsinseln, ernten Kräuter in den städtischen Parks und | |
| Wäldern, gestalten ihre Balkons insektenfreundlich um, studieren die | |
| Nachtigallen, die es eher in die Städte zieht als in die Monokulturen auf | |
| dem Land und gehen mit ihren Kindern zu den Fridays for Future-Demos. Und | |
| weil Berlin internationaler wird, bringen immer mehr Menschen aus aller | |
| Welt ihr gärtnerisches Knowhow in die Stadt. Die Menschen suchen mehr Muße, | |
| mehr Kontemplation und mehr Nachhhaltigkeit. All das verfolgt Gabrielle | |
| Pape aufmerksam. Und es lässt sie hoffen. | |
| ## Schon im 18. Jahrhundert | |
| Viele Kunden, die zum ersten Mal da sind, sagt sie, fühlen sich an | |
| englische Gärten erinnert. Andere kommen tatsächlich wegen des britischen | |
| Gärtners James Foggin, der hier Dozent ist und einen erfolgreichen | |
| Youtube-Kanal mit Gartentipps betreibt. Seine Anhänger wissen oft: Schon im | |
| 18. Jahrhundert waren es zuerst die Briten, die die strengen Formen des | |
| Barockgartens aufbrachen und ihre Gärten naturnah gestalteten. | |
| Und während die Deutschen gerade erst anfingen, es den Briten gleich zu | |
| tun, wurde der Landschaftspark in England schon wieder revolutioniert. Der | |
| junge Gärtner William Robinson machte mit Büchern über Gärten voller | |
| Stauden und heimischer Wildpflanzen Furore. Vieles, was heute erst langsam | |
| in Deutschland durchsickert, hat er schon vor 150 Jahren erfunden: Blühende | |
| Wiesen statt Rasen, Kletterrosen in alten Bäumen und Pflanzen in Mauerfugen | |
| zum Beispiel. Gartenkunst ist in England kein Hobby für alte Leute, sondern | |
| Gegenstand von Literatur, Naturgeschichte, Naturphilosophie. | |
| Es ist dieser kosmopolitische Ansatz, um den es sich in der Königlichen | |
| Gartenakademie dreht. Gleichzeitig aber geht es auch ums Regionale. | |
| Berlin-Brandenburg ist für passionierte Gärtner eine Herausforderung. Der | |
| Boden ist sandig, die Sommer werden dank Klimawandel heißer. Einige | |
| Wildstauden, die in Deutschland vor Kurzem noch als heimisch galten, werden | |
| in Brandenburg schon jetzt nichts mehr. Andere Pflanzen, die aus wärmeren | |
| Regionen stammen, sind in den seltensten Fällen invasiv, sondern guter | |
| Ersatz für hungrige Schmetterlinge und Wildbienen. | |
| Gärtner*innen müssen hier noch kreativer sein als anderswo, dann | |
| bekommen sie selbst in Berlin und Brandenburg wuchernde Gärten hin – | |
| lebendige, bunte, offene Räume mit der Natur, nicht gegen sie. | |
| ## Beruf des Gärtners ist attraktiv | |
| Vielleicht hat Gabriella Pape Recht. Vielleicht wird von Berlin aus in | |
| diesem Land eine ganz neue, moderne Art der Gartenkunst entstehen. Das | |
| bestätigen die Umsätze, das bestätigt auch der Nachwuchs. Laut | |
| Ausbildungsstatistik des Bundesinstituts für Berufsbildung sind im letzten | |
| Jahr fast 5 Prozent mehr Neuverträge für die Ausbildung zum*r Gärtner*in | |
| abgeschlossen als im Vorjahr. Das ist besonders bemerkenswert, da viele | |
| Ausbildungsberufe rückgängige Zahlen haben. Der Beruf des Gärtners scheint | |
| attraktiver zu werden. | |
| Aber woran liegt es eigentlich, dass er so lange so wenig anziehend war, | |
| dass der Garten den Deutschen lange so nebensächlich war? | |
| Wir befinden uns fast am Ende des Spaziergangs durch die Akademie. | |
| Inzwischen sind wir in einem Glashaus voller Kartoffelsäcke angelangt, alte | |
| Sorten, die Pape ebenfalls zum Verkauf anbietet. Da denkt die große, | |
| lässige Frau mit der trockenen, hanseatischen Sprache und dem feinen, | |
| britischen Humor noch einmal lange nach. „Ich glaube, es lag am Zweiten | |
| Weltkrieg“, sagt sie. „Die Engländer waren schon längst wieder mit ihren | |
| Schneeglöckchen beschäftigt, als die Deutschen noch immer aller Welt zeigen | |
| mussten, Vorsprung durch Technik.“ | |
| Sie erinnert sich, wie fassungslos der Großvater war, als ihr Vater | |
| irgendwann einmal schicke Gartenmöbel aus Dänemark mitbrachte. „Sich im | |
| Garten hinzulegen, das war abstrus für einen, der nie frei gemacht hat.“ | |
| Dann grinst die grüne Revolutionärin noch einmal schelmisch und widmet sich | |
| wieder einer Pflanze. | |
| 24 Apr 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.koenigliche-gartenakademie.de/ | |
| [2] https://www.kew.org/ | |
| [3] https://www.foerster-stauden.de/ | |
| [4] https://www.gartenbau-bb.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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