| # taz.de -- Gärtnern im Corona-Sommer: Aufdringliche Quecken ausrotten | |
| > Was für ein Trost: Zumindest im Garten kann der Mensch das Schicksal in | |
| > die Hand nehmen und sich sogar zur gottgleichen Bestimmerin aufschwingen. | |
| Bild: Nature is healing: Nahaufnahme eines Keimlings | |
| Ohne Garten wäre das alles gar nicht auszuhalten. Schon die Fahrt zur | |
| Parzelle an der Stadtgrenze ist beruhigend, wenn auch nicht mehr so | |
| kontemplativ wie während des Lockdown. | |
| Da waren Kreuzberg und Mitte ganz ausgestorben, weiter oben in der | |
| Schönhauser hatte man den Hipster-Imperativ #staythefuckathome an die | |
| Fensterscheiben der geschlossenen Cafés gepinselt. | |
| In Pankow und Niederschönhausen angekommen, zeigte das Stadtbild praktisch | |
| keine Veränderung, und Richtung Schildow, Blankenfelde war alles wie immer: | |
| Felder, Gärten, von Corona keine Spur. | |
| Damit an dieser Stelle kein Neid aufkommt: Das deutsche Kleingartengesetz | |
| ist lang und voller Vorschriften, deren Einhaltung ständig kontrolliert | |
| wird, die Berliner Laubenpieper sind noch schlimmer, als das Klischee sagt, | |
| und ein Garten ist voll viel Arbeit, zum Ausruhen kommt man so gut wie nie! | |
| Deshalb ist ein Garten in Zeiten von Corona, auch und gerade für uns | |
| arbeitslose Soloselbstständige aus der Unterhaltungsbranche, Zuflucht und | |
| Therapie in einem. | |
| Gärtnerische Vergeblichkeitsgefühle | |
| Wer den Rest des Jahres – und wer weiß noch, wie lange – beschäftigungslos | |
| ist, der läuft Gefahr, den lieben langen Tag innerlich die Litanei der | |
| Vergeblichkeitsgefühle hoch und runter zu beten: | |
| Es ist alles so sinnlos, es wird nie wieder wie vorher, nichts kann geplant | |
| werden, außer abwarten ist nichts zu machen. | |
| Bereits beim Gang durch die Gartenpforte werden diese Gedanken durch | |
| andere, gärtnerische Vergeblichkeitsgefühle verdrängt: | |
| Warum haben die Hortensienblätter Löcher? Wer hat den mühsam gezogenen | |
| Mangold in einer Nacht bis auf den Strunk abgefressen? Oh nein! Der Wind | |
| hat den Rittersporn umgeknickt! Der Maulwurf war wieder da!!! | |
| Aber anders als im Coronaleben kann der Mensch im Garten selbst etwas tun, | |
| das Schicksal in die Hand nehmen und sich sogar zur gottgleichen | |
| Bestimmerin über andere Lebensformen aufschwingen. Ist das Leben | |
| fremdbestimmt und die Zukunft düster, kann das wütende Ausmerzen | |
| unerwünschter Gewächse eine wirksame Therapie sein: | |
| Dir zeig ich’s, du Drecksgiersch! Du aufdringliche Quecke – ausgerottet | |
| wirst du! Nicht mit mir, sparriger Runzelbruder – Nimm dies! Kriechender | |
| Günsel – schließ ab mit deinem Leben. Und deine Pfahlwurzel reiß ich gleich | |
| mit raus, du stumpfblättriger Ampfer! | |
| Trost für die wunde Coronaseele | |
| Auch menschliche Allmachtgefühle gegenüber der ganz kleinen Kreatur trösten | |
| die wunde Coronaseele. | |
| Hebt man zum Beispiel nur einen mittelgroßen Stein, um den Verlauf der | |
| Beetbegrenzung nachzujustieren, findet sich darunter ganzer eigener | |
| Lebensraum für seltsame schwarze schabenartige Käfer. Eine Welt in Aufruhr! | |
| Denn unsere kleine Bewegung löste für diesen Mikrokosmos wohl so was wie | |
| ein Erdbeben oder einen Meteoriteneinschlag aus. Hektisches Gewimmel bricht | |
| aus, alles rennt, rettet sich, flüchtet panisch über- und untereinander – | |
| als habe eine zornige Gottheit gewütet. | |
| Wer nix zu tun hat und monatelang immer im Garten ist, der kriegt viel | |
| erledigt. | |
| Es bleibt sogar Zeit, die Unkräuter zwischen den Gehwegplatten | |
| rauszureißen! | |
| „Ordentlich musset aussehen!“, hatte der Vorstand bisher bei jeder | |
| jährlichen Begehung gefordert. | |
| Also ein scharfkantiges Gerät zur Hand genommen und die Grasbüschel und | |
| Konsorten rausgezogen. | |
| Dann auch hier das Staunen der Gärtnerin: Überall ist Leben! Rote, | |
| schwarze, fliegende Ameisen, kleine Käferchen und Minispinnen leben in | |
| diesen Rillen! | |
| Langsam geht es voran, die Knie scheuern auf den Steinplatten, noch ein | |
| Stück Löwenzahn muss raus. Wachs woanders, Alter! Es ist mühsam, | |
| anstrengend, wie das Leben selbst, und doch kommt man voran, und am Ende | |
| ist dieses kleine Stück Weg bereinigt und nebenbei das ramponierte | |
| Nervenkostüm auf wunderbare Weise saniert. | |
| 11 Aug 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Christiane Rösinger | |
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