# taz.de -- Zuversicht und Corona: Die Kinder riechen den Braten | |
> Corona greift nach uns im November. Laternenumzüge gibt es nur noch in | |
> der Kleinstgruppe. Irgendwann hilft nur noch, die große Säge auszupacken. | |
Bild: Zum Spazieren verabreden, what else? | |
So gern ich auch wollte, ich schaffe es nicht, ins Horn der Zuversicht zu | |
stoßen. Noch nicht mal ein wenig spitzzüngiger Zynismus will mir gelingen, | |
damit beim zweiten Homeoffice-Frühstück überm Hafermilchcappuccino gegrinst | |
werden kann. Sogar das Fernsehen vermeldet: Die Erschöpfungssyndrome bei | |
Frauen zwischen 40 und 50 sind in den letzten zehn Jahren um 67 Prozent | |
gestiegen, Tendenz coronabedingt stark steigend. | |
Und über allem liegt ein sich nie mehr hebender Nebel, ein stiernackiger | |
Dunst, wild entschlossen, aus diesem November eine bleierne Zeit der | |
Extraklasse zu machen. | |
Die Straßen sind tagtäglich leerer. Vor allem am Abend hat man das Gefühl, | |
die Menschen säßen in Erwartung der nächsten Fliegerstaffel sämtlich in | |
ihren Luftschutzbunkern. Ich verabrede mich trotzdem zum Spazieren. What | |
else. | |
Der Freundin, die ihre Tage mit den Tücken der Onlinemoderation | |
großinstitutioneller Evaluierungsprozesse in Sachen Familienfreundlichkeit | |
und Diversity zubringt, ist es schon nach einer kleinen Kanalrunde zu kalt, | |
um weiter mit mir und meinem vorsorglich mitgebrachten | |
Thermoskannenglühwein auf der Admiralbrücke herumzustehen. Ein bisschen | |
enttäuscht – das einsame Hipsterpärchen in den 80er-Schneejacken hält | |
länger aus, grmpf! – radele ich nach Hause, um dort festzustellen, wie | |
durchgefroren ich bin. | |
## Schmecke ich noch was? | |
Am nächsten Morgen kratzt der Hals. Sofort startet die hochnotpeinliche | |
Selbstbefragung: Schmecke ich noch was? Läuft die Nase? Fühle ich mich | |
überhitzt? Was wäre jetzt Bürgerinnenpflicht? Erst mal die Kinder zur | |
Schule kriegen. Haben alle ihre Nasen geputzt, damit sie dort bitte, bitte | |
nicht mehr laufen? [1][Haben alle ihre Masken dabei]? Sind es auch die, die | |
vor drei Tagen in der Wäsche waren? Die Lehrerin bat schriftlich um das | |
Tragen sauberer Masken, und zwar ziemlich explizit. Au weia. | |
Weil am Nachmittag zwischen Schule und Musikschule noch Zeit ist, wollen | |
wir in Kleinstgruppe Laternelaufen. Dieser Brauch fällt ja sonst dieses | |
Jahr aus, nirgendwo durchdringen wogende Meere goldfarbener Lichtlein die | |
viel zu frühe Dämmerung. Nur wir jetzt: mit fünf Kindern einmal um den | |
Mariannenplatz. | |
Fürchterlich gewollt stimmen wir, in abstandsbewusstem Häuflein ziehend, | |
halbwegs memorierte Songs an. Rotegelbegrüneblaue, Imschneedasaß, | |
Rabimmelrabammelrabumm. Aber ein paar überambitionierte Eltern schaffen | |
noch keine Magie. Die Kinder riechen den falschen Braten und wollen nach | |
zehn Minuten Böreks und Croissants, „aber alle ein ganzes, weil wir dürfen | |
wegen Corona ja nicht teilen“. Grins. | |
## Die widerlich wuchernde Robinie | |
Bloß raus, raus, raus. Der Stuttgarter Onkel, der sein Geburtstagsfest zum | |
70. abgesagt hat (es fiel ihm lange schwer), fliegt jetzt stattdessen zum | |
Paragliden nach Lanzarote. Wir fahren, bevor das Wasser abgestellt wird, | |
noch mal raus zum Bungalow. Kaufen eine krasse Säge und lassen den ganzen | |
Frust raus: Wir säbeln die komplette Thujahecke um, 15 übermannsgroße, | |
ökologisch sinnfreie Zypressengewächse. Ha! | |
Danach die widerlich wuchernde Robinie. Weg damit! Der spießige | |
Sichtschutzzaun. Tschüssikowski! Platz für zukünftige Obstbäume, | |
Bienenweiden, Rosenbögen, für Licht, Luft, Transparenz. | |
Stolz stehen wir dann da, den Hafermilchkaffee in der Hand, und sehen durch | |
die neue Lücke im Zaun, dass der uckermärkische Nachbar, der den Sommer | |
über nichts anderes getan hat, als seine beiden Boxer anzuherrschen, im | |
Garten einen verrosteten Wehrmachtshelm auf einen Holzpfahl gepflanzt hat. | |
Im Kreise anderer Berliner Bungalowsiedler verfeuern wir unseren Zaun. Die | |
Kinder bewundern die Funken. Wir erzählen vom Helm. Ein | |
Veranstaltungsmanager aus Österreich, der momentan viel Zeit für die | |
Uckermark hat, lächelt und sagt so lapidar wie überzeugt: „Sorgt’s euch | |
nicht, im Zweifel sind wir mehr!“ Das muss sie sein, die Zuversicht. | |
19 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Kirsten Riesselmann | |
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