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# taz.de -- Mit Knausgård durch den Lockdown light: Aus dem Kontakttagebuch
> Die Zahlen sind immer noch zu hoch. Und das Grummeln der benachteiligten
> Menschen laut. Unser Autor kommt indes gerade besser zurecht als im März.
Bild: Mehr Zeit zum Lesen im Lockdown light
Seit einiger Zeit gehen wir früh schlafen. Wir lesen viel, und wenn das
Wetter besser wäre, würden wir vielleicht auch wieder die Spaziergänge
aufnehmen, die wir im Frühjahr unternommen haben. Kürzlich waren wir sowohl
am Teufels- als auch am Müggelsee, was schön war. Der Teufelsee war ein
Tümpel, schlackig und fest, der Müggelsee war ruhig und flach und klar.
Es gab Enten, Schwäne und Reiher, es gab Expats aus Amerika, die mit ihren
Swapfietsen angereist waren und laut redeten; es gab eine Schulklasse, die
einen Lautsprecher mit Blechmusik durch die befriedete Gegend trug. Die
angeschlossene Gastronomie verkaufte aus ihrer Bude heraus, die Toiletten
waren fast schon selbstredend geschlossen, zum Glück hatte es im Wald dann
Bäume. Bäume und Wege.
Wir schlafen viel und haben komische Träume, von Hochzeitsfeiern, die
versteckt und geheim sind, von Raketen, die sich derweil am Himmel
gegenseitig abschießen, und von Knöpfen, die man den Gästen anstecken kann,
woraufhin sie rasch sterben.
Die Bücher, die wir lesen, haben das meiste, was passiert, lustigerweise
schon vorher gewusst. Zum Beispiel [1][„Die Pest“ von Albert Camus], das
ich im Frühjahr nicht gelesen habe, weil ich dachte, ich lese lieber
[2][„Kämpfen“ von Karl Ove Knausgård], was natürlich auch ein sehr gutes
Buch ist. Aber jetzt lese ich es, weil es sich in meinem Stapel nach oben
gekämpft hat, und denke, ich hätte es schon damals lesen sollen, dann
hätten mich vielleicht manche Dinge nicht so sehr überrascht.
## „Sie glaubten nicht an die Plagen“
Zum Beispiel heißt es: „Dummheit ist immer beharrlich, wenn man nicht immer
an sich selbst dächte, würde man das merken. In dieser Hinsicht waren
unsere Mitbürger wie jedermann, sie dachten an sich selbst, anders gesagt,
sie waren Humanisten: Sie glaubten nicht an die Plagen.
Eine Plage ist nicht auf den Menschen zugeschnitten, daher sagt man sich,
dass sie unwirklich ist, ein böser Traum, der vorübergehen wird. Aber er
geht nicht immer vorüber, und von einem bösen Traum sterben Menschen, und
die Humanisten zuerst, weil sie sich nicht vorgesehen haben.“
Uns selbst fällt der Teillockdown gerade leichter als der erste,
umfassendere im März, aber wie es ausschaut, reicht es auch noch nicht, die
Zahlen sind immer noch zu hoch. Und das Grummeln der benachteiligten
Menschen zu laut. Was wirklich auch kein Wunder ist, da die Einschränkungen
hauptsächlich aufs Privatleben zielen, auf die Freizeit, auf die guten
Seiten des Lebens, während die Arbeit weitergeht, außer bei denen in der
Freizeitindustrie.
## Noch ist jeder Kontakt einer zu viel
Die haben jetzt Ferien, aber unfreiwillig, während alle anderen nach
Möglichkeit weiter arbeiten gehen: die Büromenschen, die Prekären, die in
der Fleischindustrie, die bei der BVG. Alle denken an sich, alle denken und
beschweren sich von ihrer Position aus, das ist aber nur natürlich.
Camus so: „Unsere Mitbürger waren nicht schuldiger als andere, sie vergaßen
einfach nur, bescheiden zu sein, und sie dachten, alles sei für sie noch
möglich, was voraussetzt, dass Plagen unmöglich sind. Sie machten weiter
Geschäfte, sie bereiteten Reisen vor, und sie hatten Meinungen. Wie hätten
sie an die Pest denken sollen, die Zukunft, Ortsveränderungen und
Diskussionen aufhebt? Sie hielten sich für frei, und niemand wird je frei
sein, solange es Plagen gibt.“
Derweil verkündet der [3][Bundeskanzler unseres Partnerlands Österreich]:
„Jeder Kontakt ist einer zu viel“, was auf der anderen Seite schon wieder
etwas Absurd-Komisches hat, und in den Nachrichten macht sich der Lockruf
des Impfstoffes breit und gibt Hoffnung. Und über die Kunst haben wir noch
gar nichts gesagt!
24 Nov 2020
## LINKS
[1] /Die-Pest-am-Deutschen-Theater-Berlin/!5687965
[2] /Neues-Buch-von-Karl-Ove-Knausgrd/!5408041
[3] /Corona-Lockdown-in-Oesterreich/!5725492
## AUTOREN
René Hamann
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