| # taz.de -- Yoga online hat seine Tücken: Die verzerrte Stimme der Lehrerin | |
| > Die Pandemie bringt vieles ins Wohnzimmer. Manchmal ahnt man gar nicht, | |
| > wer zuschaut. Erfahrungen aus einem Yoga Kurs online. | |
| Bild: Virtuelles online-Yoga im eigenen Wohnzimmer hat seine Tücken | |
| Seit Kurzem findet mein Yogakurs online statt. Praktischerweise kann man | |
| virtuell mehrere Gruppen zusammenfassen, also treffen wir uns etwa zu | |
| zwanzigst auf Zoom und strecken, dehnen und verrenken uns vor den | |
| heimischen Bücherregalen, Zimmerpflanzen und Esstischen auf Matten über | |
| Teppichen oder Dielen. So weit, so gut. | |
| Neulich aber war gar nichts gut. Nach der Begrüßung und der anschließenden | |
| Entspannung springt mein Übertragungsfenster plötzlich auf eine | |
| Miniaturversion seiner selbst ohne jede steuerbare Handhabungsmöglichkeit | |
| um. Wir Teilnehmer*Innen sind bereits alle stumm geschaltet, ich kann mich | |
| also nicht mehr bemerkbar machen, die Yogalehrerin beginnt mit den ersten | |
| Asanas, und ich sitze so da, höre kaum etwas, sehe gar nichts, denn der | |
| Bildausschnitt ist zu klein und sieht aus wie ein Fotonegativstreifen. | |
| Ich klicke verzweifelt hier und da, versuche das Fenster aufzuziehen. | |
| Nichts. Ich rufe meinen 16-Jährigen und zeige bittend auf das Problem. Er | |
| schaut kurz drauf und sagt: „Klick doch da mal doppelt. Nee, da.“ | |
| Nichts passiert. Er zuckt die Achseln: „Weiß ich auch nicht. Wann gibt’s | |
| was zu essen?“ | |
| „Ich hab Yoga, mach dir ein Brot.“ | |
| „Dann sehen die mich da ja“, er zeigt auf den Laptop, der so ausgerichtet | |
| ist, dass man im Hintergrund die Küche sehen kann. „Die machen doch Yoga. | |
| Aber ich kann meinen Bildschirm ausstellen, dann sehen sie uns nicht mehr.“ | |
| Ich stelle meinen Bildschirm aus. | |
| ## Geräusche wie aus dem Weltraum | |
| Die Audio-Übertragung ist inzwischen unterirdisch. Blecherne Geräusche wie | |
| aus dem Weltraum überlagern die Stimme der Lehrerin. Irgendwann komme ich | |
| nicht mehr mit, stehe bloß fünf Minuten im Hund, strecke mich, hebe mal das | |
| Bein, kichere, setze mich hin und denke, ach was soll's. | |
| Ich schaue mich im Zimmer um und stelle fest, wie unordentlich es ist. | |
| Überall fliegen Kissen und Bücher oder Zeitungen herum, Gläser auf dem | |
| Tischchen und eine leere Salzstangentüte. Ich räume also die Kissen zurück | |
| auf das Sofa, lege die Decken zusammen, bringe die Gläser zum Küchentresen | |
| und schenke mir dort einen Rest Weißwein ein. Es passt nicht alles ins | |
| Glas, also trinke ich die letzten Tropfen direkt aus der Flasche. | |
| Als ich sie in die Tasche zum Altglas stellen will, fällt sie um und | |
| kullert über den Boden. Ich fluche, weil sich etwas Wein auf dem Fußboden | |
| verteilt. | |
| Aus der Ferne höre ich Weltraumgeräusche aus dem virtuellen Yogaraum, | |
| horche kurz nach den Weltraumgeräuschen aus den Kinderzimmern und mache | |
| heimlich eine Tüte Chips auf. Ich stehe also am Küchentresen, sehe in mein | |
| Handy, trinke Wein und esse Chips. Jemand schickt mir einen Song, ich höre | |
| „A perfect day“ von Lou Reed, singe und summe etwas mit. | |
| Noch einen Schluck Wein auf die Yogastunde, die sich langsam dem Ende | |
| zuneigt. Die verzerrte Stimme der Lehrerin klingt jetzt nach der | |
| Schlussmeditation. Nach dem abschließenden „Ommmh“ werden alle laut | |
| geschaltet und ich sage: „Ich hatte Probleme mit dem Bildschirm.“ | |
| Irgendjemand kichert. Wir verabschieden uns. | |
| Kurz darauf bekomme ich zwei Nachrichten. Eine von D. und eine von A. „Ich | |
| nehme mal an, dir war nicht klar, dass du die ganze Zeit zu sehen und zu | |
| hören warst? Riesig eingeblendet, und du hast so was von gar kein Yoga | |
| gemacht“, schreibt D. und schickt ein Weinglas-Emoji. A. schickt drei | |
| tränenlachende Emojis und schreibt: „Also heute war es schwer, sich zu | |
| konzentrieren. Vor allem, als deine Flasche durch die Küche gerollt ist und | |
| du laut ‚So ne Kacke‘ gerufen hast.“ Und ich würde am liebsten für imme… | |
| Boden versinken und nie wiederauftauchen. | |
| 10 Nov 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| isobel markus | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Yoga | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Freizeit | |
| Zoom | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Kolumne Berlin viral | |
| Wildschweine | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Brillen in Coronazeiten: Wie wär’s mit Telefonieren? | |
| Die Brille beschlägt mit der Maske. Ohne Brille sieht man aber nichts und | |
| schreibt komische Nachrichten auf dem Mobiltelefon. | |
| Mit Knausgård durch den Lockdown light: Aus dem Kontakttagebuch | |
| Die Zahlen sind immer noch zu hoch. Und das Grummeln der benachteiligten | |
| Menschen laut. Unser Autor kommt indes gerade besser zurecht als im März. | |
| Kleinfamilien in der Pandemie: Kindermund tut Wahrheit kund | |
| Die Pandemie zeigt brutal die Tücken der Kleinfamilie. Zwei Leute sollen | |
| Lohnarbeit, Kinderbetreuung und Liebe stemmen – und es soll perfekt | |
| aussehen. | |
| Grandezza im Pyjama: Winter Look 2020 | |
| Zalando ist einer der Gewinner der Pandemie-Zeit. Die Regel „Bleib zuhause“ | |
| verwischt auch die Codes der Kleidung zwischen Arbeit und Freizeit. | |
| Die Wahrheit: Mundraub auf der Nacktwiese | |
| Schweine vom Waldsee: An einem Berliner Badesee mit angeschlossener | |
| Freikörperkultur (FKK) geht es tierisch hoch her. |