Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lockdown in der Vorweihnachtszeit: Die Scheune des Weihnachtsmanns
> Es ist die Zeit von Glaube, Liebe, Hoffnung. Dieses Jahr sogar noch mehr
> als an anderen Weihnachten. Rituale verändern sich mit
> Entwicklungspotenzial.
Bild: Der Baum ist schon gekauft. In Berlin geht das in der Innenstadt
So. Da sind wir also wieder. Im nächsten Shutdown. Diesmal nicht
hyperventilierend wie im März. Nein, diesmal schicksalsergeben, gedämpft
verzweifelt, vielleicht sogar leicht lustvoll sediert, wissend um die
Unaufhaltsamkeit verrinnender Zeit. Was sind schon dreieinhalb, fünf, zehn
Wochen. Windhauch, Windhauch.
Wir vertrauen jetzt auf die funktionierende Logistik des
Lebensmittelhandels. Winken beim Thema Klopapier ab. Ist doch eh genug da.
Haben den Rest professionell erledigt. Waren noch im Baumarkt, um
Fugensilikon und Rotband zu besorgen, damit das, was im Frühjahr im Bad
nicht geschafft wurde, diesmal Vollendung finde.
Haben einen Weihnachtsbaum gekauft, bevor noch alle in der Stadt
gestrandeten Familien mit Nicht-Berlin-Hintergrund schnallen, dass die
Kinder in diesem Jahr nicht auf den Baum bei Oma und Opa vertröstet werden
können. Haben am Dienstag einen letzten aushäusigen Glühwein getrunken und
uns gedacht: Jo, reicht dann auch, sieben Wochen mit dem Heißen Hirschen
sind enough, diese Autosuggestion von Sozialleben mit Wegwerf-Pappbecher
kann abgewickelt werden.
Rückzug, auf geht's, renovieren, regredieren, meditieren.
## Der Weihnachtsmann ist ein vorausschauender Typ
Die Kinder werden mehr zu tun haben. Sie haben am Dienstag sämtliche
Schulbücher und -hefte nach Hause geschleppt, dazu dicke Stapel kopierter
Wochenpläne und Aufgabenblätter. Digital ist an unserer Schule nicht
besser, Distanzunterricht ist gleich Zettelwirtschaft. Angesichts dieses
meterhohen Turm Papiers scheint niemand an Normalbetrieb ab dem 10. Januar
zu glauben. Wir aber schon. Ist schließlich die Zeit von Glaube, Liebe,
Hoffnung.
Die Kinder glauben zum Beispiel, dass der Weihnachtsmann ein
vorausschauender Typ ist und in Brandenburg riesenhafte Scheunen gemietet
hat, in denen er längst den gesamten Spielwarenkatalog von Smyth Toys
hortet. Er kann ja jetzt wegen Shutdown nicht mehr wunschzettelgemäß
einkaufen, [1][weil doch die Wunschzettel aufgrund ständiger Überarbeitung]
nicht mal abgeschickt sind. Also glauben und hoffen sie an und auf die
Scheunen, die längst überquellen mit vom Weihnachtsmann prophylaktisch
geshopptem Plastikquatsch.
Das große Kind, das auf keinen Fall an Gott glaubt, glaubt allerdings, dass
Beten helfen könnte, um an Heiligabend einen Platz in der Kirche zu
ergattern. Denn in die Kirche müssen wir, wann soll der Weihnachtsmann
sonst alles unter den Baum legen. Aber als
Nur-an-Heiligabend-Kirchgänger*innen haben wir bestimmt keine Pole Position
bei der schriftlichen Bewerbung für den Corona-Silent-Night-Gottesdienst.
## Kreuzberg-Mashup-Style beim Beten
Also beten. Das Kind rollt die Yogamatte aus, setzt den Buddha vom
Fensterbrett drauf und stellt sich vor ihn hin. Dann Handflächen nach oben,
vorbeugen, hinknien, Stirn zum Boden, Hände vors Gesicht. Es hat während
der Ferienbetreuung in der Schule die Erzieher-Praktikanten Taha und
Hamoudi beim Beten beobachtet. Wir glauben alle, dass uns dieser
Kreuzberg-Mashup-Style zum Krippenspiel bringen wird.
Das [2][Kneipenkollektiv Meuterei e. V.] auf der Reichenberger Straße, das
geräumt werden soll, erhofft anderes: dass es bleiben darf, dass „die
Repressionsbehörden“ durch die Pandemiemaßnahmen nicht weiter Solidarität
und Freiräume zerstören. 25 schwarz Gekleidete stehen am Sonntag in der
Dämmerung vor der Szenekneipe herum, sechs Wannen voller Mitarbeiter*innen
der oben genannten Behörden sind auch da.
Ich frage eine schwarz Gekleidete, worum es denn genau gehe. Sie zieht
bedeutsam die Augenbrauen hoch: „Na, heute ist doch der 13. 12.“ Ich: „Ja.
Und?“ – „Na, weißte, 1-3-1-2.“ Ich: „Hä?“ – „1-3-1-2, A-C-A-B…
so.“ – „War ’ne Demo gegen Polizeigewalt.“ Ich: „Und, gab’s welch…
„Nein, alles coronakonform und peacig.“
So. Was soll da jetzt noch kommen? Das Jahr ist fast geschafft.
20 Dec 2020
## LINKS
[1] /November-beginnt-hart/!5726220
[2] /Neukoellner-Kneipe-Syndikat-vor-Raeumung/!5695806
## AUTOREN
Kirsten Riesselmann
## TAGS
Kolumne Berlin viral
Kirche
Kreuzberg
Weihnachten
Glühwein
Weihnachten
Kolumne Berlin viral
Weihnachten
Weihnachten
Evangelische Kirche
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Kolumne Berlin viral
## ARTIKEL ZUM THEMA
Diakonin über Krippenspiel im Stadtteil: „Es ist so viel mehr Weihnachten!“
Nötig wurde es wegen der Corona-Regeln: Auch in diesem Jahr richtet eine
Hamburger Kirchengemeinde ihr Krippenspiel auf vielen privaten Balkons aus.
Weihnachten in Berlin: Entzauberung erst nächstes Jahr
Freunde wurden ausgeladen, die Eltern schicken über Whatsapp eine
Weihnachtspredigt aus dem Rheinland. Und Gedichte gab es auch.
Berlin feiert Weihnachten 2020: Ganz anders, ganz normal
Eigentlich wäre ja die halbe Stadt in diesen Tagen auf Reisen. Doch diesmal
bleiben viele hier. Wie feiert Berlin Weihnachten 2020? Fünf Antworten.
Weihnachten in der Pandemie: Unser erstes Weihnachten
Weihnachten ist eine Herausforderung. Warum man in Berlin trotz
Kontaktbeschränkungen weniger einsam ist als anderswo, und was eine
Psychologin rät.
Rechte Angriffe auf Kirchen: Gottesdienst mit Störfaktor
„Zoombombing“ nennt man das Stören von Onlineformaten. Kirchen kämpfen im
digitalen und realen Raum gegen Angriffe von Rechtsextremen.
Die Wahrheit: Live vom Glühweinstrich
Gratismasken für Risikogruppen – noch so eine Idee, die in Coronazeiten zu
allerlei bürokratischen und anderen Wirrnissen führt.
Advent am Berliner Breitscheidplatz: Masken ab nur zum Verzehr
Es ist ein klitzekleiner Keinweihnachtsmarkt: Er ist da und er ist nicht
da. Eine Stippvisite zum Glühweintrinken auf dem Breitscheidplatz.
Zuversicht und Corona: Die Kinder riechen den Braten
Corona greift nach uns im November. Laternenumzüge gibt es nur noch in der
Kleinstgruppe. Irgendwann hilft nur noch, die große Säge auszupacken.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.