# taz.de -- Diakonin über Krippenspiel im Stadtteil: „Es ist so viel mehr We… | |
> Nötig wurde es wegen der Corona-Regeln: Auch in diesem Jahr richtet eine | |
> Hamburger Kirchengemeinde ihr Krippenspiel auf vielen privaten Balkons | |
> aus. | |
Bild: Dem Leitstern nach zur Krippe! | |
taz: Frau Simon, wie überfüllt ist Sankt Markus denn an Heiligabend? | |
Sabine Simon: Wir haben einfach eine kleine Kirche. Vor [1][Corona] haben | |
wir ja ganz normal ein Krippenspiel in der Kirche gemacht, zweimal jeweils | |
eine Dreiviertelstunde, ungefähr. Wir haben regulär 220 Sitzplätze in den | |
Bänken. Wenn wir überall noch Stühle hinstellen, wo man das darf, haben wir | |
270 Sitzplätze, wenn es hochkommt 290. Und wir hatten immer ungefähr 450 | |
Menschen Heiligabend da. 120 Kinder saßen vorne auf Sitzkissen und zwischen | |
den Bühnen. Es wurde also zweimal richtig voll, irgendwann mussten wir | |
immer sagen: Es geht niemand mehr rein. | |
taz: Ausgerechnet Weihnachten. | |
Simon: Jedes Jahr mussten wir am Ende Menschen wegschicken, für die war | |
Weihnachten gelaufen: Die hatten eine Stunde angestanden und dann kamen sie | |
nicht mehr rein. Und in der [2][Kirche]: Die Kinder sind aufgeregt, die | |
Verwandten sind sich nicht immer alle grün, Eltern wollen, dass die Kinder | |
vorne sitzen, manche kleinen Kinder wollen das aber wieder nicht … Es | |
herrschte erhöhtes Aggressionslevel in diesem Gottesdienst. Und das ist | |
tatsächlich jetzt anders. | |
taz: Eine andere Form nötig gemacht hat aber Corona. | |
Simon: Ja, im ersten Jahr ging ja irgendwie gar nichts. Und weil alles auf | |
dem Balkon passierte in der Zeit – man spielte Musik auf dem Balkon, | |
[3][man klatschte auf dem Balkon] –, habe ich irgendwann gesagt: Lass uns | |
doch das Krippenspiel auch auf Balkonen machen. Das haben wir dann | |
ausgebaut. | |
taz: Und wie funktioniert das Ganze nun? | |
Simon: Die Leute gehen durch den Stadtteil, in kleinen Gruppen, immer | |
wieder bleibt der Leitstern stehen, es geht auf einem Balkon ein Licht an, | |
eine Szene wird gespielt. Anfangs hatten wir von allem mehr, als wir | |
brauchten: mehr Balkone, mehr Mitspieler, mehr Leitsterne … Jetzt, beim | |
fünften Mal, wird es mühsamer, weil die Hälfte der Menschen Weihnachten | |
irgendwie doch wieder wegfährt. | |
taz: Über das Lösen von Problemen hinaus: Spricht noch mehr fürs Rausgehen? | |
Simon: Ohne Corona wären wir darauf nicht gekommen, [4][Veränderung | |
passiert], weil sie muss. Und organisatorisch ist es mehr Arbeit, muss man | |
ganz klar sagen. Aber es ist so viel mehr Weihnachten! Rein vom | |
Symbolischen her: Wir sind alle unterwegs zur Krippe. Dieses Unterwegssein, | |
einem Stern nachgehen, den Stadtteil einbeziehen. Jedes Jahr melden sich | |
doch noch ein, zwei Menschen und stellen ihre Balkone zur Verfügung, die | |
bisher nicht dabei waren. Auch viele, die mit der Kirche gar nichts zu tun | |
haben, aber sagen: Es ist so schön. Der ganze Stadtteil wird weihnachtlich | |
damit. | |
taz: Der organisatorische Aufwand ist sehr viel größer, sagten Sie. | |
Simon: Es gibt ja Mitspielende, die eine Rolle übernehmen. Dann machen | |
welche die Balkonmoderation, sprich: Die nehmen das Spiel in Empfang, holen | |
hier das Material ab, sorgen fürs rechtzeitige Umziehen oder schalten das | |
Licht an und aus. Dann brauchen wir die Leitsterne, die vorneweg gehen. Und | |
Startplatz-Ordner, die dafür sorgen, dass regelmäßig alle vier Minuten eine | |
kleine Gruppe losgeht. Die Mitspielenden sind zuerst immer die neuen | |
Konfirmanden. Dann werden die aktuellen Konfirmanden gefragt, wer noch mal | |
spielen will. Wenn mir dann noch Rollen fehlen, fange ich an zu baggern – | |
bei allen Jugendlichen, die mir so einfallen. | |
taz: Aber es hat immer geklappt. | |
Simon: Natürlich ist es nicht perfekt – auch ohne Ausfälle und | |
Improvisation haben wir nur zwei Proben. Es sind keine Schauspieler, manche | |
spielen toll, manche versteht man nicht so gut, da wird mehr oder weniger | |
halt der Text aufgesagt. Die Menschen sind einfach gerührt, weil sie die | |
Kinder da oben sehen und denken: Ich war auch mal so ein Kind. Bei der | |
ersten Probe sage ich immer: Das ist nicht nur euer Spiel, nicht nur ein | |
[5][Theaterstück]. Ihr tragt diese 2.000 Jahre alte Geschichte weiter, in | |
diesem Jahr, in diesem Stadtteil. Wenn das nicht an allen Orten der Welt | |
irgendwer macht, dann gibt es sie irgendwann nicht mehr. Ihr sorgt dieses | |
Jahr dafür, dass sie weitergeht. | |
21 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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