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# taz.de -- Zurück in die Schule: Start mit Lücken
> Berlins Schulen öffnen, als wäre die Pandemie fast vorbei. Auch das neue
> Hygienekonzept beruhigt nicht wirklich.
Bild: Scheeres dankte den Eltern zum Schulstart für ihre Kinderbetreuung
„Allen Kindern einen tollen Schulstart!“, hat jemand mit Kreide auf die
Tafel geschrieben, die bei uns im Treppenhaus hängt. „Endlich!“, hat ein
anderer Nachbar hinzugefügt. Während die Infektionszahlen steigen und
Urlaubsrückkehrer sich an Flughäfen testen lassen müssen, [1][öffnen
Berliner Schulen, als wäre die Pandemie so gut wie vorbei]. Es klafft da
eine Lücke zwischen der medialen Coronaberichterstattung und meinem Erleben
als Mutter eines Berliner Neuntklässlers.
Am letzten Feriensamstag haben unsere Nachbarn zum Hoffest geladen. Es wird
schnell eng auf den Gartenbänken. „Abstand halten“, sagt mein Mann, bemüht
scherzhaft. „Na, das kann ja wohl jeder für sich selbst entscheiden“,
entgegnet einer der Gäste pikiert. Wir unterhalten uns mit einer Nachbarin.
Sie freut sich, dass die Schule wieder losgeht. „Wegen Corona kann man die
Kinder jetzt ja nicht ewig in Watte packen“, sagt sie. Ihre Tochter ist in
der Wohnung geblieben, sie hat Schnupfen.
Die Nachbarin erzählt, dass die Schule des Mädchens schon in den Ferien per
Fragebogen den Gesundheitsstand der Kinder eruiert hat. Hatten sie Fieber?
Halsschmerzen? Es dauert noch etwas, bis die Nachbarin zugibt, dass die
Tochter mit „erhöhter Temperatur“ im Bett liegt. Aber Montag ist der erste
Tag an der neuen Schule, da will sie hin. Was sie wohl in den Fragebogen
eintragen? Ich trau mich nicht zu fragen.
Am Sonntagnachmittag stehen wir im Hof zusammen. Ein Nachbar erzählt, dass
das neue Schuljahr für seine jüngste Tochter mit einer fünftägigen
Klassenfahrt losgeht. Der große Sohn muss an seinem Gymnasium angeben, wo
er wann in den Ferien war. Werden die Antworten überprüft? Der Nachbar
glaubt es nicht. „Was das wohl rechtlich bedeutet, wenn jemand falsche
Angaben macht und der wird dann vielleicht zum Superspreader?“, sinniert
er.
Ein Elternbrief als PDF-Datei
„Unsere“ Schule hat uns Eltern lediglich mitgeteilt, dass es um 8 Uhr
losgeht, und den Elternbrief von Bildungssenatorin Sandra Scheeres als
pdf-Datei weitergeleitet. Scheeres dankt uns für unsere Kinderbetreuung
während der Schulschließungen. Weil wir uns so toll verhalten haben, können
wir jetzt „in Berlin in vielen Bereichen zu einer vorsichtigen Normalität
zurückkehren.“ Aha. Und dann, so schreibt sie, gäbe es, „viele weitere
Informationen in verschiedenen Sprachen auf unserer Internetseite“.
Hier müsste jetzt eigentlich eine Webadresse stehen. Tut es aber nicht.
Oben im Briefkopf finde ich sie: [2][www.berlin.de/sen/bjf]. Natürlich
nicht als Link zum Anklicken. Wie viele Eltern die wohl jetzt händisch in
den Browser tippen? Vor allem, wenn sie kein Deutsch sprechen?
Auf der Website der Schule erfahre ich am Sonntagabend noch, dass jede
Klassenstufe einen eigenen Eingang nutzt und: „Die Mindestabstandsregel von
1,5 Metern wird für alle unmittelbar im Bereich Schule tätigen Personen in
der Schule und im Rahmen schulischer Veranstaltungen aufgehoben. Wo immer
es möglich ist, soll der Mindestabstand eingehalten werden.“ Das heißt,
obwohl Abstand halten natürlich gar nicht geht, solle man es zumindest
versuchen. Auch eine neue Fassung des Hygienekonzepts kann ich einsehen. Es
beruhigt mich nicht wirklich.
Am Dienstag erhalten wir einen Rundbrief von der Schule mit einer Einladung
zum Elternabend im Klassenraum. „Alternativ ist der Schulhof denkbar.“
Mein Sohn kam schon am Montag mit einer weiteren Corona-Info nach Hause:
„Die Lehrer haben gesagt, ab jetzt müssen sie möglichst schnell
Klassenarbeiten schreiben. Wenn die Schule wieder schließt, könnten sie
sonst ja gar keine Noten vergeben.“ Das ist er also, der viel beschworene
„Bildungsauftrag“.
20 Aug 2020
## LINKS
[1] /Schulstart-in-der-Coronakrise/!5702054
[2] http://www.berlin.de/sen/bjf
## AUTOREN
Gaby Coldewey
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