# taz.de -- Schulen in der Coronapandemie: Nachhilfe nötig | |
> Die Lage an den Schulen in der Pandemie ist weiter unbefriedigend. Es | |
> hapert bei der Umsetzbarkeit von Hygienevorschriften und der | |
> Digitalisierung. | |
Bild: Matheunterricht mit Tablet. So gut, wie es hier zu funktionieren scheint,… | |
Gerne und oft sagen ExpertInnen und solche, die es wissen müssen, dass die | |
Coronapandemie viele Schwachstellen „in der Gesellschaft“ oder „im System… | |
noch deutlicher zutage treten lasse, sie gleichsam wie unter einem | |
Brennglas in den Fokus der Öffentlichkeit rücke. Jetzt, kurz vor den | |
Herbstferien, die in den meisten Bundesländern am Montag beginnen, [1][im | |
Schuljahr 1 n. C.], haben sich zwei Themen herauskristallisiert, zu denen | |
die Schulgesellschaft in Deutschland erhöhten Redebedarf hat. | |
Das eine Thema lautet Hygienevorschriften, das andere Digitalisierung. In | |
beiden Bereichen sind die Schulen eigentlich akut versetzungsgefährdet. Und | |
das dem schnellen Rettungsgeld vom Bund für digitale Pop-up-Infrastruktur à | |
la Schüler-Tablets, Lehrerinnen-Laptops und Dienstmail-Adressen zum Trotz. | |
Die Hygieneregeln werden von den Ländern in Eigenregie gestaltet. Sie | |
polarisieren Schülerschaft, Eltern und Kolleginnen. | |
So wie auch außerhalb der Schulhöfe steht die Fraktion der SkeptikerInnen | |
fest gegen die Fraktion der MahnerInnen und besonders Vorsichtigen. Die | |
einen geben sich gegenseitig Tipps, wie man die Masken – aktuell nur in | |
Schleswig-Holstein auch im Unterricht Pflicht – fürs Kind möglichst | |
fadenscheinig näht („Damit eure Kinder nicht ersticken!“). Die anderen | |
stellen beim Elternabend die geplante Klassenfahrt gleich mal grundsätzlich | |
infrage, ausgetüfteltes Hygienekonzept hin oder her. | |
Dabei ist es schon eher erstaunlich, dass – soweit erkennbar – alles so gut | |
gegangen ist bisher. Statt flächendeckender Schulschließungen gehen | |
lediglich einzelne Klassen in Quarantäne. Nach einer Ende September | |
vorgenommenen bundesweiten Abfrage bei den Bildungsministerien kommt die | |
ARD zu dem Ergebnis: Brandenburg und Nordrhein-Westfalen waren mit sechs | |
respektive fünf komplett geschlossenen Schulen Spitzenreiter, danach | |
folgte Bayern mit vier Schulen in der Momentaufnahme. | |
Alle anderen Bundesländer hatten maximal eine bis zwei Schulen, viele auch | |
überhaupt keine komplett schließen müssen. In Berlin sind laut der | |
Senatsverwaltung für Bildung 74 Lerngruppen in Quarantäne, 92 SchülerInnen | |
und 27 LehrerInnen sind positiv getestet worden. Das Prinzip der | |
Kontaktnachverfolgung und punktuellen Schließung scheint zu funktionieren. | |
Bloß kein zweiter Lockdown, so lautete das Ziel der BildungsministerInnen | |
der Länder. Vorläufig klappt es. | |
Man fragt sich allerdings, warum. Denn tatsächlich ist die Maxime der | |
Gruppen („Kohorten“), die sich nach Vorgaben der Kultusministerkonferenz | |
möglichst nicht mischen sollen, vielerorts im praktischen Schulalltag | |
Makulatur. In Berlin erzählen GrundschulleiterInnen und Eltern unisono, | |
dass es spätestens am Nachmittag vorbei sei mit dem Kommando Kohorte, wenn | |
sich [2][im Hort der Ganztagsschule die Kinder aus Platz- und | |
Personalmangel auf dem Schulhof treffen]. | |
In Nordrhein-Westfalen lassen sich einer Recherche der Nachrichtenagentur | |
dpa zufolge 10 Prozent der Schulgebäude nicht ordentlich belüften. In | |
Berlin wiederum doktert man seit Jahren an einer „Schulbauoffensive“ herum, | |
um marode Fenster und Schultoiletten wieder verlässlich benutzbar zu | |
machen. | |
Seit vor vier Jahren ein „Screening“ der jeweils für ihre Schulgebäude | |
zuständigen Berliner Bezirke ergab, wie enorm der Sanierungsbedarf | |
eigentlich ist, ist der Reibungsverlust zwischen Bezirken (Schulträger) und | |
Landesebene (Geldgeber) zwar etwas verringert worden. Doch so richtig Dampf | |
auf dem Kessel war da nie, und angesichts der wirtschaftlichen Schieflage | |
ist bereits klar, dass einige Fenster auf absehbare Zeit kaputt bleiben | |
dürften. | |
## Schulsanierung über Jahre versäumt | |
So macht Corona sichtbar, was seit Langem schiefläuft: der bundesweite | |
Personalmangel, gerade auch bei den ErzieherInnen und gerade auch im | |
Ganztagsbereich, und die über lange Jahre verschlafene Schulsanierung. Nun | |
scheint die fehlende Seife in vielen Schultoiletten und der Nachmittagshort | |
für die Verbreitung des Virus gar nicht so relevant zu sein wie befürchtet. | |
Die Politik hat auf Risiko gespielt, gewonnen haben die Eltern und die | |
SchülerInnen. | |
Denn auch das hört man von SchulleiterInnen immer wieder: Wenn die Struktur | |
des Präsenzunterrichts wegbricht, dann verlieren wir gerade die schwächeren | |
SchülerInnen, die von Hause aus mit weniger Ressourcen, konkret: Nachhilfe, | |
ausgestattet sind. Womit man beim zweiten Thema wäre, das Corona den | |
Schulen groß an die Wandtafel geschrieben hat: [3][die Digitalisierung]. | |
Man hole einfach nicht auf, was man in 20 Jahren versäumt habe, hört man | |
Schulleiter seufzen. | |
Tatsächlich ist die Frage: Welche der vielen losen Enden nimmt man zuerst | |
auf? Die Sofortgelder für Tablets sind natürlich nicht schlecht, nützen | |
aber wenig, wenn LehrerInnen nicht fortgebildet werden. Das per Mail | |
verschickte Aufgabenblatt macht noch lange keinen digitalen Unterricht. | |
Dienstlaptops und digitale Lernplattformen nutzen wenig, wenn Schulen kein | |
zuverlässiges Breitbandinternet haben. | |
Oder wenn man sie beim Thema Datenschutz und welche Chatprogramm erlaubt | |
sind, im Ungefähren lässt. An einer Schule im hessischen Kassel sind 3.000 | |
Laptops von dem frischen Coronageld bestellt und nicht abgeholt worden, | |
weil an den Schulen niemand da ist, der Zeit hat, die Dinger einzurichten. | |
Klar ist, dass es ohne IT-BetreuerInnen auf Vollzeitstellen an den Schulen | |
nichts werden wird mit der Digitaloffensive. | |
Vielleicht bleibt vor allem das als gar nicht mal so nörgelig gemeinte | |
Zwischenfazit, bevor es in den zweiten Coronawinter geht: Man weiß jetzt | |
ziemlich genau, was zu tun ist. Ein bisschen Geduld werden freilich alle | |
haben müssen. So ist das, wenn man lange schläft. Da dauert es ein | |
bisschen, bis man richtig wach wird. | |
8 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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