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# taz.de -- Schulstart trotz Corona in Uganda: Nicht mal Geld für Seife
> In Uganda verschärft die Coronakrise die Bildungsmisere. Für Millionen
> Kinder droht der Unterricht auszufallen – und auch das kostenlose
> Schulessen.
Bild: Schätzen die Risiken der Coronapandemie richtig ein: SchülerInnen einer…
Mit Spannung erwartet der ugandische Schuldirektor Ali Kayungu die nächste
Rede über die Coronasituation im Land von Präsident Yoweri Museveni. Er
wird alsbald verkünden, ob landesweit Schulen und Universitäten unter
Coronabedingungen wieder öffnen. Eigentlich hätte am Montag das nächste
Semester an Kanyungus „Senior Sekundarschule“ nahe der Stadt Jinja im Osten
des Landes wieder beginnen sollen. Eigentlich.
Denn sämtliche Bildungseinrichtungen landesweit sind Ende März aufgrund der
Pandemie auf seine Ansage hin geschlossen worden. Nur der Präsident könne
jetzt über deren Öffnung entscheiden, so John Muyingo, Ugandas
Staatsminister für Höhere Bildung: „Wir haben ihm alle Informationen
zukommen lassen.“ Es liegt nahe, dass Präsident Museveni sich in dieser
Frage eng mit seiner Ehefrau kurzschließen wird, immerhin ist sie Ugandas
Bildungsministerin.
Die Weichen für den Schulstart unter Corona-Auflagen sind bereits gestellt.
Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium hat das Bildungsministerium in den
vergangenen Wochen ein Regelwerk aufgesetzt, unter welchem eine sichere
Öffnung der Schulen und Universitäten stattfinden könne: darunter das
Tragen von Masken, die Einrichtung von Handwaschstationen, das tägliche
Fiebermessen aller Schüler und Lehrer, die Begrenzung von zehn Schülern pro
Klassenzimmer.
Doch was auf dem Papier Sinn macht, sei in Wirklichkeit kaum umzusetzen,
klagt Schuldirektor Kayungu. „Um all diese Maßnahmen anzuwenden, benötigen
wir mindestens einen Monat Zeit und viel mehr Geld“, sagt Kayungu der taz.
Doch das Problem seiner Privatschule ist: „Sowohl wir als Schule als auch
die Eltern sind praktisch zahlungsunfähig“, erklärt er.
## Schlechte finanzielle Lage von Lehrern und Eltern
Bereits vor der Pandemie drängten sich 1.500 Schüler in seiner Schule in 14
Klassenzimmer, viele mussten sich bereits Stühle und Bänke teilen, weil es
nicht genügend Sitzgelegenheiten gab. Um nun einen Mindestabstand von zwei
Metern und maximal zehn Schülern pro Raum zu gewährleisten, müssten neue
Gebäude errichtet werden, erklärt er. „Doch wir haben ja nicht einmal Geld,
um Seife und Desinfektionsmittel zu kaufen“, so Kanyungu.
Die Regierung habe den Schulen zwar finanzielle Zuschüsse zugesagt, doch
diese würden nicht ausreichen, warnt er. Im Staatshaushalt sind für das
Jahr umgerechnet 830 Millionen Euro für den Bildungssektor eingeplant.
Allein die Maßnahmen gegen die Corona-Ansteckungen in allen Schulen
landesweit würde die Hälfte des Budgets verschlingen.
Ein weiteres, grundsätzliches Problem sieht Schuldirektor Kanyungu in der
finanziellen Lage von Lehrern und Eltern – vor allem an Privatschulen wie
seiner. Während die Regierung die Gehälter für Lehrer an staatlichen
Schulen in den vergangenen Monaten der Schulschließung weiter ausgezahlt
hat, konnten sich Privatschulen dies nicht leisten. Sie schickten ihre
Lehrer unbezahlt nach Hause. Viele Lehrer hätten sich unterdessen nach
anderen Verdienstmöglichkeiten umgesehen. „Wenn ich ihnen nicht ab
September wieder ihre Gehälter bezahle, kommen sie nicht zurück“, fürchtet
der Direktor.
Doch um zahlungsfähig zu sein, müssten die Eltern nun zu Semesteranfang die
Schulgebühren entrichten. „Aber viele sind dazu nicht in der Lage, weil sie
in der Coronakrise und in den Wochen der Ausgangssperre nichts verdient
oder gar ihre Jobs verloren haben.“ Kayungu fürchtet, er könne im September
nicht einmal die Wasser- und Stromkosten für seine Schule begleichen.
## Kinder müssen für ihre Familien Geld verdienen
Viele der zahlreichen Privatschulen des Landes haben sich mittlerweile für
bankrott erklärt. Dabei sind es in Uganda gerade die teuren Privatschulen,
die von Kindern der wohlhabenden Mittelklasse und Oberschicht besucht
werden, die in den vergangenen fünf Monaten Online-Unterricht anbieten
konnten, denn ihre Lehrer und deren Schüler verfügen zu Hause über private
Computer, Smartphones und Internetanschluss. Doch nur wenige Eltern waren
bereit, trotz Schulschließung den vollen Betrag der Schulgebühren für das
vergangene Semester zu errichten – gleichzeitig hatte die Schule aber
dieselben Ausgaben wie im Regelbetrieb.
Für die Mehrheit der rund 15 Millionen ugandischen Schüler sei
Heimunterricht ohnehin nicht möglich gewesen, klagt hingegen Direktor
Kayungu. Besonders in den ländlichen Regionen, wo seine Schule liegt,
hätten nicht alle Haushalte Strom und sei die Internetverbindung schlecht.
Zudem hätten Eltern bis zu einem Dutzend Kinder zu Hause, die nicht alle
gleichzeitig online sein könnten. „Unsere Schüler mussten in den
vergangenen Monaten viel zum finanziellen Einkommen ihrer Familien
beitragen“, weiß der Direktor, „zum Beispiel Gemüse auf dem Markt
verkaufen.“ „Ich weiß von einigen Mädchen, die zwangsverheiratet wurden u…
jetzt schwanger sind und sicher nicht zum nächsten Schuljahr zurückkommen
werden“, sagt er.
Um solche gravierenden Folgen der Coronapandemie zu mindern, haben sich 25
Organisationen in Uganda in einem offenen Brief an die Regierung für eine
Öffnung der Schulen im September ausgesprochen, darunter zahlreiche
Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Rechte von Kindern und
Jugendlichen einsetzen. „Die derzeitige Lage verschärft die Ungleichheiten
in der Gesellschaft“, heißt es in der Erklärung. Die Mehrheit der Kinder
hätten keinen Zugang zu Online-Lernmaterialien, Fernsehen oder
Radioprogrammen.
Das Bildungsministerium hatte in den vergangenen Monaten auf Lernangebote
in den Radiosendern des Landes gesetzt, da Radiogeräte auch in armen
Haushalten zur Verfügung stehen. Präsident Museveni hatte im Juni
versprochen, landesweit zehn Millionen Radios zu verteilen, dies ist bis
heute nicht geschehen. Das Bildungsministerium startete jüngst ein
Pilotprojekt, 50 Tablets mit Lernsoftware wurden an Grundschüler verteilt.
Doch um dies flächendeckend zu ermöglichen, reicht offenbar das Geld nicht.
## Risiko für viele Kinder, aus dem Bildungssystem zu fallen
Auch die Weltgesundheitsorganisation sowie das UN-Kinderhilfswerk sprechen
sich in Afrika für die Öffnung der Schulen aus. Laut einer Umfrage in 39
Ländern des Kontinents südlich der Sahara seien nur in sechs Ländern die
Schulen wieder in Betrieb. In 14 Ländern seien sie nach wie vor
geschlossen, in 19 weiteren genießen nur die Abschlussklassen
Präsenzunterricht.
„Die Nachteile der langanhaltenden Unterbrechung der Bildung sind
schwerwiegend“, so die gemeinsame Erklärung der Organisationen. Darunter
fielen mangelnde Ernährung, weil die Schulspeisung ausfalle – für viele
Kinder nach wie vor die einzige warme Mahlzeit am Tag –, aber auch Stress
sowie das zunehmende Risiko, dass sie Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt
sind. Laut der Weltbank bestehe das Risiko für viele Kinder, die nun aus
dem Bildungssystem fallen, dass sie ihr Leben lang von Armut geprägt sind.
„Die anhaltenden Schulschließungen drohen den Kindern und ihrer Zukunft und
den Gemeinden noch mehr zu schaden“, so Unicef-Regionaldirektor Mohamed M.
Malick Fall, zuständig für Afrika.
Schuldirektor Kayungu stimmt dem zu. Allerdings findet er eine Schulöffnung
ohne die strikte Umsetzung der Präventionsmaßnahmen ebenso riskant, denn
die Zahl der Coronafälle in Uganda steigt derzeit rasant an. „Wir beten,
dass die Situation bald besser wird“, sagt er.
1 Sep 2020
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Schule und Corona
Schwerpunkt Coronavirus
Uganda
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Bildung
Kolumne Olympyada-yada-yada
Lesestück Recherche und Reportage
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