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# taz.de -- NGO-Vorständin über Bildung: „Wir bieten eine Art Deutschkunde�…
> Hila Limar floh mit drei Jahren mit ihren Eltern von Afghanistan nach
> Deutschland. Derzeit arbeitet die Architektin bei „Visions for Children“.
Bild: Engagiert sich von Hamburg aus für Kinder in Uganda und Afghanistan: Hil…
taz: Frau Limar, würden Sie sich als Flüchtling bezeichnen?
Hila Limar: Unsere Eltern sind von Kabul nach Deutschland geflüchtet, damit
wir Kinder in Sicherheit aufwachsen. Ich war drei Jahre alt, aber so
gesehen ist die Flucht einfach Teil meiner Biografie.
Haben Sie Erinnerungen an Kabul?
Ich erinnere mich an Momente, die ich zeitlich aber nicht richtig einordnen
kann. Wenn ich meinen Eltern Situationen oder Orte beschreibe, wissen sie
manchmal nicht, was ich meine.
Sie waren ja auch sehr jung.
Genau. Im Grunde bin ich in Hamburg aufgewachsen. Hamburg ist zu meiner
Heimat geworden.
Und Afghanistan?
Ich bin sowohl afghanisch als auch deutsch kultiviert und sozialisiert. Ich
bin von afghanischen Eltern erzogen worden, spreche Dari und habe viele
Werte, Sitten und Vorstellungen vermittelt bekommen. Nach Afghanistan bin
ich aber tatsächlich erst vor zwei Jahren das erste Mal geflogen.
Wie kam es dazu?
Für Visions for Children habe ich Projekte vor Ort besucht. Versucht habe
ich das schon zehn Jahre lang, aber die Sicherheitslage ließ es nicht zu.
Als ich fliegen konnte, haben alle immer wieder gefragt: Warum setzt du
dich dieser Gefahr aus? Aber ich wollte mein Geburtsland sehen. Durch die
Fotos, die unsere Eltern mitnehmen konnten und die Geschichten, die sie uns
bis heute erzählen, entstand mein erstes Bild von Afghanistan. Erst später,
durch die Nachrichten, wurde es durch Bilder vom Krieg und der Zerstörung
ergänzt. Ich dachte, ich komme in eine zerstörte Stadt mit depressiver
Stimmung.
Wie war es dann tatsächlich?
Beim Landeanflug auf Kabul kamen mir die Tränen. Es fühlte sich doch nach
Heimat an. Ich habe mich direkt verbunden gefühlt. Die Landschaft ist
wunderschön und die Menschen waren voller Lebensfreude und überaus herzlich
zu mir. Dennoch betrat ich unsere Baustelle das erste Mal sehr
zurückhaltend.
Sie meinen die Baustelle eines Ihrer Schulbauprojekte?
Ja. Ich konnte nicht einschätzen, wie die Afghanen auf eine Frau vom Fach
reagieren würden. Zu meiner Überraschung begegneten mir alle mit großem
Respekt. Egal ob Handwerker, Ingenieur oder Bauleiter – alle haben mich
ganz selbstverständlich in das Baugeschehen aufgenommen. Das vermisse ich
manchmal in Deutschland, wo ich mich als Frau jedes Mal aufs Neue an der
Baustelle behaupten muss.
Inzwischen arbeiten Sie hauptberuflich für Visions for Children. Inwiefern
können Sie da Ihre Expertise als Architektin einbringen?
Das lässt sich gut vereinen. Ich verstehe die technischen Zeichnungen und
Pläne der Schulgebäude, die wir aus dem Ausland erhalten. Für Laien sind
solche schwer zu durchblicken. Dadurch kann ich Verbesserungsvorschläge
machen, Raumaufteilungen neu denken und die Materialmengen überprüfen. Wenn
wir mit neuen Partner*innen zusammenarbeiten, ist es gut, wenn ich
überprüfen kann, ob tatsächlich so viel Material benötigt wird wie
angegeben – oder ob wir übers Ohr gehauen werden. Auch auf der lokalen
Baustelle kann ich Ideen und Vorschläge einbringen. In Uganda haben wir
letztes Jahr sogar erste eigene Entwürfe realisiert.
Mit Visions for Children fördern Sie Bildungsprojekte im Ausland, aber Sie
koordinierten auch Hilfe für Geflüchtete in Deutschland. Warum?
Unsere Eltern haben das Schulsystem in Deutschland nicht immer verstanden,
weil es kompliziert ist. Es gibt viele Jugendliche, die hier ankommen und
es genauso wenig verstehen. Dazu kommen rassistische Diskriminierungen, die
man bei Behördengängen, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche oder im
Alltag erfährt. Wir wollten eine Anlaufstelle bieten und Mentoring geben,
eine Art Deutschkunde. Als diverser Verein dachten wir uns: Wir haben den
Background, sprechen die Sprachen, sind jung – und das unterscheidet uns
von vielen Sachbearbeiter*innen. Die Jugendlichen entwickeln dadurch ein
anderes Vertrauen und öffnen sich.
Wie wichtig ist das Thema Diversität denn in der
Entwicklungszusammenarbeit?
Super wichtig. Egal ob Herkunft, sexuelle Orientierung oder Behinderung:
Wenn man es schafft, dass unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten, kann
der Konsens nur besser werden. In der Entwicklungszusammenarbeit muss man
sich aber vor allem zurücknehmen können und darf nicht in die Rolle des
„weißen Retters“ verfallen, der nach Afrika geht und den Leuten erklärt,
wie sie was zu machen haben.
Was Sie beschreiben, nennt sich auch White Saviourism. Sehen Sie in der
Entwicklungszusammenarbeit eine wachsende Sensibilität für diese
Problematik?
Für uns war dieses Thema immer wichtig. Auch in der UN-Agenda 2030 wird
darauf hingearbeitet, dass das Narrativ der reichen Industrienationen, die
die armen Länder des globalen Südens retten müssen, verschwindet. Es muss
das Ziel sein, sich von seiner eurozentristischen Überlegenheit und den
kapitalistischen Intentionen zu verabschieden. Uns war das von Anfang an
wichtig.
Was heißt das genau?
Wir sind nie einfach irgendwo hingegangen und haben unsere Vorstellungen
einer richtigen Schule auf den Tisch gelegt. Es ist uns wichtig, dass Leute
auf uns zukommen, wenn ihre Schule Unterstützung braucht. Wenn man den
Menschen einfach irgendetwas vorsetzt, wonach sie nie gefragt haben, gehen
sie damit auch anders um, als wenn sie selbst daran mitgearbeitet haben.
Doch White Savourism betrifft nicht nur unsere Projektarbeit, sondern auch
das Fundraising oder die Eigen-PR. Worauf wir mehr achten, ist unsere
Bildsprache.
Zum Beispiel?
Früher haben wir etwas selbstverständlicher Fotos von uns
NGO-Mitarbeiter*innen mit den Schüler*innen gezeigt. Damit sind wir jetzt
vorsichtiger, weil wir keine stereotypisierten Bilder von nicht-schwarzen
Menschen mit schwarzen Kindern reproduzieren möchten. Vor allem versuchen
wir mithilfe von lokalen Kollegen*innen, die Schulen zu einem Ort zu
machen, der Schüler*innen hilft, ihre Träume und Ideen von ihrer Zukunft
selbstständig und nachhaltig zu verwirklichen.
Sind Sie gern in die Schule gegangen?
Weiß ich nicht … ich war eine kleine Streberin, war immer fleißig und habe
meine Sachen pünktlich abgegeben. Aber natürlich war es auch einfach cool,
meine Freund*innen jeden Tag zu sehen.
Sie haben Bildung von Beginn an sehr ernst genommen.
Ja, definitiv. Ich bin mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass ich hier ganz
andere Möglichkeiten habe als in Afghanistan und sie nicht verschenken
sollte. Wenn ich in Afghanistan bin, wird mir das immer wieder klar. Wäre
ich dort aufgewachsen, hätte meine Schullaufbahn wahrscheinlich in der 5.
Klasse geendet. 1996 kamen die Taliban an die Macht und haben Frauen und
Mädchen aus dem sozialen Leben verbannt. Bis heute geht nur etwa die Hälfte
der Mädchen zur Schule.
Die Schule läuft in Deutschland nach den Coronaschließungen jetzt wieder
an. Wie sieht es in Afghanistan aus?
Seit März sind die Schulen aufgrund der Pandemie geschlossen und die
Schüler*innen haben nicht die Möglichkeit, an Online-Unterricht
teilzunehmen. Den Stoff nachzuholen, wird schwer. Unsere Sorge ist, dass
einige ohne Abschluss ausscheiden. Wir hoffen, dass der Unterricht in den
nächsten Wochen weitergeht.
Wie wirkt sich Corona auf Ihre Arbeit für den Verein aus?
Alle unsere Events wurden abgesagt. Förderanträge an Stiftungen wurden
abgelehnt und Unternehmenspartner haben ihre Budgets gekürzt. Wir haben
kein Produkt, das wir verkaufen und sind daher abhängig von Menschen und
Unternehmen, die spenden. Wenn man in Kurzarbeit geht, schaut man aber, wo
man einsparen kann. Leider trifft das immer als erstes Spenden und nicht
das Abo fürs Fitnessstudio oder den Streaming-Dienst.
Sie bekommen also keine staatliche Unterstützung?
Nein. Wir haben keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, somit gelten alle
unsere Einnahmen als Spenden. Auch die der öffentlichen Hand, wie zum
Beispiel vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Uns
stehen deswegen keine Soforthilfen zu. Das ist absolut unfair, unsozial und
ein Armutszeugnis für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.
Welche Vision haben Sie für Kinder?
Ich wünsche mir, dass alle Kinder auf der Welt faire Lernbedingungen
erhalten. Erst durch Bildung erlangen Kinder das nötige Werkzeug, das ihnen
ermöglicht, selbstbestimmt zu agieren und langfristig die Gesellschaft
voranzubringen.
24 Aug 2020
## AUTOREN
Sarah Zaheer
## TAGS
Bildung
Geflüchtete
Schwerpunkt Afghanistan
NGO
Entwicklungszusammenarbeit
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Anti-Rassismus
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Schule und Corona
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