# taz.de -- Spenden – aber wofür?: Kein Bild von traurigen Kindern | |
> Im Wort „spenden“ liegt das Wort „enden“. Auf der Suche nach der Frag… | |
> was hinter dem Bedürfnis steckt, Leid zu mildern, und wie man es am | |
> besten tut. | |
Bild: Geben – ja, gerne. Aber wem? | |
Viele Leute haben das Gefühl, dass alles immer schlimmer wird: Millionen | |
Menschen weltweit auf der Flucht. [1][Rechtsextreme im Aufwind]. Die USA | |
mit [2][einem durchgedrehten Präsidenten]. Der [3][Klimawandel, eine | |
existenzielle Bedrohung] für alle. | |
In der Tat, das ist schlimm, dabei aber fällt oft unter den Tisch: Vieles | |
wird auch besser. Und zwar sehr viel besser. | |
Den Berichten des schwedischen Gesundheitsforschers Hans Rosling zufolge | |
weiß kaum jemand, dass sich etwa die Zahl der Menschen, die in extremer | |
Armut leben, seit 1990 weltweit mehr als halbiert hat. | |
Als ich Roslings Buch „Factfulness. Ten reasons we’re wrong about the world | |
– and why things are better than you think“ las, merkte ich: Ich will daran | |
teilhaben. Ich will, dass die Dinge besser werden, und ich dachte, dass ich | |
monatlich auf jeden Fall 50 Euro übrig habe, die ich für eine gute Sache | |
einsetzen kann. | |
Im Sommer 2017 bin ich nach vielen Jahren Studium mit der Uni fertig und | |
beginne mein Volontariat. Nicht nur habe ich erstmals ein ausreichendes, | |
regelmäßiges, selbstverdientes Einkommen, ich muss mir auch nicht den Kopf | |
darüber zerbrechen, wie es im Beruf weitergeht. Zumindest ein paar Monate | |
lang nicht. | |
## Zaghafter Aktivismus reicht nicht | |
Ich habe in den Jahren zuvor immer wieder über Privilegien nachgedacht und | |
gesprochen, auch über Rassismus, Sexismus und andere Formen der | |
Diskriminierung. Ich habe viel zu diesen Themen gelesen und geschrieben. | |
Ich bin Vegetarierin und gehe auf Demonstrationen wie Fridays for Future. | |
Es ist nicht so, als hätte ich mich während meiner Ausbildung nicht damit | |
beschäftigt, Gutes zu tun – aber eben sehr halbherzig. | |
Mir reicht mein zaghafter Aktivismus der vergangenen Jahre nicht mehr. Ich | |
beginne in jener Zeit, einem Obdachlosen, der in der Berliner | |
Friedrichstraße steht, immer wieder eine Straßenzeitung abzukaufen. Anfangs | |
lächeln wir uns nur an, irgendwann bleibe ich stehen. Ich gebe ihm eine | |
Zigarette, wir reden über das Wetter. Ich fühle mich gut dabei. | |
Um eine regelmäßige Spende für die Obdachlosenarbeit, Flüchtlinge aus | |
Syrien oder Kriegsopfer im Jemen schleiche ich jedoch herum. Über allem | |
steht die Frage: Was bringt eine Spende überhaupt? Wem ist damit wie | |
geholfen? Befriedige ich nur mein Bedürfnis, irgendwas Gutes zu tun? | |
Und: Wie zur Hölle soll ich [4][meine Spendenentscheidung] treffen? | |
Laut der repräsentativen „Bilanz des Helfens“, die das | |
Meinungsforschungsinstitut GfK im Auftrag des Deutschen Spendenrats | |
jährlich veröffentlicht, kamen allein zwischen Januar und September dieses | |
Jahres 15,7 Millionen Privatpersonen in Deutschland Spendenaufrufen nach. | |
Sie spendeten 3,3 Milliarden Euro an gemeinnützige Organisationen oder | |
Kirchen. Das klingt viel, ist aber, was die Zahl der Spendenden angeht, ein | |
historischer Tiefstand: Dieselbe Befragung kam 2005 auf fast doppelt so | |
viele Spender*innen. Auffallend übrigens: Menschen über 70 Jahren tragen zu | |
mehr als 40 Prozent des Spendenvolumens bei. Der Anteil der unter | |
40-Jährigen, zu denen ich zähle, liegt dagegen bei etwa 11 Prozent. | |
Warum spenden wir nicht? Liegt es daran, dass jüngere Menschen andere | |
Themen in ihrem Leben haben? Dass sie weniger Geld haben? Dass die Qual der | |
Wahl sie lähmt; so wie mich? Oder sorgen sie sich, dass ihre Spende sowieso | |
„nicht ankommt“? | |
Fast jeder Fünfte nannte in der GfK-Erhebung als Spendenanstoß den | |
persönlich adressierten Werbebrief – das ist nicht gerade das typische | |
Medium der Mittdreißiger. Deshalb werden soziale Medien auch für | |
Spendenorganisationen wichtiger: Facebook sammelte nach eigenen Angaben | |
seit 2015 2 Milliarden US-Dollar durch Spendenaktionen. Diese gehen aber | |
nicht immer an seriöse Organisationen, sondern können auch von | |
Privatpersonen für eigene Zwecke gesammelt werden. | |
Die SOS-Kinderdörfer gaben laut Facebook an, über das Netzwerk insgesamt | |
mehr als 700.000 Euro gesammelt zu haben. Gemessen an den 72,8 Millionen | |
Euro, die die Organisation allein im Jahr 2018 an Spenden erhalten hat, ist | |
das nicht sehr viel. | |
Mehrere Initiativen in Deutschland wollen die Spendenentscheidung | |
erleichtern. Dazu gehört [5][der Deutsche Spendenrat], ein Verband von fast | |
70 gemeinnützigen Organisationen. Der Spendenrat listet auf seiner Seite | |
zahlreiche Spendentipps auf. So rät er etwa davon ab, ohne konkreten Aufruf | |
Sachspenden wie Kleidung zu geben. Dort heißt es, dass viele Menschen gern | |
das Gefühl haben wollen, „direkt“ zu helfen – dass aber Organisationen im | |
Zweifelsfall mit Geld mehr anfangen können. | |
Außerdem stellt der Spendenrat Anforderungen an seine Mitglieder: Diese | |
müssen ihre Finanzen und Strukturen offenlegen. Die Organisationen werden | |
alle drei Jahre von einem Wirtschaftsprüfer kontrolliert, jährlich führt | |
zudem die Spendenrats-Geschäftsführung eine Prüfung durch. | |
Max Mälzer ist Geschäftsführer des Spendenrats. Der 36-jährige Jurist sitzt | |
an einem Donnerstag um acht Uhr morgens in einem Café in Berlin. Er will | |
ein paar Sachen klarstellen. Vielen Menschen sei es wichtig, dass die | |
Verwaltungskosten so niedrig wie möglich sind – auch Hilfsorganisationen | |
selbst werben häufig mit niedrigen Verwaltungskosten. Das regt Mälzer auf. | |
„Ich plädiere für brutale Ehrlichkeit: Ja, wir haben Verwaltungskosten. | |
Unsere Leute müssen angemessen bezahlt werden. Nur dann machen sie auch | |
eine gute Arbeit“, sagt er. Außerdem benötige man eine gute und | |
transparente Infrastruktur, die koste eben Geld. | |
Dieselbe Einstellung hat auch das Deutsche Zentralinstitut für soziale | |
Fragen, welches [6][das begehrte DZI-Siegel] an Organisationen vergibt. | |
Damit werben zahlreiche bekannte Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne | |
Grenzen oder Save the Children. | |
Das DZI informiert auf seiner Seite darüber, welche Fragen sich | |
Spendenwillige im Vorhinein stellen sollten. Beispielsweise raten DZI, | |
Spendenrat wie auch viele einzelne Organisationen davon ab, zweckgebunden | |
zu spenden; also etwa nach einem Erdbeben in Indonesien eine Spende mit dem | |
Überweisungszweck „Erdbeben Bali“ zu überweisen. Das Problem nämlich sei, | |
dass viele Organisationen, besonders bei medienwirksamen Katastrophen wie | |
etwa dem Tsunami 2004, extrem viel Geld erhalten – während es zahlreiche | |
Regionen mit Schwierigkeiten gibt, die unter dem Radar laufen. Sobald eine | |
Spende jedoch explizit zweckgebunden überwiesen wird, dürfen Organisationen | |
sie für nichts anderes mehr verwenden. | |
Auch Spendenrat-Geschäftsführer Mälzer rät von zweckgebundenen Spenden ab, | |
sofern nicht explizit dazu aufgerufen wurde. Er fügt grundsätzlich hinzu, | |
dass es auch nicht gleich die Dauerspende von 100 Euro im Monat sein muss – | |
kleine und einmalige Beträge seien ebenso willkommen. | |
Aber woher soll ich überhaupt wissen, wofür ich spenden will? Soll ich nach | |
meinen Interessen gehen? „Die Entscheidung kann und möchte ich niemandem | |
abnehmen, das würde ich schon fast als übergriffig empfinden“, antwortet | |
Mälzer. „Jeder sollte seinem Herzen folgen und jeder muss damit im Reinen | |
sein.“ | |
Ich verstehe seinen Impuls, mich stellt die Antwort jedoch nicht zufrieden. | |
Soll ich nun täglich einem Obdachlosen einen Euro geben oder dem | |
UNO-Flüchtlingswerk 365 Euro im Jahr? Genau das rät mir nämlich Frederik* | |
(Name geändert), mit dem ich in Berlin-Mitte bei einem UNHCR-Stand ins | |
Gespräch komme. Ich spreche ihn an, weil ich im Rahmen der Recherche wissen | |
will, wie er versuchen wird, mich von einer Spende zu überzeugen. | |
Der Student zeigt sich überwältigt, dass ich auf ihn zukomme. „Ich mache | |
diesen Job seit Monaten, und noch nie wurde ich angesprochen – eigentlich | |
muss ich die Leute immer dazu überreden, stehen zu bleiben“, sagt er. Von | |
überrascht wechselt er schnell in professionell-übermotiviert: Der junge | |
Mann will innerhalb von zwei Minuten einen Vertrag mit mir abschließen; er | |
erzählt im Schnelldurchlauf von der Flüchtlingssituation in Bangladesch, wo | |
immer noch Hunderttausende aus Myanmar vertriebene Rohingya in | |
Flüchtlingslagern leben. Er erzählt vom Leid in Nordsyrien, dem | |
Stellvertreterkrieg im Jemen. „Und wir sind überall dort vor Ort“, sagt er. | |
Das UNHCR würde bei all diesen Katastrophen helfen; wie genau, bleibt vage. | |
Als ich um etwas Bedenkzeit bitte, erzählt er mir von der | |
Widerrufsmöglichkeit – erst mal unterschreiben, ich kann ja immer noch | |
einen Rückzieher machen. | |
Aber klar: Er muss auch Geld machen. Angestellt ist er bei einem | |
Unternehmen, das seine Mitarbeiter regelmäßig für unterschiedliche | |
Organisationen auf die Straße schickt. Laut der Internetseite seines | |
Arbeitgebers DialogDirect verdienen Mitarbeitende im Durchschnitt zwischen | |
2.200 bis mehr als 2.500 Euro im Monat. Der Druck, täglich Verträge | |
abzuschließen, ist hoch. | |
Ich bezweifle nicht, dass die UNO an vielen Stellen wichtige und gute | |
Arbeit macht. Ich habe bloß bei Frederiks Vortrag keine Beweise dafür | |
gehört; er hat ausschließlich an mein Mitleid appelliert. Ich sehe Fotos | |
trauriger Kinder und spüre, wie ich diese Spendenentscheidung nicht bewusst | |
und informiert treffen würde, sondern rein emotional. Das widerstrebt mir | |
zutiefst. | |
Die US-Organisation GiveWell mit Sitz in Kalifornien sieht das genauso. Sie | |
sucht und untersucht besonders effektive Hilfsorganisationen. Anders als | |
beim Spendenrat und dem DZI geht es ihr neben der finanziellen Transparenz | |
zusätzlich um Inhalte und die Effektivität von Maßnahmen. GiveWell folgt | |
dabei immer der Frage: Wie kann ich mit dem Geld, das ich spenden will, am | |
meisten Gutes bewirken? | |
Seit ihrer Gründung 2007 untersucht GiveWell immer wieder neue | |
Hilfsorganisationen; unter anderem geht es darum, wie mit kosteneffektiven | |
Maßnahmen für möglichst viele die Lebensbedingungen verbessert werden | |
können. Jährlich veröffentlicht die Organisation die Ergebnisse ihrer | |
Recherchen, die für alle einsehbar sind. Als besonders effektiv werden Jahr | |
für Jahr Organisationen zur Malaria-Prävention, der Entwurmung von Kindern | |
und für den direkten Bargeld-Transfer an besonders arme Menschen empfohlen. | |
Auf der Webseite von GiveWell sind kaum Fotos mit traurig dreinblickenden | |
Menschen; die Organisation wirbt mit Inhalten. | |
Einer der Wirtschaftsnobelpreisträger 2019, der Armutsforscher Michael | |
Kremer, führte mehrere Studien zu dem Thema durch: Unter anderem wies er | |
nach, dass Kinder in Kenia, die Entwurmungsmedikamente bekommen haben, | |
seltener in der Schule fehlen. Das Ergebnis einer anderen Studie war gar, | |
dass Männer, die als Kinder diese Medikamente bekommen hatten, sich nach | |
dem erfolgreichen Schulabschluss später besser auf dem Arbeitsmarkt | |
schlagen; bei Frauen konnte eine höhere Schulbildung nachgewiesen werden. | |
Was für eine verlockende Kausalkette. Gemeinsam mit seiner | |
Co-Nobelpreisträgerin Esther Duflo gründet Kremer die Organisation „Deworm | |
the World Initiative“, die Entwurmungspillen an Kinder verteilt. | |
## Spendenwirkung evaluieren | |
In Deutschland wird der Ansatz der strikten Effektivität bei | |
Spendenentscheidungen bislang noch kaum genutzt; GiveWell verzeichnete 2018 | |
nur 726 Spender*innen mit Wohnsitz in Deutschland und einem Spendenvolumen | |
von ungefähr 470.000 Euro an ihre sogenannten Top Charities. Um das zu | |
erhöhen, führt Sebastian Schwiecker seit diesem Frühjahr [7][die deutsche | |
Organisation „Effektiv spenden“]. Der 40-jährige Schwiecker kommt wie | |
GiveWell von der Bewegung des Effektiven Altruismus. | |
Effektive Altruist*innen wollen mit ihrem Geld so viel Gutes wie möglich | |
tun; die Bewegung folgt der Annahme, dass Spenden an effektive | |
Organisationen dafür der richtige Weg sind. | |
Schwiecker arbeitete nach seinem VWL-Studium in der staatlichen | |
Entwicklungszusammenarbeit. „Da hab ich mitbekommen, wie unterschiedlich | |
wirksam Projekte sein können“, sagt er in einem Coworking-Space in | |
Kreuzberg. Hier arbeitet er derzeit mit einem Praktikanten. Das | |
industrie-schicke Gebäude ist voller junger hipper Menschen. Wir duzen uns | |
sofort; der 40-Jährige passt oberflächlich perfekt in die Logik der | |
Berliner Start-up-Szene. Nur, dass er im Gegensatz zu vielen tatsächlich | |
etwas zu sagen hat. | |
Sein „Aha-Erlebnis“ bei der KfW-Entwicklungsbank hatte mit Mikrokrediten in | |
Bangladesch zu tun: Als Mitarbeiter in der Evaluierung beobachtete er, wie | |
zwei ähnliche Projekte mit ähnlichem Budget eine völlig unterschiedliche | |
Anzahl an Menschen erreichten. | |
Als er selbst anfangen will zu spenden, merkt er, dass es gar nicht so | |
einfach ist, diese Entscheidung zu treffen. „Bei den Spendensiegeln wird | |
mehr drauf geachtet, dass das keine schwarzen Schafe sind – das ist | |
natürlich wichtig. Ich wollte aber wissen: Wer sind die Besten? Ich wollte | |
nicht wissen: Wer sind die Nicht-Verbrecher?“ So kam er zur | |
Effektiver-Altruismus-Bewegung. | |
Bis November stellte er auf seiner Seite nur die GiveWell-Empfehlungen auf | |
Deutsch vor, die sich auf Hilfsorganisationen im Bereich der | |
Entwicklungszusammenarbeit beschränken. Seit Kurzem ist die Webseite um ein | |
brandaktuelles Thema ergänzt: Klimaschutz. „Ich bin optimistisch, das Ende | |
der Armut noch erleben zu können – beim Klimawandel bin ich weniger | |
optimistisch“, begründet Sebastian Schwiecker die Entscheidung. | |
Bei einem Vortragsabend präsentiert Schwiecker seine neuen Empfehlungen zu | |
Klimaschutz-Spenden vor etwa hundert Zuschauern und Zuschauerinnen. Das | |
Publikum ist jung und hört motiviert zu; in dem Raum sind etwas mehr Männer | |
als Frauen. Einige kommen selbst aus der Spendenbranche, wieder andere | |
studieren an der privaten Wirtschaftshochschule, in deren Hörsaal die | |
Veranstaltung stattfindet. | |
„Ich hab vor ein paar Monaten angefangen, wild Bäume in Berlin zu pflanzen. | |
Ich dachte, so tu ich was fürs Stadtklima und gegen die Erderwärmung“, | |
erzählt Schwiecker und zeigt das Foto eines vertrockneten Pflänzchens auf | |
einem Straßenmittelstreifen. „Das ist kein Beispiel für aktiven | |
Klimaschutz, so viel sei verraten.“ Das Publikum lacht. | |
Mit derartigem blinden Aktionismus sei er aber nicht allein, versichert er | |
und verweist auf eine Umfrage der Unternehmensberatung A. T. Kearney vom | |
September 2019: Diese befragte Menschen in Deutschland, was sie für | |
sinnvolle Maßnahmen zur CO2-Vermeidung halten. 22 Prozent gaben an, keine | |
Plastiktüten zu kaufen – dabei trägt das Vermeiden von Plastiktüten nur zu | |
3 Kilo CO2-Ausstoß weniger jährlich bei. Zum Vergleich: Eine vegetarische | |
Ernährung führt der Erhebung zufolge zu 450 Kilogramm weniger CO2-Ausstoß. | |
Plastiktüten zu vermeiden ist natürlich sinnvoll, um der Plastikflut in den | |
Weltmeeren entgegenzuwirken – mit dem CO2-Ausstoß hat das aber so gut wie | |
nichts zu tun. | |
„Es braucht eigentlich grundlegenden politischen und technologischen | |
Wandel“, resümiert Schwiecker. Deswegen stellen zwei Redner im Hörsaal drei | |
Organisationen vor, die ihrer Ansicht nach besonders effektiv gegen | |
Klimawandel vorgehen und die Schwiecker auf seiner Internetseite empfiehlt. | |
Thematisch geht es um den Schutz der Regenwälder, die Erforschung CO2-armer | |
Energien und politischen Wandel. | |
Ein Mitarbeiter des Netzwerks Founders Pledge stellt die Coalition for | |
Rainforest Nations vor, eine zwischenstaatliche Organisation von mehr als | |
50 Regenwaldländern, die sich für den Schutz der Regenwälder einsetzt. „Wir | |
haben uns von Sebastian inspirieren lassen, der ja Bäume pflanzen wollte“, | |
erläutert er lächelnd. Den Berechnungen zufolge kompensiert die | |
Organisation für weniger als 1 Euro Spende den Ausstoß von etwa 1 Tonne | |
CO2, indem armen Ländern finanzielle Anreize geboten werden, Entwaldung zu | |
vermeiden. Der Betrag von weniger als 1 Euro pro CO2-Tonne kam dadurch | |
zustande, dass die in der Vergangenheit bereits eingesparten Tonnen CO2 mit | |
dem Budget und den Ausgaben verrechnet wurden. Founders Pledge gibt aber | |
auch an, dass eine solche konkrete Summe nur eine theoretische Berechnung | |
ist. | |
Bei der Veranstaltung wird klargestellt, dass diese Empfehlungen keineswegs | |
davon abhalten sollen, gleichzeitig weniger Fleisch zu konsumieren und | |
weniger zu fliegen – aber sie sollen eine Möglichkeit aufzeigen, darüber | |
hinaus auf einer größeren Ebene etwas gegen die schädlichen Folgen des | |
Klimawandels zu tun. | |
Ich bin vom effektiven Spenden überzeugt. Ich finde den Gedanken toll, mit | |
meinem Geld messbar helfen zu können. Es beruhigt mich, die | |
Spendenentscheidung mit Fakten unterlegen zu können und nicht einfach wild | |
drauflos meinem Herzen zu folgen. | |
Dann rufe ich Kai Fischer an. Er ist mir als Kritiker des Effektiven | |
Altruismus empfohlen worden. Vor dem Gespräch bin ich skeptisch, weil ich | |
mir kaum vorstellen kann, dass meine Begeisterung für den Ansatz getrübt | |
werden kann. Ich lerne dann einen Menschen kennen, der offensichtlich sehr | |
viel Ahnung von der Branche hat – und die überzeugendste Kritik am | |
Effektiven Altruismus liefert, die ich bisher gehört habe. | |
Der Fundraising-Berater ist in Hamburg ansässig und nimmt sich Zeit, aus | |
seinem Erfahrungsschatz in der Arbeit und Beratung von | |
Non-Profit-Organisationen zu berichten. „Ich komme aus ’ner linken Ecke, | |
ist ja klar“, stellt der 56-Jährige sofort heraus. Die Fragestellung hinter | |
seiner Arbeit ist eindeutig altruistisch: „Wie ist eine bessere | |
Gesellschaft möglich? Wie kriegen wir die vielen Probleme in den Griff? Da | |
geht es um Armut, um Ungerechtigkeit und Rassismus, um sexualisierte | |
Gewalt.“ Fischer hält es für eine fundamentale Aufgabe von Fundraising, | |
Sozialkapital aufzubauen. „Hier haben Organisationen die unglaubliche | |
Aufgabe, Menschen auf Basis gemeinsamer Werte und Ideen zusammenzubringen.“ | |
Auf die Frage, wofür Menschen denn nun spenden sollen, antwortet er genau | |
das, was ich ablegen wollte: „Ganz platt gesagt: Hör' auf dein Herz. Es | |
geht um die Frage: Welches Problem triggert mich am meisten? Was ist die | |
größte Schweinerei auf dem Erdball?“, sagt er. Schließlich gehe es immer um | |
verletzte Werte – um Ungerechtigkeit, die ich persönlich richtigstellen | |
will, weil sie meine eigenen Werte verletze. | |
Fischer selbst spricht in dem Zusammenhang viel von Diskriminierung – für | |
ihn die Wurzel vielen Übels. Immer wieder betont er, dass es beim Spenden | |
um eine persönliche Entscheidung gehe. Hier setzt auch seine grundsätzliche | |
Kritik am Effektiven Altruismus und dem Ansatz von GiveWell an. Er zweifelt | |
nicht an, dass die von GiveWell empfohlenen Organisationen ihre Versprechen | |
halten – für ihn handelt es sich aber nicht um eine massentaugliche | |
Herangehensweise an das Thema Spenden. | |
„Das ist eine neoliberale Ideologie“, regt er sich auf. „Das ist zwar | |
verführerisch, weil es in einem unübersichtlichen Feld Handlungsanleitung | |
verspricht, aber es hilft am Ende nicht.“ Weil für die Mehrheit der | |
Menschen das verloren ginge, was Spenden eigentlich ausmacht – nämlich, | |
dass es eben keine rationale Entscheidung ist, sondern auf der Ebene von | |
Werten und Erfahrungen funktioniert. | |
## Die Gründe fürs Spenden sind vielfältig | |
Kai Fischer erzählt auf eine ebenso aufbrausende wie intelligente Art. | |
Leidenschaftlich wird er, als ich ihn mit einer älteren Studie | |
konfrontiere, in der Menschen erläutern sollen, warum sie nicht spenden, | |
und viele dies auf ihre finanzielle Situation zurückführen. Eine völlig | |
unsinnige Frage, findet er. Die Frage nach dem Nicht-Spenden sei nichtig, | |
weil kaum jemand sich aktiv entscheide, nicht zu spenden. „Die Entscheidung | |
zum Spenden oder auch zum Nicht-Spenden wird in einem vorbewussten Raum | |
getroffen, der sprachlich nicht zugänglich ist“, sagt er. Deshalb könne man | |
sie nicht beantworten. Wenn jedoch im Nachhinein in einer Studie gefragt | |
wird, ist schnell ein Grund zusammengebastelt. Fischer spricht von | |
nachträglicher Rationalisierung, was ein bekanntes Konzept in der | |
Psychologie ist. Die Gründe, die Menschen angeben, zeigen ihm zufolge also | |
mehr soziale Konventionen als tatsächliche Entscheidungen. | |
Der Fundraising-Berater stößt einen Gedankenprozess bei mir an. Welche | |
Frage beantworte ich mit dem Spenden? Was triggert mich? Wenn ich mich | |
täglich mit dem Obdachlosen unterhalte, dem ich auf meinem Arbeitsweg | |
begegne, und ihm ein wenig Geld gebe – warum tue ich das? Das ist keine | |
Spende, die strukturell etwas gegen Obdachlosigkeit bewirkt; soll sie aber | |
auch gar nicht. In dem Moment schaffe ich eine einfache menschliche | |
Verbindung zwischen ihm und mir, die mit Effektivität absolut nichts zu tun | |
haben muss. | |
Ähnliches gilt, wenn ich eine Dauerspende an die Flüchtlingsorganisation in | |
meiner unmittelbaren Nachbarschaft entrichte oder mich ehrenamtlich | |
engagiere – es gibt Wege, Gutes zu tun, direkt in meinem Wohnumfeld. Aber | |
die Motivation bei einer solchen Spende wäre womöglich auch eher, die neuen | |
Nachbar*innen zu unterstützen und einen Beitrag für ein lokales gutes | |
Miteinander zu leisten. | |
Das Gespräch erinnert mich an das Buch des israelischen | |
Wirtschaftsnobelpreisträgers Daniel Kahneman „Schnelles und langsames | |
Denken“ über die Psychologie menschlicher Entscheidungen, in dem es auch um | |
das von Kai Fischer angesprochene Phänomen geht, dass die meisten | |
Entscheidungen nicht bewusst getroffen werden. Kahneman argumentiert, | |
häufig würden Menschen eigentlich eine andere Frage beantworten als die, | |
die ihnen gestellt wurde. Als Beispiel nennt er eine Studie, in der es um | |
Aussagen zur eigenen aktuellen Zufriedenheit geht. Weil die Frage „Wie | |
glücklich bist du zurzeit mit deinem Leben?“ eine sehr komplexe und in | |
ihrer Gänze kaum beantwortbare Frage ist, wird sie gern durch die Frage | |
„Wie fühle ich mich gerade in diesem Moment?“ ersetzt. | |
Wie fühle ich mich? Fakt ist: Wenn mir ein Standwerber einer | |
Wohltätigkeitsorganisation auf der Straße Fotos trauriger Kinder zeigt oder | |
wenn ich einem Obdachlosen Geld gebe, werde ich direkt mit meinen eigenen | |
Privilegien konfrontiert. Diese kann ich auch mit einer Spende nicht | |
teilen. | |
Darüber spreche ich mit Sara Dehkordi, die an der Freien Universität Berlin | |
als Gastdozentin zu postkolonialen Theorien lehrt. Sie nennt den White | |
Savior Complex eine „Form von Gewalt“. So wird das Phänomen bezeichnet, | |
wenn weiße Menschen People of Color als Unmündige darstellen, die gerettet | |
werden müssen. Dehkordi gibt mir ein paar Tipps an die Hand, um manche | |
Privilegien beim Spenden nicht außer Acht zu lassen. | |
Sie schlägt vor, bei Organisationen darauf zu achten, dass die Anliegen der | |
NGOs mit vor Ort Lebenden gemeinsam entwickelt wurden und diese auch in die | |
Projekte einbezogen sind. Sie übt außerdem scharfe Kritik daran, wenn | |
Organisationen „ständig irgendwelche hungernden Kinder ablichten“. „Als | |
wäre es so, dass im globalen Süden alle Menschen hungern würden und als | |
gäbe es keinen Grund für den Hunger“, sagt die 36-Jährige. | |
Erstens wird durch solche Fotos also vermittelt, dass es im globalen Süden | |
nur unterernährte, unmündige Menschen gibt. Zweitens müssen Weiße auch | |
immer mitdenken, woher die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Geldern | |
kommt. Konkret macht Dehkordi auf das Problem der Kapitalflucht aufmerksam: | |
Vielen Ländern geht massig Geld verloren, weil Großunternehmen zu wenig | |
Steuern zahlen. | |
Dagegen kann ich mit meiner Spende nicht unbedingt etwas ausrichten. Mit | |
einer Spende mache ich keine einzige der Ungerechtigkeiten wett, für die | |
westliche Politik und Unternehmertum seit Jahrzehnten in ärmeren Ländern | |
verantwortlich ist. | |
Dennoch gibt es tausend Möglichkeiten, Gutes zu tun – ich könnte ein | |
Ehrenamt beginnen, in eine linke Partei eintreten oder mich einer | |
Ortsgruppe von Fridays for Future anschließen. Oder eben Geld spenden. | |
Trotz aller Ungerechtigkeit und schlimmen politischen Verhältnisse ist das | |
eine ziemlich gute Möglichkeit, Gutes zu tun, wie ich finde. Meine Hoffnung | |
ist, dass effektive und ethisch handelnde Organisationen für bessere | |
Gesundheit, bessere Bildung und auf lange Sicht gesehen gesellschaftlichen | |
und politischen Wandel sorgen können. | |
Ich habe mich während meiner Recherche entschieden, monatlich 50 Euro an | |
die „Deworm the World Initiative“ zu überweisen, die in Kooperation mit den | |
jeweiligen Regierungen Entwurmungspillen an Schulkinder verteilt. Für mich | |
wurde schnell klar, dass ich an eine der von GiveWell empfohlenen | |
Organisationen spenden möchte. Denn was triggert mich am meisten? | |
Ausgelöst wurden mein Interesse und meine Recherche davon, dass ich gesehen | |
habe, wie viele Dinge sich zum Guten verändern. Davon möchte ich ein Teil | |
sein. Mir persönlich ist es wichtig, faktenbasiert und transparent | |
nachvollziehen zu können, was die von mir unterstützte Maßnahme bringt. | |
21 Dec 2019 | |
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[1] /Schwerpunkt-Rechter-Terror/!t5007732/ | |
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[4] /Spenden/!t5018890 | |
[5] https://www.spendenrat.de/ | |
[6] https://www.dzi.de/ | |
[7] https://www.effektiv-spenden.org/ | |
## AUTOREN | |
Sarah Emminghaus | |
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