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# taz.de -- Rückkehr des Ausgehens: Was für eine lahme Angelegenheit!
> Sitzen ist das neue Rumstehen. Das ist zwar bequem für den Rücken, aber
> einfach nicht dasselbe. Wie soll das nur weitergehen mit der Ausgeherei?
Bild: Sitzen statt tanzen, ist bequem aber langweilig, Konzert von Fritzi Ernst…
Dafür, dass wir alle monatelang über die Rückkehr des Ausgehlebens
fantasiert und den Tag X schmerzlich herbeigesehnt hatten, ist die
Wiederaufnahme dieser beliebten Tätigkeit dann doch recht unspektakulär
verlaufen.
Wie sehr hatten wir uns auf das Ende der tristen, ausgehbeschränkten
Coronazeit gefreut. Wie oft hatten wir nach endlosen Spaziergängen in der
November-Dezember-Januar-Februar-März-April-Kälte uns gewünscht, so mir
nichts dir nichts in ein Café spazieren und uns platzieren zu dürfen – was
hätten wir für diesen Luxus gegeben!
Wie oft war uns der Stoßseufzer: „Endlich mal wieder in einer Bar
rumstehen, trinken und dummes Zeug reden! Wie herrlich das wäre!“
entfahren. Endlich mal wieder auf ein Konzert gehen!
Es gibt inzwischen sogar Konzerte drinnen für Genesene, Geimpfte und
Getestete! Wie schön, sich mal wieder in geschlossenen Räumen was anhören
zu dürfen, abseits dieses ewigen Open-Air-Zwangs, wo sich an der frischen
Luft die Stimmung, die Töne und alles andere so verlaufen.
Es dürfen zwar nur wenige Leute nur unter Auflagen rein, aber was soll’s!
Besser als nix!
Selige präpandemische Zeiten
Aber oje, Konzerte unter Hygienebeschränkungen sind eben doch was ganz
anderes als in den seligen präpandemischen Zeiten – für die da oben auf der
Bühne und für die da unten im Publikum.
Das Bestuhlungsgebot ist dabei auf den ersten Blick gar nicht so
einschneidend. Wer nicht mehr 30, nicht mehr 40 und nicht mehr 50 ist, der
setzt sich gerne mal hin und muss ein Konzert nicht unbedingt eingepfercht
im Moshpit verbringen.
Aber das verordnete Sitzen ist halt doch anders als das freiwillige Sitzen.
Die Leute sitzen vereinzelter, gestauchter, sittsamer, unbeweglicher. Und
wenn alle sitzen und sich nicht naturgemäß die Jüngeren vorne vergnügen und
die Älteren hinten an der Bar stehen, wenn also alle auf ihren Stuhlinseln
bleiben, dann bekommt ein Konzert leicht eine Kirchentag- oder
Seniorinnennachmittag-Atmo. (Nichts gegen Seniorinnen). Und wenn die
Euphorie unten fehlt, ist sie auch für die Musikerinnen auf der Bühne
schwer herzustellen.
Sitzpublikum ist schwierig, selbst im Theater, wo ja traditionell unten
gesessen wird, sind die Reihen gelichtet, es braucht mehr Abstand, man
sitzt vorsichtiger, beklommener.
Stiller und gedämpfter
Leute, die Maske tragen, wirken natürlich stiller, die Reaktionen sind
verhaltener, das Lachen auch. Selbst das Klatschen wirkt gedämpft. Wer auf
der Bühne die Reaktion der Leute miteinbezieht und improvisiert – für den
sind es ganz harte Zeiten.
Fazit: Ausgehen ist voll spießig geworden. Ausgehen und rumstehen heißt nun
brav am Tisch sitzen, essen und trinken.
Das wird bezirklich gefördert, deshalb dürfen die Gastronominnen zur Freude
der Anwohnerinnen Tische auf die Straße stellen, damit Hunderte Essende und
Trinkende bei schönem Wetter sittsam draußen sitzen und konsumieren können.
Kontrollierter, geregelter Konsum hilft der Gastronomie und die
Mehrwertsteuer hilft der Stadt. Weil das Sitzen so langweilig ist, wird
auch viel konsumiert, was soll man sonst tun?
Echtes Ausgehen, Exzess, Grenzüberschreitung, Über-die-Stränge-Schlagen,
kurz Durchdrehen – das ist alles erst mal nicht drin. Wie soll das nur
weitergehen mit der Ausgeherei? Selbst wenn wir Geimpften ohne neue
Beschränkungen durch Herbst und Winter kommen – es wird nicht dasselbe
sein.
Aber wer weiß, was noch kommt. Vielleicht hilft uns Zweckpessimismus
weiter. Vielleicht denken wir im November: „Wisst ihr noch, im Sommer, da
konnte man sich einfach so an einen Tisch setzen und was zu trinken
bestellen und Konzerte gab es auch – sogar drinnen!“
9 Aug 2021
## AUTOREN
Christiane Rösinger
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Konzert
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