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# taz.de -- Die Dramen Post-Corona: Kleinfamilien werden tragödienfähig
> Unsere Autorin hat keine Angst mehr vor Arztbesuchen, dafür aber vor den
> künstlerischen Produktionen, die aus Corona folgen werden.
Bild: Die Wartezimmer sind schön leer, die Frauenfachzeitschriften haben neue …
Es gibt ja durchaus Beschäftigungen, die sich zu Coronazeiten angenehmer
gestalten als früher: der Arztbesuch zum Beispiel.
Als ich Ende März das interessante Phänomen „Glaskörperabhebung“ erlebte,
wies mich die Augenärztin an, unverzüglich ein Krankenhaus aufzusuchen.
Damals löste das noch einen kleinen Nervenzusammenbruch aus, denn ich war
mir sicher, stundenlang unter hustenden Infizierten in der Notaufnahme
gefangen zu sein, wo ich mich ganz bestimmt anstecken würde.
Weinend verabschiedete ich mich also von den nächsten Verwandten und
schleppte mich innerlich gebrochen ins Benjamin Franklin. Dort war es aber
angenehm leer, die freundlich überpräsente Security wies mir den Weg zur
Augenklinik. Ich wurde nach kurzer Wartezeit behandelt und beruhigt: Eine
baldige Erblindung stand nicht an, und an die vorbeiziehenden Objekte und
Blitze würde ich mich gewöhnen.
Endlich leere Wartezimmer
Fortan hatte ich keine Angst mehr vor Arztbesuchen, und auch die durch
Überinformation und Sondersendungssucht gezüchtete Coronapanik legte sich.
Ich ging wieder gerne zur Ärztin.
Vergangenen Mittwoch stand wieder ein Besuch bei der Hausärztin an, und
weil viele Menschen die Praxen noch meiden, ist es immer schön leer und man
kann in der kurzen Wartezeit die ausgelegten Frauenfachzeitschriften
durcharbeiten. Interessanterweise hat vor allem das Genre Partnerberatung
durch Corona einen neuen Schub erhalten.
Hilfreich ist, dass man das Fehlverhalten des Partners und die furchtbare
Last des Zusammenlebens nun auf Corona-Umstände abwälzen kann. Auch in der
Paartherapie gibt es völlig neue Denkansätze.
Den abgestandenen Durchhalteparolen wie „Beziehung ist Arbeit“ oder „Was
Besseres kommt selten nach“ wurden durch den Lockdown neue Anweisungen
hinzugefügt. Wer sich zum Beispiel unsicher ist, ob er/sie sich trennen
soll, der soll laut Brigitte erst mal überlegen, ob eine etwaige zweite
Coronawelle mit diesem Partner zu ertragen wäre.
Neue ausweglose Dramen
Leider sind von den anderen Genres und Künsten solche innovativen
Corona-Ideen nicht zu erwarten.
Im Gegenteil, es kann einem jetzt schon vor den künstlerischen Produktionen
der Post-Corona-Zeit grauen. All die Zweipersonenstücke, die
Eingeschlossenen und ihre Zwiegespräche! Bei Oldschool-Theaterregisseuren
sind aufgelöste, leicht gekleidete oder in enge Lederkostüme geschweißte
Schauspielerinnen zu erwarten, die auf High Heels zwischen Homeoffice und
Kinderzimmer herumrennen und hysterisch weinen.
Die Kleinfamilie ist durch Corona tragödienfähig geworden und liefert Stoff
für neue ausweglose Dramen: Vorbildlich handelnde, privilegierte
Alternativ-Eltern merken plötzlich, dass sie mit ihren nervigen Kindern
überhaupt nichts anfangen können – was sie in eine tiefe Sinnkrise stürzt.
Tiefer Hass, schwere innere Zerrüttung! Lebenslügen brechen auf, Existenzen
zusammen. Baugruppen, Doppelhaushälften, die schöne mit beidseitiger
Elternhilfe finanzierte Eigentumswohnung muss verkauft werden.
## Wahlweise als Komödie
Das Ganze funktioniert wahlweise auch als Komödie: Kita macht wieder auf –
Happy End.
Auch von der Popmusik ist nichts Gutes zu erwarten. Zahlreiche Jungsbands
und Solokünstler*Innen werden in den Infos ihrer kommenden
Veröffentlichungen ausbreiten, wie sie die Zeit des Lockdown genutzt haben,
um auf den Land oder sonst wo, abgeschlossen von der Außenwelt, ganz intime
Songs in dieser eigentümlich stillstehenden Zeit aufzunehmen.
Auf dem Sachbuchmarkt werden sich Coronadating-Ratgeber, Corona-Diätpläne
und Corona-Entrümpelungs-Feng-Shui-Anleitungen stapeln. Und im Bücherherbst
werden einige schwere Coronaromane auf uns zukommen.
Man will sich das alles gar nicht ausmalen.
28 Jul 2020
## AUTOREN
Christiane Rösinger
## TAGS
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