# taz.de -- Mit dem Auto in den Urlaub: Übermenschen mit BMW-Geld | |
> Führt Corona zum Umdenken? Ressourcenschonung? Eher zu mehr | |
> „Arschgeigen“. Zumindest an Tankstellen in der Urlaubszeit. | |
Bild: Ferienbeginn in Nordrhein-Westfalen, voll wie immer | |
Corona führt, im Gegensatz zu häufig geäußerten Vermutungen, weniger zum | |
großen Umdenken und nachfolgenden Veränderungen, sondern im Gegenteil zu | |
regressiven Entwicklungen. [1][Mütter kümmern sich den ganzen Tag zu Hause | |
um die Kinder], die Arbeitslosigkeit nimmt zu, Grenzen sind geschlossen, | |
vor dem Reichstag wettern Irre gegen die Juden, die Leute fahren im Urlaub | |
nach Bayern und an die Ostsee, das Verkehrsmittel der Wahl ist der | |
Kraftwagen. | |
So auch bei uns. Lange Autofahrten, während der kühle ICE mit doppelter | |
Geschwindigkeit vorüberzischt, wirken auf mich so anachronistisch, wie | |
jemanden aufzuhängen, der ein Brot gestohlen hat. Dennoch führt eine | |
Mischkalkulation aus kurzfristiger Planung, kleinteiligen Routen und alten | |
Eltern, die man nicht töten möchte, zu diesem Retrotrip in eine finstere | |
Vergangenheit: notorische Mittelspurschleicher, eingeschlafene | |
Brummifahrer, die sich von den singenden Rillen der Standspurbegrenzung | |
wecken lassen, wahnsinnige Raser, Drängler und Zickzacküberholer – das ist | |
wohl die Freiheit des Andersdenkenden, von der immer die Rede ist. | |
An der Autobahntankstelle ist es sehr voll, doch vor mir blockiert ein SUV | |
mit Freisinger Kennzeichen nach dem Tanken die Zapfsäule. Auf dem Weg in | |
den Kassenraum, wo ebenfalls eine lange Schlange wartet, wechselt meine | |
Frau ein kurzes Wort mit den beiden Insassinnen des Brummers. | |
## Wie Springteufel | |
Ich sage nichts, sonst gibt es eh bloß Streit. Das ist es nicht wert. Ich | |
gucke nur. Streit gibt es trotzdem, denn ich habe anscheinend falsch | |
geguckt. Mutter und Tochter schnellen wie Springteufel aus dem Auto und | |
hacken auf mich ein: Ihr Mann komme doch gleich wieder. Was ich denn wolle? | |
Das alles in einer überkandidelten Kunstsprache, die zugleich Bayerisch und | |
Hochdeutsch sein will, und doch nichts davon ist – der „Komödienstadl“ g… | |
„Pygmalion“. | |
„Ich habe doch gar nichts gesagt“, sage ich. Ja, aber meine Frau hätte …, | |
keifen sie unbeirrt. Ich erkläre ihnen geduldig, dass die eine | |
eigenständige Person sei, was ihren Horizont wohl überschreitet, denn sie | |
zetern weiter. | |
Ich drehe mich einfach weg und schaue auf mein Telefon, doch es hilft | |
nichts. Sie hören nicht auf. Ich kann nicht mehr. „Arschgeigen“, sage ich. | |
„Verpisst euch.“ | |
„Wie bitte? Was haben Sie gesagt?“ | |
Ich wiederhole ein wenig unentschlossen: Das war doch laut genug, das muss | |
sie doch gehört haben. Die Mutter wirft einen ostentativen Blick auf das | |
Nummernschild unseres kleinen alten Japaners und holt zum Gnadenstoß aus: | |
„Aha: Berlin. Sie leben auf unsere Kosten.“ Die bayerischen Übermenschen, | |
die mit ihrem BMW-Geld die verlotterten Junkies in Preußen durchfüttern, | |
ein Weltbild aus dem Setzbaukasten. So spricht Mario Barth über Frauen, | |
schreibt Harald Martenstein über Gender. Wir leben auf ihre Kosten, aber | |
sie brauchen wofür noch mal ein Auto, das so groß ist und so viel kostet | |
wie ein halbes Haus? Jetzt wäre ein „Arschgeigen“ äußerst angebracht. | |
Leider habe ich es schon verballert. | |
Das bleibt auf der Reise längst nicht das einzige unverschuldete Erlebnis | |
mit den feindseligen Besatzungen von Audi, Porsche und Co. Gerade weil die | |
Menschen hier sonst so nett sind, fällt die Diskrepanz umso mehr ins Auge: | |
Sobald die Bayern in ihren fetten Kisten sitzen, mutieren sie | |
werwolfartig zu hirnverbrannten Wichsern. Aber selbst schuld: Wer mit der | |
Scheiße schwimmt, wird in ihr braun. So lange habe ich die klassische | |
Autoferntour vermieden; in der Folge muss ich eine der hässlichsten Fratzen | |
unserer lieben Landsleute irgendwie verdrängt haben. Erschreckend auch, | |
dass ich das alles früher offenbar normal fand. | |
22 Jul 2020 | |
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[1] /Gender-Gap-im-Konjunkturpaket/!5686625 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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