# taz.de -- Fußball spielen nach der Corona-Pause: Der Sinn des Lebens ist zur… | |
> Berlin hat die coronabedingten Einschränkungen für Kontakt- und | |
> Mannschaftssportarten aufgehoben. Wir dürfen wieder grätschen, schieben | |
> und halten. | |
Bild: Südkorea: Menschen stehen auf einem Fußballplatz vor einer provisorisch… | |
Die vergangenen Wochen waren nicht leicht. Fußball mit Abstandsregelung – | |
gar nicht so einfach. Vor Corona hatten wir ja immer bloß gebolzt: zwei | |
Mannschaften, ein Ball, und ab geht die Luzie. Das war schön. Doch | |
plötzlich blieben nur Übungen wie im Training, im Bootcamp, im Zirkus. | |
Wenn ich bloß das Kommando höre, „Während Mitspieler X zehn Liegestütze | |
(wofür braucht ein Fußballer starke Arme?) macht, hält Mitspieler Y den | |
Ball hoch“, muss ich lachen und weinen zugleich: Den Ball hochhalten? So | |
lange, so oft? Und vor allem: Wozu?? Ich bin doch kein Seelöwe. Für einen | |
technisch minderbegabten Recken wie mich ist allein schon die Ansage die | |
reinste Demütigung, und zwar eine, die wie eigens für mich erfunden | |
scheint. Ich kann den Ball exakt zwischen null- und zweimal in der Luft | |
halten, an guten Tagen höchstens dreimal. Die Hütchen, um die eigentlich | |
wir herumdribbeln sollen, lassen stattdessen mich mit einer Täuschung | |
stehen. Das sehen dann alle und schmunzeln je nach Persönlichkeit | |
verzweifelt, gehässig oder mitleidig. Dabei will ich wie jeder eitle Clown | |
gern selbst in der Hand haben, ob und wann man über mich lacht. Ich will | |
doch nur spielen. | |
Aber Spielen ging nicht. War nicht erlaubt gewesen. Und es wurde akribisch | |
überwacht. Aus einem der angrenzenden Häuser fotografierte ein Typ, | |
offenbar ein Alt-33er, jede auf dem Vereinsgelände beobachtete | |
Unregelmäßigkeit. Auch wenn nach dem Spiel zwei Leute zu dicht beim Bier | |
vor der Vereinskneipe saßen. Das war schon Wahnsinn. | |
Aber okay, ich halte mich ja auch an die Regeln. So einer bin ich. Ich habe | |
mich bewusst dafür entschieden, gewisse situationsbedingte Restriktionen | |
mitzutragen. Wer mir deshalb „Lust am Autoritären“ (Sara Hassan) | |
attestieren möchte, soll das ruhig tun. Ich schreib ja auch immer gern | |
pauschal, wie blöd andere Leute sind, die ich nicht verstehen kann oder | |
will. Da sehe ich mal, wie bescheuert sich das von außen liest … | |
## Die Prostata wird durchgespült | |
„Endlich wieder anfassen“, titelt Dr. Sommer nun im Tagesspiegel. Da ist | |
was dran. Denn wettkampfferne Trainingsformen sind im Vergleich zum Spiel | |
wie Onanie: zwar irgendwie auch wichtig und gesund für Körper und Geist; | |
die Prostata wird durchgespült, die Seele in der Not kann sich entspannen. | |
Und doch fehlt dabei etwas ganz Entscheidendes. Denn die Masturbation mit | |
Übungsleiter ersetzt keinesfalls die menschliche Berührung, das große | |
Abenteuer anderer Körper, den Kontakt von Haut mit Haut, die tiefe Wärme, | |
die sich ausbreitet, wenn das harte Knie des Freundes mit Wucht in den | |
eigenen Oberschenkel rammt, die kompromisslose Nähe, wenn unsere Köpfe beim | |
Luftduell zusammenknallen, der süßherbe Schmerz, wenn sich die Stollen des | |
Gegenspielers in die Zehen bohren – ach, liebe Spielkameraden, das ist doch | |
der reinste Sex! | |
Wir Abstinenten des Fußballs sehen auf einmal Land am Horizont. Man muss | |
sich ja erst wieder daran gewöhnen, was man sich über Monate hinweg anfangs | |
mühsam, doch irgendwann wie selbstverständlich abgewöhnt hat, so wie auch | |
Pfötchengeben oder Hugs. Mit zarter Scheu werden die ersten Zweikämpfe | |
gesucht, zögernd, tastend und mit rührender Unsicherheit wie Teenager beim | |
ersten Mal. Grauhaarige Fohlen galoppieren in ungezügelter Lust über den | |
Platz, fünfzigjährige Welpen tollen tapsig über den Kunstrasen, purzeln | |
ungeschickt übereinander und ballern aus zwei Metern über das Tor. Der Sinn | |
ist zurück, bis zur zweiten Welle. | |
24 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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