# taz.de -- Nutzungskonflikt im Soldiner Kiez: Kein Platz im Prinzengarten | |
> Ein Gartenprojekt im Wedding sollte einem Schulneubau weichen. Wegen | |
> Platzmangels ist das Vorhaben vom Tisch. Sicher ist der Garten aber nur | |
> bis 2023. | |
Bild: Wo man Ruhe finden und den Schatten genießen kann: der Prinzengarten im … | |
BERLIN taz | Unweit einer Hauptverkehrsstraße ist eine kleine Oase | |
entstanden. Es zirpt und zwitschert aus dem Grün, eine leichte Brise wiegt | |
die Pflanzen der Hochbeete sanft. Ein einst besetztes Haus und ein | |
Spielplatz säumen diesen Weddinger Begegnungsort an der Prinzenallee, wo | |
man Ruhe finden und den Schatten genießen kann. Wenn es nach den | |
Gärtner*Innen und Anwohnenden geht, bleibt das auch so. | |
„Hände weg vom Prinzengarten!“, fordert ein Gärtner, den hier alle Chromi | |
nennen. Er steht unter einem schwarzen Gartenzelt, während er Gästen seinen | |
Standpunkt bei Sonnenschein und Limonade näherbringt. Am letzten Freitag | |
fand hier eine Diskussion für oder gegen den Erhalt des Gartens statt. | |
Urban Gardening sei „mehr als nur Grünfläche“, sagt Chromi. Es fördere | |
„niederschwellige Inklusion ohne Leistungsgedanken“, mache „Kindern im | |
Problemkiez nachbarschaftliche Angebote“ und fungiere damit „als | |
kostenloses Streetwork“. Außerdem sei der klimaschützende Effekt im dicht | |
bebauten Kiez von immenser Bedeutung. | |
Die „natürliche Klimaanlage“ dürfe nicht zerstört werden, findet auch | |
Conny. Sie ist Geoökologin, Anwohnende und Gärtnerin. In der Gartengruppe | |
sind alle per du und wollen deshalb auch in der Zeitung nur mit ihren | |
Vornamen erwähnt werden. Die Panke, ein kleiner Wasserlauf, der sich nur | |
wenige Schritte vom Garten entfernt befindet, erlaube einen | |
„Luftmassenaustausch und bilde mit dem umgebenden Grün eine | |
stadtklimatologische Pufferzone, von der der Soldiner Kiez profitiere“, | |
erklärt Conny. Eine Bebauung würde diese Luftschneise unterbrechen und | |
damit zur Aufheizung der Stadt beitragen. | |
Der Prinzengarten befindet sich im 3. Hinterhof der Prinzenallee 58. Er ist | |
vor 11 Jahren buchstäblich aus einem Parkplatz erwachsen und wird von etwa | |
60 Aktiven aus der Nachbarschaft ehrenamtlich gepflegt. Die Nutzung des | |
Gartens ist für alle immer möglich; es ist ein öffentlich zugänglicher Ort. | |
## „Beispiel für diese Form der Exklusion“ | |
Im Frühjahr 2021 erhielt zunächst ein Teil des Gartens eine Kündigung, und | |
seitdem ist unklar, wie oder ob es auf den 1.500 Quadratmetern weitergeht. | |
Die neueste Planung sah vor, einen modularen Erweiterungsbau der | |
Charlotte-Pfeffer-Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung auf | |
dem Gelände in der Prinzenallee zu realisieren. | |
Elfi von der Initiative Kiezgärten beanstandet dieses Vorhaben | |
grundsätzlich: „Laut UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit | |
Behinderung dürfen Schulkinder nicht vom allgemeinen Schulsystem | |
ausgeschlossen und in gesonderte Strukturen gedrängt werden. Der geplante | |
Neubau ist ein Beispiel für diese Form der Exklusion“, sagt Elfi. | |
Um im Rahmen einer Bürgerbeteiligung in Austausch zu kommen, wurde diese | |
Infoveranstaltung seitens des Bezirks Mitte, zu dem der Ortsteil Wedding | |
gehört, organisiert. Auch Ephraim Gothe (SPD), Bezirksstadtrat für | |
Stadtentwicklung, und Stefanie Remlinger (Grüne), Bezirksstadträtin für | |
Schule, Sport, Weiterbildung und Kultur, kamen daher in den Prinzengarten. | |
Das Projekt sei auf mehreren Ebenen ein Gewinn für den Bezirk, behaupten | |
die Gartenfreunde. „Das eine ist das ökologische Klima, das andere ist das | |
soziale Klima“, fasst es ein Gärtner zusammen. Die Verantwortlichen in den | |
Verwaltungen hingegen suchen händeringend nach Standorten, um die | |
Schulpflichtigen in Mitte mit Schulraum zu versorgen. Die Lokalpolitiker | |
sind zum Termin gekommen und versuchen die Menschen für die Notwendigkeit | |
von Schulneubauten und die Probleme, dafür Standorte zu finden, zu | |
sensibilisieren. | |
## „Es wird nicht gebaut“ | |
„Ich komme gerade von einem weinenden Schulleiter“, sagt Bezirksstadträtin | |
Remlinger. Sie sitzt unter dem schwarzen Gartenzelt auf einem Stuhl. Hinter | |
ihr wurde ein Stadtplan des Bezirks aufgestellt. „Wo sollen wir nur die | |
ganzen Kinder unterbringen?“, fragt Remlinger und berichtet mit stockender | |
Stimme von besonderen Herausforderungen, junge Schüler*Innen mit | |
geistiger Behinderung zu beschulen. Hierfür brauche es Zufahrtswege für die | |
Sonderfahrdienste, barrierefreie Räume und gut geschultes Personal. Da der | |
Platz nach eingehender Prüfung jedoch nicht ausreiche, um das Projekt im | |
Prinzengarten zu realisieren, sagt sie schließlich: „Es wird nicht gebaut.“ | |
Es geht ein Raunen durch die Reihen, dann klatschen die meisten. | |
„Der Bezirk halte sich die Fläche jedoch weiterhin vor“, so Remlinger | |
weiter. Eine Zusage, den Garten als solchen zu erhalten, gibt sie bis Ende | |
2023. Die Bezirksstadträtin bittet an diesem Nachmittag um aktive | |
Unterstützung: „Bitte melden Sie sich, wenn Sie einen alternativen Standort | |
kennen“, sagt sie fast flehentlich. | |
## Ein Teilerfolg | |
Zunächst konnte der Prinzengarten also einen Teilerfolg verbuchen. Es gab | |
einen ersten Austausch zwischen allen Parteien, und Bezirksstadträtin | |
Remlinger versichert, „weit vor Ende 23 über den Stand der Dinge zu | |
informieren“. Insbesondere der Neubau einer Mensa für die | |
Charlotte-Pfeffer-Schule, die kleiner als das eigentlich avisierte Projekt | |
sein soll, sei für den Standort Prinzenallee 58 im Gespräch. | |
Bezirksstadtrat Gothe (SPD) hat nichts Wesentliches zu vermelden. Er | |
informiert über einen Zuwachs von Einwohnenden im Bezirk und leitet daraus | |
einen perspektivisch noch größeren Bedarf an Flächen ab. Es bleibt also | |
abzuwarten, ob der Prinzengarten über einen längeren Zeitraum als ein | |
Freiraum für Feste, Nachbarschaftlichkeit und als Pufferzone gegen den | |
Klimanotstand im quirligen Soldiner Kiez erhalten werden kann. Und für die | |
Schulkinder findet sich hoffentlich bald ein alternativer Standort, der den | |
Bedürfnissen gerecht wird. Im Idealfall muss dafür kein anderes wichtiges | |
Sozialprojekt weichen. | |
Katrin, ebenfalls Gärtnerin, missfällt die „mangelnde | |
Kommunikationsbereitschaft seit der Kündigung“. Dem Garten sei ohne | |
Erklärung gekündigt worden. Sie wünscht sich, dass „insgesamt mehr | |
Akzeptanz für Stadtgärten da ist und dass progressiver gedacht wird“. | |
Dieses Argument stützt auch Kerstin Stelmacher vom Netzwerk urbane Gärten. | |
„Es gibt keinen einzigen gesicherten (Stadt-)Garten in Berlin“, sagt sie. | |
13 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Sean-Elias Ansa | |
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