# taz.de -- Gartenprojekt in Gropiusstadt: Kleines Beet, große Wirkung | |
> Ein Projekt baut mit der Nachbarschaft im Neuköllner Süden einen | |
> Steingarten. Ein Ort, der Besucher*innen erfreut und Alltagsstruktur | |
> gibt. | |
Bild: Melisa Avşar und Ana Teasca sind die Parkhausmeisterinnen der Prinzessin… | |
Die Nachbarschaft am U-Bahnhof Britz-Süd in Neukölln erfreut sich an einem | |
Steingarten. Vier mal vier Meter Kantstein umzäunen ein Beet aus Kiesel, | |
ein paar größere Steine liegen versprengt herum, dazwischen ragen kleine | |
Sträucher heraus. Die Materialien des Steingartens wurden von den | |
sogenannten Parkhausmeister*innen organisiert und gemeinsam mit | |
Anwohner*innen eingesetzt. | |
Jeden Dienstag und Donnerstag arbeiten hier für vier Stunden Melisa Avşar – | |
28, die Erziehung und Bildung in der Kindheit studiert hat – und Ana Teasca | |
– 36, studierte Ethnologin und Pädagogin. Mit dem Transporter am Einsatzort | |
angekommen, streifen sie sich lila Warnwesten über und bauen ein | |
Kaffeegedeck auf. Aus dem Kofferraum holen die zwei Frauen einen | |
Plastikkorb sowie zwei Kaffeekannen. | |
Der umgedrehte Korb, bedeckt von einer weißen Decke, dient als Tisch, auf | |
dem sich Kekse, Papp-Becher, Hafer- wie Kuhmilch für Besucher*innen | |
bereithalten. Die Kaffeekannen warten auf dem Kantstein. Broschüren über | |
Freizeit- und Beratungsangebote liegen in einem Körbchen – daneben | |
Einweg-Handschuhe und Desinfektionsmittel. Zuletzt die Klappstühle | |
aufgestellt und fertig ist das Café. | |
Die Frauen arbeiten für den [1][Prinzessinnengarten], der Teil des Projekts | |
„Fair Play im Park“ vom Neuköllner Straßen- und Grünflächenamt ist. Die | |
Parkhausmeister*innen sollen mit Besucher*innen über die Stadtgärten | |
sprechen und kleinere Arbeiten übernehmen. Die drei Einsatzgebiete umfassen | |
den Park am Buschkrug, die Hasenheide und den Grünzug Britz-Buckow-Rudow, | |
der durch die Gropiusstadt führt und wo sie heute eingesetzt sind. | |
## Sozialer Brennpunkt | |
Die Gropiusstadt gilt als sozialer Brennpunkt: hohe Arbeitslosenzahlen, | |
schwache Einkommen, Kinder- und Altersarmut. Das Bezirksamt Neukölln | |
erhofft sich von dem Projekt „Fair Play im Park“, das soziale Miteinander | |
zu stärken sowie das Naturerlebnis zu fördern. Dazu wurden neben dem | |
Prinzessinnengarten Kollektiv noch vier weitere Träger engagiert. So stellt | |
etwa bwgt verschiedene Freizeit- und Sportangebote für Jung und Alt bereit, | |
Gangway bietet Suchtinformationen und Beratung an. | |
Melisa Avşar meint, sie und ihre Kollegin seien eigentlich auch | |
Sozialarbeiter. „Im Grunde sitzen wir mit den Leuten zusammen und reden | |
über ihre Probleme“, sagt sie. „Es geht ganz schnell: Man fragt, wie sich | |
die Menschen den Park wünschen, und dann redet man über ihre Sorgen.“ Die | |
ersten zwei Stunden jeder Schicht sind sie in ihrem improvisierten Café, | |
danach spazieren sie durch den Park – um sichtbar zu sein. | |
Eine Anwohnerin, die den Steingarten mitbaute, läuft auf Avşar und Teasca | |
zu. Mirijana Müller wohnt seit 42 Jahren in Gropiusstadt. „Noch vor 15 | |
Jahren war hier alles schön“, sagt die heute 61-Jährige. Doch das habe sich | |
geändert. Sie meint die fehlenden Blumen, Büsche und Sträucher. Die | |
ehemalige Krankenschwester kommt jeden Tag zum Steinbeet, um zu gießen und | |
zu pflegen – aber auch um zu schauen, ob die Parkhausmeister*innen da sind. | |
Rund 600 Meter weiter, bei ihrem Wohnblock, sei eine ungenutzte kleine | |
Wiese, erzählt sie, die würde sie ihnen gern zeigen. Sie berichtet, wie sie | |
mit Nachbar*- und Freund*innen beim Qigong über den Park spricht. „Alle | |
wünschen sich mehr Bänke“, sagt sie. Teasca notiert die Wünsche auf einem | |
Zettel. | |
## Wut und Frust | |
Einige Passant*innen laufen vorbei. Eine ältere Frau in einer Daunenjacke | |
bleibt mit ihrem Mann am Steinbeet stehen, staunt, begutachtet das Beet und | |
läuft langsam herum. Sie fragt, ob die beiden Frauen das gebaut hätten. | |
„Ja!“, antwortet Teasca und reicht ihr einen einen Flyer von „Fair Play im | |
Park“ und eine Postkarte, auf die sie ihre Wünsche für den Stadtpark | |
aufschreiben soll. Auf weiteren stehen schon Wünsche: mehr Spielplätze, | |
Spring- und Trinkbrunnen, Kinderschaukel und Minigolf. Mehrmals ist | |
„Nichtraucherschild auf dem Spielplatz“ zu lesen. Die Vorstellungen der | |
Anwohner*innen sollen alle fünf Wochen mit dem Straßen- und Grünflächenamt | |
besprochen werden. „Das Projekt läuft gerade erst an, wir haben noch wenig | |
Erfahrung, wie etwas umgesetzt wird“, sagt Teasca. | |
Avşar und Teasca berichten, dass die Tätigkeiten weit über den Park | |
hinausgehen, ihnen Lebensgeschichten erzählt werden, traurige Geschichten | |
mit viel Wut und Frust. Doch heute bleiben die aus, von den großen Sorgen | |
der Menschen ist wenig zu hören. In der Hasenheide sei es häufig anders, | |
dort gebe es mehr Obdachlose, Alkoholiker*innen und viel weniger | |
Gemeinschaft und Austausch zwischen den Besucher*innen, erzählen die | |
beiden. Das sei in Gropiusstadt anders, weil die Menschen hier seit 20 bis | |
30 Jahren leben. „Gerade in Coronazeiten bedeutet der Park den Leuten | |
viel“, erklärt Avşar. Sie schützen ihn mehr und er sei Teil der | |
alltäglichen Routine. „Wenn ein Baum oder eine Bank fehlt, wissen das | |
alle“, sagt Avşar. | |
Sie streifen durch den Grünzug, grüßen Menschen und sprechen über eine | |
andere Seite ihrer Tätigkeiten: über den Rassismus der Menschen, mit denen | |
sie bei ihrer Arbeit zu tun haben. Avşar, selbst mit türkischem | |
Familienhintergrund, schildert, dass einige Besucher*innen in Gesprächen | |
über „Araber“ und „Türken“ schimpfen – und dabei nicht merken, dass… | |
und Teasca selbst gemeint sein könnten. „Die identifizieren uns damit | |
nicht“, sagt Avşar. Denn: „Als Parkhausmeister*innen sind wir deren | |
Freunde“, begründet sie das Verhalten der Besucher*innen. „Das ist einer | |
der Konflikte, mit denen wir hier umgehen müssen“, sind sich beide einig. | |
„Die Leute sind widersprüchlich“, meint Teasca. | |
Ab November sollen die Stunden reduziert werden, weil es zu kalt wird und | |
weniger Leute in die Stadtgärten gehen. Dann werden die | |
Parkhausmeister*innen wahrscheinlich nur noch einmal in der Woche beim | |
Steingarten sein. Zudem ist der Vertrag mit dem Grünflächenamt nur für | |
dieses Jahr geschlossen. Das Bezirksamt hofft, das Projekt auch im | |
kommenden Jahr aufrechterhalten zu können, wenn die finanziellen | |
Möglichkeiten reichen und das Projekt ein Erfolg ist. Als Avşar und Teasca | |
zum Steinbeet zurückkehren, um mit dem Transporter wegzufahren, stehen eine | |
Frau und zwei Kinder am Steinbeet und betrachten es. Sie lächeln erfreut. | |
28 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://prinzessinnengarten.net/ | |
## AUTOREN | |
Jordi Ziour | |
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