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# taz.de -- Neuer Bericht zur Artenvielfalt: Die Mooshummel sucht Futter
> 60 Prozent der deutschen Naturschutzgebiete sind in schlechtem Zustand,
> der des Waldes verbessert sich. Das zeigt der „Faktencheck
> Artenvielfalt“.
Bild: Die Mooshummel lebt in Feuchtgebieten, Niedermooren und Sümpfen und hat …
Berlin taz | Unterm Pflaster liegt der Strand – und die Vielfalt lebt im
Vorgarten. „Alle Park- und Gartenflächen zusammengenommen haben in etwa die
gleiche Fläche aller Naturschutzgebiete in Deutschland“, sagt Helge
Bruelheide, Professor für Geobotanik an der Universität Halle und Direktor
des Botanischen Gartens. „Ein paar offene Sandflächen im Garten, eine Ecke,
in der Brennessel und Natternkopf wachsen und Laub liegen bleibt“, sagt
Bruelheide, „und einfach auch mal nichts machen, das nutzt vielen Insekten
und Vögeln“.
Bruehlheide ist einer der Herausgeber des „Faktencheck Artenvielfalt“, der
am Montag erschienen ist. Insgesamt 145 Autoren, ehrenamtliche
Naturbeobachter und Wissenschaftler, untersuchen darin Trends der
Biodiversität in Deutschland. Ausgewertet wurden nicht nur etwa Daten des
Bundesamtes für Naturschutz, sondern auch 15.000 neue Zeitreihen zur
Entwicklung von Tier- und Pflanzenarten. Trotz zahlreicher Roter Listen und
ausgeprägter Debatten in der Fachwelt: Die Datenlage über Tiere und
Pflanzen in Deutschland ist nicht gut.
„Die mangelhafte Digitalisierung und der Föderalismus bereiten uns die
größten Probleme“, sagt Bruelheide. „Viele Daten sind versteckt in
Papierarchiven von Landesbehörden, Bibliotheken oder Notizbüchern von
Ehrenamtlichen, wir müssen sie mühsam finden und auswerten.“ Zudem starten
viele Erhebungen erst in den 1990er Jahren. „[1][Viele Tier- und
Pflanzenarten kamen aber schon in den 70er Jahren, mit der
Industrialisierung der Landwirtschaft, unter Druck]“, so Bruelheide, „das
heißt, wir benutzen schon eine deutlich dezimierte Biodiversität als
Basislinie.“
Im Umfang ist der „Faktencheck“ neu, seine Kernaussagen aber sind bekannt:
Vor allem auf Äckern, in Mooren und Moorwäldern, Sümpfen und Quellgebieten
leben immer weniger Pflanzen- und Tierarten. „Alle Arten im Agrar- und
Offenland haben negative Trends“, sagt Christian Wirth, Leiter des
Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und
Mitherausgeber des Faktenchecks. Besonders bedenklich: Laut Bericht haben
auch 60 Prozent der wertvollen Naturschutzgebiete nach dem europäischen
FFH-Status einen unzureichenden oder schlechten Erhaltungszustand.
## Faktencheck zeigt auch positive Entwicklungen
Alexandra-Maria Klein, Professorin für Naturschutz an der Uni Freiburg und
Leitautorin des Kapitels Agrar- und Offenland, nennt zwei vorherrschende
Treiber für den Rückgang der Vielfalt: „Die Strukturvielfalt – etwa Hecken
oder Auen – ist sehr stark zurückgegangen und wir schaffen es noch nicht,
sie wiederherzustellen.“ [2][Zweiter Treiber sei die Verschmutzung]. Zwar
bringen die Landwirte nicht mehr Pestizide aus als vor einigen Jahren, aber
die eingesetzten Mittel sind giftiger.
Verschwinden Arten, bleiben einige ökologische Nischen offen, manche
Pflanzen können nicht mehr bestäubt werden. „Ich sehe in der Landschaft
ständig zwei Hummelarten, Erd- und Ackerhummeln“, sagt Klein. Diese beiden
Generalistinnen können sich von sehr vielen Pflanzenarten ernähren, auch
von nicht einheimischen, die laut Faktencheck in der Agrar- und
Offenlandschaft zunehmen. Zudem können die beiden Hummelarten in
verlassenen Mäuse- und Vogelnestern nisten, aber auch in Moospolstern oder
Stroh. Die ganzen langrüsseligen Hummelarten wie Moos-, Obst- oder
Deichhummeln seien anspruchsvoller, zum Teil auf bestimmte heimische
Nahrungspflanzen spezialisiert. „Sie sind die großen Verlierer“, sagt
Klein.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen: So sei im Wald eine Abkehr der
Monobewirtschaftung zu beobachten, „der Anteil von Mischwäldern ist in den
vergangenen Jahren leicht gestiegen“, sagt der Biologe Wirth. Außerdem
verbleibe mehr Totholz im Wald. „Für eine gute Biodiversität braucht man 20
bis 50 Kubikmeter Totholz pro Hektar Wald“, sagt Hirth, „da dürften wir
langsam angekommen sein“. 40 Prozent der Organismen im Wald seien auf die
eine oder andere Weise von Totholz abhängig. „Insekten und Vögel
profitieren von der Zunahme“, so Wirth.
Eine weitere gute Nachricht wäre, wenn das Aktionsprogramm natürlicher
Klimaschutz (AKN) der Bundesregierung realisiert werden könne. „Das wäre
ein Gamechanger“, sagt Wirth. Überhaupt seien die politischen
Rahmenbedingungen in Europa gar nicht so schlecht, sagt Bruelheide: „Die
europäische Agrarpolitik belohnt mehr als früher Maßnahmen, die die
Biodiversität schützen.“ Die Wiedervernässung von Mooren werde politisch
angegangen, die Wasserrahmenrichtlinie schütze wenigstens die größeren
Gewässer. Gegenwind für den Artenschutz gebe es aber auch, etwa im neuen
Forstgesetz der Bundesregierung.
Zwar seien politische sowie ökonomische Anreize wichtig, doch sie reichten
nicht, sagt Marion Mehring vom Institut für sozialökologische Forschung und
eine der Autorinnen. „Es braucht Kümmerer vor Ort, ein Aneignen des Themas
und der Maßnahmen.“ Häufig fehle Handlungswissen darüber, was jeder
Einzelne tun könne. Deshalb sei Bildung für nachhaltige Entwicklung zum
Schutz der Biodiversität so wichtig.
30 Sep 2024
## LINKS
[1] /Pflanzenoekologin-ueber-Klimawandelfolgen/!6025995
[2] /Pestizide-im-Grundwasser/!6034501
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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