| # taz.de -- Klimaexperte über Heizungspolitik: „Wir brauchen Wärme als Dase… | |
| > Viele könnten sich den Umstieg auf klimafreundliches Heizen nicht | |
| > leisten, warnt Klima-Experte Thomas Losse-Müller. Er sieht aber einen | |
| > Ausweg. | |
| Bild: In dieser Bonner Straße wurden 2023 Fernwärmeleitungen verlegt | |
| taz: Herr Losse-Müller, noch heizen wir in Deutschland fast nur | |
| klimaschädlich mit Gas, Öl und Kohle. Das muss sich ändern, [1][aber der | |
| Wärmepumpen-Verkauf stockt]. Ist das für Sie schon besorgniserregend? | |
| Thomas Losse-Müller: Ich finde den verlangsamten Verkauf der Wärmepumpen | |
| nicht so dramatisch. Viel wichtiger ist, dass wir jetzt wirklich [2][eine | |
| verlässliche Wärmeplanung haben]. Meiner Meinung nach sind Wärmenetze die | |
| sozialverträglichste Form, in Zukunft unsere Häuser zu heizen. | |
| taz: Das heißt, Fern- oder Nahwärme statt dezentraler [3][Heizungen]. Wieso | |
| ist das besser? | |
| Losse-Müller: Das hat damit zu tun, dass die Kommune oder das Stadtwerk – | |
| also im großen Ganzen der Staat – die Investitionen in das Wärmenetz und | |
| die Infrastruktur übernimmt und die einzelnen Haushalte nicht alleine | |
| lässt. | |
| taz: Ihre Stiftung Klimaneutralität hat zusammen mit Ihrer Denkfabrik | |
| Sozialklimarat analysiert, wer sich die Wärmewende hin zu klimafreundlichen | |
| Heizungen leisten kann. Was ist dabei herausgekommen? | |
| Losse-Müller: Wir haben uns angeschaut: Wie sehen typische Lebenslagen in | |
| Deutschland aus? Wir können 16 verschiedene Lebenslagen unterscheiden. Die | |
| Menschen in einem Drittel dieser Lebenslagen können gut klimaneutral | |
| werden, da machen wir uns keine Sorgen. Das mittlere Drittel wird | |
| allerdings schon Schwierigkeiten haben, weil die heutige Förderung meist | |
| nicht ausreicht, um die Häuser energetisch zu sanieren. Und das übrige | |
| Drittel hat überhaupt keine Chance, energetisch zu sanieren oder in eine | |
| Wärmepumpe zu investieren. Das Geld und die heute Förderung reichen bei | |
| einem Großteil der Menschen einfach nicht. | |
| taz: Und Sie schließen daraus, dass der Staat diese Investitionen | |
| übernehmen soll? | |
| Losse-Müller: Ich nenne mal ein Beispiel: ein typisches Baugebiet aus den | |
| Siebziger oder Achtziger Jahren, wo die heutige Boomergeneration ihre | |
| Häuser gebaut hat. Oft noch mit einem sehr viel schlechteren | |
| Energiestandard, als das heute der Fall wäre. Das heißt, dass es sehr viel | |
| Geld kostet, diese Häuser energetisch zu sanieren. Gleichzeitig gehen die | |
| Boomer gerade in Rente und werden Schwierigkeiten haben, diese | |
| Investitionen zu leisten. Wenn die Stadtwerke dort kein Wärmenetz aufbauen, | |
| dann muss der Staat viel Geld in Hand nehmen, um die Sanierung jedes | |
| einzelnen dieser Häuser zu fördern. Und das wahrscheinlich zu höheren | |
| Kosten, als wenn er sich selbst um ein Wärmenetz kümmern würde, auch wenn | |
| sich das aus einer rein betriebswirtschaftlichen Perspektive für das | |
| Stadtwerk nicht lohnt. | |
| taz: Also Wärme als öffentliche Leistung? | |
| Losse-Müller: Ja genau. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die | |
| Versorgung mit Wärme als eine Art der Daseinsvorsorge verstehen müssen, so | |
| wie wir das zum Beispiel mit Trinkwasser heute auch schon machen. Wir | |
| erwarten ja auch nicht mehr, dass sich jeder Eigentümer einen eigenen | |
| Brunnen baut. | |
| taz: Wie wirkt sich das andernfalls auf das Sozialgefüge aus? | |
| Losse-Müller: Die Menschen, die sich leisten können, eine Wärmepumpe zu | |
| installieren oder etwa auch eine Solaranlage aufs Dach zu packen, die | |
| machen das. Diese Leute machen sich dadurch unabhängig von den kommenden | |
| hohen Energiepreisen. Sie tragen nicht mehr dazu bei, die Netzkosten zu | |
| tragen, sowohl bei Strom als auch bei Gas. Mit jedem wohlhabenden Haushalt, | |
| der sich aus dem gemeinschaftlichen Netz verabschiedet, wird es teurer für | |
| alle anderen. | |
| taz: Bedeutet das, dass wir uns auf eine Zwei-Klassen-Energie-Gesellschaft | |
| zubewegen? | |
| Losse-Müller: Ja, absolut. Das ist heute schon so. Wir wissen aus | |
| Auswertungen der Einkommens- und Vermögensstatistik, dass jeder zehnte | |
| Haushalt der obersten Einkommensklassen schon eine Solaranlage hat aber | |
| kaum einer der unteren 50 Prozent. Diese Tendenz ist steigend. | |
| taz: Die Haushaltskrisen der vergangenen Monate im Kopf: Ist der Staat | |
| überhaupt dazu in der Lage, diese Infrastrukturaufgabe zu erfüllen? | |
| Losse-Müller: Es gibt einen großen Skeptizismus dem Staat gegenüber. Aber | |
| es gibt Aufgaben, die ein Staat besser erledigt. Infrastruktur gehört dazu. | |
| taz: Stimmt das wirklich noch? | |
| Losse-Müller: Das Scheitern des Staates in den letzten zehn Jahren ist ein | |
| Produkt von neoliberaler Ideologie. Wir haben den Staat in den letzten 30 | |
| Jahren systematisch kaputtgespart. Die Schuldenbremse hat dazu geführt, | |
| dass der Staat überhaupt keine Möglichkeiten mehr hatte, Infrastruktur | |
| instand zu halten. Aber das heißt nicht, dass der Staat generell nicht in | |
| der Lage ist, Infrastruktur bereitzustellen. Ich meine, alle Straßen und | |
| alle Schulen, die gerade marode sind, hat der Staat ja irgendwann mal | |
| gebaut. Da müssen wir wieder hin zurückkommen. Das braucht ein anderes | |
| Denken und die Bereitschaft der Gesellschaft, gemeinschaftlich | |
| zusammenzukommen und gemeinsam zu investieren. | |
| taz: Und lohnen sich die enormen Schulden, die der Staat dann auf sich | |
| nehmen würde? | |
| Losse-Müller: Also sagen wir es mal andersherum. Wenn der Staat die | |
| Schulden nicht aufnimmt, um das Wärmenetz zu bauen, dann müssen die | |
| privaten Haushalte die Schulden aufnehmen, um ihr eigenes Haus zu sanieren. | |
| Schulden werden in jedem Fall gemacht. Die Frage ist nur, wer sie trägt. | |
| Und es ist sozial gerechter und effizienter, wenn der Staat diese | |
| Investitionen tätigt. Einfach, weil er in der Lage ist, das Abbezahlen der | |
| Schulden dann wieder so zu verteilen, dass die starken Schultern mehr | |
| zahlen und die schwachen Schultern etwas weniger. | |
| taz: Für wie wahrscheinlich halten Sie es denn, dass der Staat diese | |
| Infrastrukturaufgabe tatsächlich angeht? | |
| Losse-Müller: Ich halte es für die einzig mögliche Option. | |
| taz: Aber in der Ampelregierung besteht die FDP auf der Schuldenbremse. Und | |
| mit Blick auf mögliche kommende Regierungen spricht sich auch die Union für | |
| die Schuldenbremse aus … | |
| Losse-Müller: Ich habe einen anderen Eindruck von der CDU. Ich glaube, dass | |
| gerade in der Kommunalpolitik die CDU sehr wohl versteht, dass | |
| Wärmeinfrastruktur eine Aufgabe von Städten sein kann. Und dass es auch | |
| eine große Bereitschaft gibt, das umzusetzen. Da muss man wirklich stark | |
| unterscheiden zwischen einer sehr berlinfokussierten Wahlkampfstrategie | |
| und dem, was in Ländern und Kommunen gedacht wird. | |
| 29 Aug 2024 | |
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| Anton Dieckhoff | |
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