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# taz.de -- Gerechtigkeit in der Politik: Die Worthülse füllen
> Alle Parteien werfen mit dem Begriff Gerechtigkeit um sich. Aber was ist
> wirklich gerecht? Ein bisschen Theorie könnte helfen.
Bild: Gerechtigkeit erfährt der Mensch nicht durch eine Partei, sondern vor Ge…
Immer und immer wieder beschwören Parteien, wie extrem „gerecht“ es doch
zuginge, wenn man ihnen die Macht anvertraue. Sie entfremden dadurch diesen
Begriff und das ist anmaßend.
Die FDP beschreibt auf ihrer Website „vier Vorschläge für mehr
Gerechtigkeit“, ausgerechnet die AfD verlangte sogar ein Gesetz für
„soziale Gerechtigkeit“ und die SPD fordert „Mehr Zeit für Gerechtigkeit…
Wie kann es sein, dass Parteien, die unterschiedlicher kaum sein können,
sich sämtlich dieselbe Phrase auf die Fahnen schreiben?
Auffällig ist dabei, dass in linker Politik der Begriff oft synonym für
„Gleichheit“ und in rechter Politik allenfalls als Zugeständnis für
„Chancengleichheit“ mit akzeptierten ungleichen Ergebnissen verwendet wird.
Der springende Punkt aber ist: Empfindet es ein Geringverdiener nur aus
seiner Situation heraus als „ungerecht“, dass sich der Chef mehr leisten
kann, oder würde er es als „gerecht“ empfinden, wenn er selbst der
Vorgesetzte wäre? Hier wird offensichtlich, wie subjektiv das
Gerechtigkeitsempfinden ist.
## Verschleiern für Erkenntnis
Um das Empfinden von Gerechtigkeit zu lösen von solch rein pragmatischen,
oft egoistischen, Forderungen aus der individuellen Situation heraus und es
quasi zu neutralisieren, hilft das Gedankenspiel des namhaften
Rechtsphilosophen John Rawls, der anregte, sich in einer idealisierten
Situation Gedanken über eine gerechte Verteilung in der Gesellschaft zu
machen, ohne zu wissen, welche Rolle man selbst in der Gesellschaft
einnimmt.
Was dieser Harvard Professor mit seiner wissenschaftlich anerkannten
Begriffsbestimmung herausgearbeitet hat, ist ein liberaler Standpunkt. Es
geht um „gleiche Grundfreiheiten“, auch wenn das Ergebnis ungleich
ausfällt. Das ist überzeugender als die Orientierung an faktisch
vorgefundener Gleichheit und Ungleichheit. Jedoch können die
Ausgangsbedingungen nie gleich sein, da sie durch Abstammung,
Bildungschancen und so weiter geprägt sind. Weil dies schlichte Realität
ist, muss eine Umverteilung so lange stattfinden, bis Menschen freiwillig
nach oben und unten gönnen.
Eine solche politische Umverteilung heißt aber nicht „Gerechtigkeit“,
sondern „Fürsorge“, und diese umfasst in der Realität unter anderem
Kindergrundsicherung, Bürgergeld, Kündigungsschutz und Sozialausgaben.
Im Ergebnis ist es also substanzlos, wenn Parteien sich „Gerechtigkeit“ zu
eigen machen. Es spricht aber nichts dagegen, konkret „mehr
Gleichbehandlung“ oder auch „mehr Angleichung“ oder eben „mehr staatlic…
Fürsorge“ als politische Ziele auszurufen.
31 Aug 2024
## AUTOREN
Andreas Gran
## TAGS
Gerechtigkeit
Soziale Gerechtigkeit
Parteien
Politische Theorie
Social-Auswahl
Forschung
Wärmepumpe
Klimaklage
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
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