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# taz.de -- Debatte um Antisemitismusresolution: Ausweitung der Grauzone
> Vor dem 7. Oktober soll im Bundestag eine Resolution gegen Antisemitismus
> eingebracht werden. KritikerInnen befürchten die Einschränkung der
> Meinungsfreiheit.
Bild: Was gilt als Antisemitismus und was nicht? KritikerInnen der Resolution w…
Berlin taz | Die Fraktionen von Union, SPD. Grünen und FDP wollen vor dem
7. Oktober, dem Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel, im Bundestag eine
gemeinsame Erklärung einbringen. Sie soll „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches
Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ heißen und konstatiert
einen „zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in
rechtsextremistischen und islamistischen Milieus“ genauso wie einen
„israelbezogenen und [1][links-antiimperialistischen Antisemitismus]“.
Handfeste Maßnahmen schlägt der Entwurf vor allem gegen islamistischen und
israelbezogenen Antisemitismus vor. So sollen etwa „repressive
Möglichkeiten im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht“
konsequent angewandt werden. Außerdem wird die Regierung aufgefordert, „ein
Organisationsverbot von BDS in Deutschland“ zu prüfen. BDS ist eine in
Palästina gegründete Organisation, die Boykott und Sanktionen gegen Israel
fordert, um das Besatzungsregime im Westjordanland zu beenden. Ob und
inwieweit sie antisemitisch ist, ist umstritten.
Im Kern aber zielt der Entwurf auf eine [2][Reglementierung von staatlichem
Geld für Kunst, Wissenschaft und Zivilgesellschaft]. Gefördert werden soll
künftig nur noch, wer der Definition der International Holocaust
Remembrance Alliance IHRA für Antisemitismus genügt. Förderprojekte, so
steht es in dem Entwurf, sollen „auf eine Unterstützung oder Reproduktion
von antisemitischen Narrativen überprüft werden.“ Ob die Passagen in dieser
Schärfe auch in der finalen Resolution stehen werden, ist unklar. Die damit
befassten Vizefraktionschefs schweigen, wohl um die komplizierten
Verhandlungen nicht zu gefährden.
## „Kein Recht auf Förderung“
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hält das, was im
Entwurf steht, für selbstverständlich: „Wir sollten in diesem Land doch
einen Konsens darüber haben, dass antisemitische und verfassungsfeindliche
Personen oder Organisationen nicht mit Steuergeldern gefördert werden.“ Ihn
irritiere, dass in der Diskussion um die Resolution dies zur Debatte stehe.
„Mir ist bewusst, dass nicht alles direkt verboten werden kann, muss oder
sollte, aber ein Recht auf Förderung gibt es meines Wissens nicht.“
AutorInnen und KünstlerInnen, Theater- und FilmemacherInnen, die die
israelische Politik kritisch sehen, fürchten dagegen eine Einschränkung der
Meinungsfreiheit. Die Rede ist von Zensur unter dem Deckmantel der
Antisemitismusbekämpfung. Gesetzeskraft wird die Resolution nicht haben,
aber sie dürfte, ähnlich wie die BDS-Resolution des Bundestages 2019,
trotzdem Wirkmacht entfalten und beeinflussen, wer als förderungswürdig
gilt – und wer nicht mehr. So entsteht eine Grauzone.
Der Streit fängt schon bei der Frage an, was als Antisemitismus gilt und
was nicht. Die IHRA-Arbeitsdefinition wird von vielen Staaten verwendet,
fasst Antisemitismus sehr weit und legt einen Schwerpunkt auf dessen
israelbezogene Ausprägung. Manche kritisieren, dadurch würde auch legitime
Kritik an der Politik Israels zu Unrecht für antisemitisch erklärt.
## Offener Brief jüdischer und israelischer Kunschaffender
Israelische und jüdische KünstlerInnen und AutorInnen warnen nun
eindringlich in einem offenen Brief vor der geplanten Resolution des
Bundestages. Schon der Bezug auf die IHRA-Definition setze „[3][berechtigte
Kritik an der israelischen Regierung] mit Antisemitismus gleich, um Kritik
an Israel zum Schweigen zu bringen“ heißt es. Unterschrieben haben den Text
unter anderen der Filmemacher Udi Aloni, die Künstlerin Candice Breitz, die
Schriftstellerin Esther Dischereit, die Autorin Deborah Feldman und der
Regisseur Barrie Kosky, der lange Intendant der Komischen Oper in Berlin
war. [4][Der Protestbrief liegt der taz vor].
Darin heißt es, die geplante Bundestagsresolution beanspruche, „jüdisches
Leben in Deutschland schützen zu wollen“, tue aber genau das Gegenteil. Die
geplante faktische „Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit
schließt genau die Vielfalt jüdischen Lebens aus, die sie zu bewahren
vorgibt“. Der aktuelle Resolutionsentwurf sei daher „gefährlich“.
Außerdem habe die Antisemitismusresolution eine schwere Schlagseite. Denn
sie „suggeriere, dass die größte Bedrohung für JüdInnen von Menschen
ausgeht, die von außerhalb Deutschlands kommen“. Die AfD, „deren
Führungsfiguren wissentlich Nazi-Rhetorik verbreiten“, werde hingegen kaum
erwähnt. Das sei eine „beschämende [5][Ablenkung von der größten Gefahr f…
JüdInnen] in Deutschland“.
Auch der Ansatz, jüdisches Leben zu schützen, indem man auf Repression
setze, sei verquer. Anstelle dessen gelte es die Rechte aller Minderheiten
zu schützen. „Wenn es eine Lehre aus der Katastrophe des Holocausts gibt,
dann sei es diese: „Nie wieder“ bedeutet „nie wieder für alle“.
## Israelsolidarität als Förderkriterium?
Diese Protesterklärung zielt auf den politischen Prozess. Die Fraktionen
von Union, Grünen, SPD und FDP sind gerade dabei, die finale Textfassung zu
erstellen. Es gab bereits eine Reihe warnender und unterstützender
Stellungnahmen. Volker Beck, grüner Ex-MdB und Präsident der
„Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ fordert, Haushaltsordnungen so zu
regeln, dass Antisemitismus und Rassismus nicht gefördert werden dürfen,
sowie einen Kulturfonds für „israelsolidarische Künstlerinnen und
Künstler.“
Skeptisch äußerte sich hingegen Jerzy Montag, ebenfalls früher grüner MdB
und wie Beck Rechtspolitiker. Montag, Sohn eines Holocaustüberlebenden,
warnte bereits zuvor in einer Art Brandbrief die grüne Fraktionsspitze
davor, die Resolution zu unterstützen. Die strotze „vor Strafwut, die man
eher bei der AfD vermuten würde“. Monika Grütters (CDU), früher
Staatsministerin für Kultur, schlug in der [6][Zeit moderatere Töne an],
hielt es aber auch für „schwierig, von Künstlern eine regelrechte
Gesinnungsprüfung zu verlangen“.
Unklar ist, wer die Antisemitismusdefinition nach IHRA-Kritierien auslegen
soll. Zeit Online berichtet, dafür könnte das Bundesamt für
Verfassungsschutz zuständig werden. In dem Resolutionsentwurf steht dazu
aber nichts. Der Grüne Jerzy Montag fürchtet angesichts solcher Szenarien
die Installierung einer „Zensurbehörde wie in der McCarthy-Ära“.
## Schweigen bei Ampel und Union
Aus den Reihen von Ampel und Union will sich niemand substanziell zu der
geplanten Resolution äußern – unterhalb der Führungsebenen weiß niemand
genau, was der aktuelle Stand ist. Bei den Abgeordneten, die sich äußern,
bleibt es deshalb bei Bekräftigungen, dass eine Resolution prinzipiell eine
gute Sache sei.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger sagte der taz: „Die
bisherige Präventionsarbeit gegen Antisemitismus sowie die Maßnahmen, die
wir zu seiner Bekämpfung unternommen haben, müssen auf den Prüfstand und
gegebenenfalls neu ausgerichtet werden.“ Denn: „Wir haben als Gesellschaft
in den letzten Jahrzehnten zwar oft ‚Nie wieder‘ gesagt, beim Kampf gegen
den Antisemitismus aber offensichtlich versagt, das zeigt die aktuelle
Lage.“ Deshalb sei „eine gemeinsame Resolution wichtig und richtig“.
Candice Breitz, Unterzeichnerin des Protestbriefes, blickt kritischer auf
das Vorhaben. Sie hat im Dezember 2023 erlebt, wohin ein erweiterter
Antisemitismusbegriff in überhitzten diskursiven Situationen führen kann.
In Saarbrücken sollte eine Ausstellung der jüdischen Künstlerin zum Thema
Sexarbeit in Südafrika eröffnet werden. Doch dies wurde abgesagt – offenbar
aus Furcht vor einer Antisemitismusdebatte um Breitz, die Israels Politik
gegenüber den Palästinensern immer wieder scharf kritisiert. Dass sie die
Hamas und deren Angriff am 7. Oktober verurteilt hat, nutzte ihr nichts.
27 Aug 2024
## LINKS
[1] /Linke-in-Sachsen/!6026800
[2] /Antisemitismus-in-der-Kultur/!6018208
[3] /Siedlergewalt-im-Westjordanland/!6027905
[4] /Dokumentation-Protestbrief/!6032239
[5] /Juedischer-Restaurantbesitzer-ueber-Hass/!6028813
[6] https://www.zeit.de/kultur/2024-08/resolution-zum-schutz-juedischen-lebens-…
## AUTOREN
Frederik Eikmanns
Stefan Reinecke
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